Faschorock
Unter apolitischem Deckmantel marschiert Rock mit Rechtsdrall in die Schweizer Charts.
Keine einzige Schweizer Zeitung druckte eine Besprechung der Platte, dennoch verkaufte sich die CD «Viva Los Tioz» der deutschen Band Böhse Onkelz über 15 000-mal. «Kaum zu glauben», wundert sich der PR-Chef der Plattenfirma Emi Schweiz, Dano Tamásy, «die Gruppe wird totgeschwiegen und landet trotzdem in der Hitparade.»
Die Frankfurter Band ist Pionierin eines Genres, mit dem die Musikindustrie zurzeit viel Geld macht: Rock mit Rechtsdrall, der sich faschistoider Posen bedient, ohne sich bei faschistischen Aussagen erwischen zu lassen.
Lieder wie «Türken raus!» und «Deutschland den Deutschen» hatten die Onkelz in den achtziger Jahren aufgenommen, bis heute blieben sie, trotz aller Beteuerungen, eine Kultband der Rechtsextremen. Der Blut-und-Boden-Jargon ist auf der jüngsten Platte der alte geblieben, nur singen sie jetzt unverbindlich: «Nonkonformität heisst unser Weg.»
Das Beispiel macht Schule. Brauner Rock schleicht sich unter einem apolitischen Deckmantel in die Charts. Rammstein verkauften ihr Album «Sehnsucht» allein in Deutschland 900 000-mal, 60 000 Stück gingen in der Schweiz weg. Ohne jegliche ironische Brechung bieten die Brachialrocker aus Schwerin Provokation pur: protzen mit Gewalt verherrlichendem Herrenmenschengehabe, singen von Vätern, die sich an ihren Töchtern vergreifen – «mit ihrem eigen Fleisch und Blut sich paaren» – und zeigen in ihrem jüngsten Videoclip Szenen aus «Olympia» der Nazi-Filmerin Leni Riefenstahl.
In England distanzierten sich farbige Künstler wie Goldie, der wie Rammstein beim Plattenmulti PolyGram unter Vertrag steht, vom «Nazi Video», wie der «New Musical Express» es nannte. In der Schweiz aber führten Parolen wie «Deine Grösse macht mich klein, du darfst mein Bestrafer sein» und «Bück dich, befehl ich dir» an die Spitze der Hitparade.
Keine Plattenfirma, die seither nicht ihre eigene Band mit gotischem Gedröhne, hehren Gelübden und düsteren Gebärden ins Rennen schicken würde – das Muster ist immer dasselbe: Man gebe sich den Ruch des Rechtsradikalen, suhle sich in tumber Deutschtümelei, beteuere aber, mit Politik nichts am Hut zu haben – als liessen sich die Gesten aus ihrem gesellschaftlichen Kontext lösen, als dürfte Rockmusik ihre Wirkung ignorieren.
Die Labels lassen die Liedtexte von Juristen durchkämmen und versprechen sich vom Kokettieren mit dem Tabubruch Profit. Bei Weissglut blieb dennoch etwas hängen: Es stellte sich heraus, dass der Kopf der Band, Josef Klumb, sich 1996 im rechten Blatt «Junge Freiheit» mit Sätzen hatte zitieren lassen wie: «Ich glaube an die Lichtgestalt dieser geschundenen Nation.» Für Alfred Schober vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung ist klar: «Man muss von einem Nazi sprechen.» Worauf der Chef des Plattenlabels Epic, Jörg Hacker, sich beeilte anzukündigen, er werde «Weissglut intensiv durchleuchten». Einen Monat später jedoch hat er noch «keine neuen Erkenntnisse» und steht weiter «voll hinter der Band». Man will sich ja das Adventsgeschäft nicht verderben lassen.
Bands wie Weissglut setzen auf das Protest- und Frustpotenzial einer desillusionierten Jugend, die ihre Eltern schockieren will. «Der Spiegel» ortet im Osten Deutschlands «eine rechtsradikale Subkultur, deren Popbegriff aus den Untiefen einer deutschnationalen Gefühlslage stammt». Die «Zeit» analysiert, die Käufer seien «beileibe nicht nur Neonazis, sondern Leute, die jeglichen Glauben an die verändernde Kraft der Geschichte verloren haben».