Jetzt muss Fricker bei der Parteileitung antraben
Blick. Eklat in Bundesbern: Während der Debatte zur Fairfood-Initiative im Nationalrat vergreift sich der Aargauer Grüne Jonas Fricker (40) massiv im Ton. Die von den Grünen lancierte Initiative verlangt, dass in der Schweiz nur noch Lebensmittel verkauft werden, die soziale und ökologische Mindeststandards erfüllen.
Fricker wollte auf die miserablen Zustände in der Massentierhaltung aufmerksam machen: «Sie kennen die Bilder, ja sogar die Dokumentarfilme aus Europa, die die unsägliche Massentierhaltung belegen, Transporte in den sicheren Tod», redete er dem Parlament ins Gewissen – und sich selbst ins Abseits: Als er das letzte Mal eine Dokumentation über Transporte von Schweinen gesehen habe, seien ihm unweigerlich die Bilder der Massendeportation nach Auschwitz aus dem Film «Schindlers Liste» in den Sinn gekommen. Und dann: «Die Menschen, die dort deportiert wurden, die hatten eine kleine Chance zu überleben. Die Schweine fahren in den sicheren Tod.»
Kurz: Die Juden auf dem Weg nach Auschwitz hatten es also noch ein kleines bisschen besser als die Schweine in Europa? Dem St. Galler SVPNationalrat Roland Rino Büchel (51) platzte bei dieser Verharmlosung des Holocausts der Kragen: «Das ist ein handfester Skandal!», sagt er gegenüber BLICK.
Dank Büchel wurde diese verbale Entgleisung überhaupt zum Thema. Denn er fragte den zuständigen Bundesrat Alain Berset (45), was er von solchen Vergleichen halte – worauf Fricker nochmals ans Redepult trat und sich entschuldigte für den «unangemessenen Vergleich, den ich in meiner Naivität gemacht habe».
Fricker bat auch beim Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) um Verzeihung. Und findet Gnade: «Ein solcher Vergleich ist natürlich nicht haltbar», so SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner. Doch Fricker sehe das ein. «Für uns ist die Angelegenheit erledigt.»
Die Grünen sind weniger gnädig. «Das war ein inakzeptabler Vergleich. Das habe ich Jonas Fricker direkt gesagt», so Fraktionschef Balthasar Glättli (45). Die Entschuldigung sei wichtig und nötig gewesen. «Aber für mich ist das Thema damit nicht erledigt. Ich werde seine Äusserung in der kommenden Fraktionssitzung nochmals thematisieren», kündigt er an.
Fricker sei kein Antisemit, so Glättli. Dennoch leistete er sich diese verbale Entgleisung. Der grüne Historiker Jo Lang (63) ist überzeugt, dass ein Grund dafür auch die Überhöhung des Tiers und dessen Gleichstellung mit dem Menschen sei (siehe Interview).
Eine Haltung, die in der Umwelt- und Tierschutzbewegung verbreitet ist. Auch Erwin Kessler (73), Präsident des Vereins gegen Tierfabriken, benutzt immer wieder Holocaust-Vergleiche. Im Zusammenhang mit Hühnerhaltung spricht er systematisch von «Hühner-KZ». Blut- und-Boden-Gedankengut fand sich vor zwei Jahren auch bei den Köpfen hinter der Ecopop-Initiative, unter ihnen Aargauer Grüne wie Andreas Thommen – dessen Parteichef damals: Jonas Fricker. Er war allerdings gegen Ecopop.
SVP-Nationalrat Büchel, der die Ecopop-Leute «Birkenstock-Rassisten» nannte, sieht sich nach gestern bestätigt: «Offenbar wächst das Grüne im Aargau auf braunem Boden.»
Historiker und Parteikollege Jo Lang verurteilt Frickers Vergleich: «Grässlich», «entsetzlich», «antisemitisch»
Ihr Parteikollege Jonas Fricker hat im Nationalrat die Massentierhaltung mit den Deportationen nach Auschwitz verglichen. Was sagen Sie als grüner Historiker dazu?
Josef Lang*: Die Äusserung hat mich erschüttert. Es ist entsetzlich, einen Tiertransport mit dem grössten Verbrechen der uns bekannten Menschheitsgeschichte zu vergleichen. Das ist eine Relativierung der Schoah, des Völkermords an den Juden. Kommt hinzu: Die Verbindung von Juden und Schweinen ist ein Klassiker des Antisemitismus!
Radikale Tierschützer greifen immer wieder zu ähnlichen Vergleichen, etwa mit dem Begriff «Hühner-KZ». Auch in den Ursprüngen 4,5 des Umweltschutzes gibt es Verbindungen zu rassistischem Gedankengut. Ein blinder Fleck in der Bewegung, der auch die Grünen angehören?
Die Grenze zwischen Mensch und Tier zu verwischen, führt in die Barbarei. Wir Grünen haben uns im Zusammenhang mit der Ecopop-Initiative, die wir knallhart bekämpft haben, mit genau dieser Frage des grün-rechten Gedankenguts auseinandergesetzt. Wir haben damals definiert, das wir die humanistischen Grünen sind: Humanistisch, weil wir für Menschlichkeit einstehen, aber eben auch, weil wir eine Grenze zwischen Mensch und Tier ziehen.
Was Jonas Fricker nicht getan hat.
Leider. Diese Gleichsetzung ist derart grässlich, dass ich sie mir nicht erklären kann. Vor allem, weil die Ecopop-Kampagne im Aargau besonders brisant war. Denn die Urheber der Initiative kamen ja von dort, und es hatte auch Grüne dabei.
Hat vielleicht auch die zeitliche Distanz zum Holocaust damit zu tun, dass solche Vergleiche heute wieder passieren?
Vielleicht. Die Überlebenden, die Zeugnis ablegen können, versterben. Daher braucht es immer wieder eine gemeinsame grosse Erinnerung an die Schoah. Mit dem Bergier-Bericht, der auch das Versagen der Schweiz in dieser Zeit dokumentiert, haben wir eine Grundlage dafür.