Tages-Anzeiger: Wegen der angeblichen Umsturzpläne von Neonazis gab es 2013 etliche Razzien. Der Vorwurf kam von der Ex-Partnerin von Sebastien N. Er erwies sich als falsch.
Zürich – Wenn ein Rechtsextremer prahlt, kann das viel auslösen. So geschehen im Fall von Sebastien N., dem Schweizer Neonazi mit dem Hitler-Tatoo. Vorgestern ist der junge Mann vom Bezirksgericht Zürich zu zwölf Jahren Haft mit anschliessender Verwahrung verurteilt worden, weil er im Mai 2012 im Zürcher Niederdorf auf einen Gesinnungsgenossen geschossen hatte. Davor hatte er in Deutschland von Anschlägen mit Nagelbomben und von einem Attentat auf eine israelische Botschaft schwadroniert.
Das hatte über ein Jahr später Folgen: Am 17. Juli 2013 kam es zu Hausdurchsuchungen in Holland, in Norddeutschland und in der Schweiz. Fast gleichzeitig mit den niederländischen und den deutschen Kollegen rückten die Berner, die Aargauer, die Ausserrhoder, die Zürcher sowie die Solothurner Polizei aus. Unter anderem wurde die Gefängniszelle von Sebastien N. auf den Kopf gestellt, der damals – wie heute – im Kanton Zürich einsass. Die koordinierte Aktion im Morgengrauen vor einem heissen Sommertag galt der Zerschlagung eines angeblich gefährlichen «Werwolf-Kommandos». Medien berichteten prominent über die bis dahin unbekannte rechtsextreme Gruppierung. Die Vorwürfe der deutschen Generalbundesanwaltschaft, welche die holländischen und die schweizerischen Kollegen um Rechtshilfe ersucht hatte, wogen schwer: Zwei Deutsche, drei Schweizer Beschuldigte sowie ein junger Niederländer sollen eine terroristische Vereinigung gegründet haben. Mutmassliches Ziel der zum Teil einschlägig bekannten Neonazis: mit Gewalt die politische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland beseitigen. Also ähnlich wie Hitler ab 1933, nur ohne Wahlen.
«Nicht erhärten können»
Nun, nicht einmal ein Jahr nach den Razzien, ist von den schweren Anschuldigungen nicht mehr viel übrig. «Die Ermittlungen haben den Anfangsverdacht bislang nicht erhärten können», sagt ein Sprecher des Generalbundesanwalts. Es hätten sich «keine Anhaltspunkte für konkrete Anschlagsvorbereitungen oder planungen» ergeben. Das Verfahren sei zwar noch nicht abgeschlossen, heisst es von der Behörde in Karlsruhe. Aber alles andere als eine Einstellung wäre eine Überraschung.
Von einem Flop will dennoch keiner der Ermittler sprechen. Das Vorgehen sei auch nicht übertrieben gewesen, finden Involvierte, die sich aber nicht zitieren lassen wollen. Eine besondere Wachsamkeit gegenüber Rechtsradikalen sei in Deutschland aber sicherlich vorhanden, nachdem die Zelle des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) jahrelang ungehindert und unerkannt morden konnte. Justizunterlagen, die dem «Tages-Anzeiger» vorliegen, zeigen, dass das ganze «Werwolf-Kommando»-Verfahren auf der Aussage einer einzigen umstrittenen Zeugin beruhte: Es ist dies eine Ex-Freundin des Beschuldigten Sebastien N. Sie verkehrte selber im rechtsradikalen Milieu und überwarf sich mit dem Neonazi aus der Schweiz. Auch einzelne andere Beschuldigte im Terrorverfahren sind wie N. bereits durch – allerdings weit weniger schwere – Gewalttaten und andere Gesetzesverstösse aufgefallen. Aber gleich ein Umsturz in der bevölkerungsreichsten Demokratie Europas? Dazu fehlte es den Beschuldigten an vielem – vielleicht auch an Geistesschärfe.
Keine Rechtsextremisten
Schon früh im «Werwolf-Kommando»-Verfahren gab es Hinweise, dass es sich bei den Beschuldigten nicht um rechtsextreme Verschwörer handeln könnte. Schnell war offensichtlich: Die beiden weiteren von der Ex-Freundin von N. als Umsturz-Drahtzieher erwähnten Schweizer gehörten nicht einmal der Neonazi-Szene an. Der hiesigen Strafverfolgung waren die beiden Männer nie in dieser Hinsicht aufgefallen. Dies teilte die Zürcher Staatsanwaltschaft den deutschen Kollegen auch mit. Trotzdem schickte sie kurz darauf – auf Ersuchen aus Karlsruhe – Polizisten für Durchsuchungen los.
Der einsame «Freischärler 11»
Die Generalbundesanwaltschaft hielt die Aussagen der Ex-Freundin von Sebastien N. weiterhin für glaubhaft. Sie schrieb der Zürcher Staatsanwaltschaft, die Angaben der jungen Frau hätten «in wichtigen Punkten durch die bisher geführten Ermittlungen ihre Bestätigung gefunden».
Doch die Indizien, welche die deutschen Ermittler vorbrachten, haben sich mittlerweile als schwach herausgestellt. Zusammenfassen lassen sie sich so: Erstens seien die Beschuldigten miteinander in Kontakt gestanden. Zweitens sei die Kommunikation untereinander zum Teil verschlüsselt erfolgt. Auf dem Computer eines deutschen Rechtsextremen, der angeblich in die Terrorpläne involviert war, stellten die Beamten eine Datei namens «client-freischärler 11» sicher. Daraus folgerten sie, dass es auch die «Freischärler 1» bis «Freischärler 10» geben müsse. In all den durchsuchten Wohnungen, Gefängniszellen und Büros fanden sich aber allem Anschein nach auch darauf keine Hinweise.