Tages-Anzeiger; 21.09.2013
Heute Abend hätten in der Festhütte Altrüti in Gossau Konzerte von Nazi-Skinheads stattfinden sollen. Als dies der «Tages-Anzeiger» aufdeckte, lösten die Behörden den Mietvertrag auf.
Von Hans Stutz
Gossau – Die Organisatoren der Nazi-Konzerte hatten den Saal in der Festhütte im Zürcher Oberland unter dem Vorwand angemietet, eine Geburtstagsparty zu feiern.
Seit mehreren Wochen zirkulierten in der rechtsextremen Szene Flugblätter, die zu einem Gedenkkonzert für Jan Stuart Donaldson einluden. Dieser war Mitbegründer des Netzwerkes «Blood and Honour» («Blut und Ehre»). Angekündigt waren neben «verschiedenen Überraschungsbands» vier Gruppen aus Estland, Finnland und England. Ebenfalls angesagt war die Schweizer Band Amok, deren vier Mitglieder wegen Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm vorbestraft sind. Auf ihrem ersten Tonträger, erschienen 2007, hatten sie den Holocaust geleugnet und missliebigen Personen einen gewaltsamen Tod in Aussicht gestellt.
Versteckspiel um Konzert-Ort
Als Veranstaltungsort nannte das englischsprachige Flugblatt vorerst nur «Central Europe». Im Verlauf der Woche wiesen die Organisatoren interessierte Besucher zuerst in die Region Bodensee und gaben dann gestern Morgen als Treffpunkt einen Parkplatz in der Region Rapperswil-Jona an. Von diesem Platz sollten Besucher dann zum Veranstaltungsort gelotst werden.
Bereits vor Tagen hatte eine Schweizer Antifa-Gruppe dem «Tages-Anzeiger» den Hinweis gegeben, dass die Festhütte Altrüti in Gossau als Konzertlokal vorgesehen sei, allerdings ohne überprüfbaren Beleg. Die Nähe des Treffpunkts macht den Hinweis indes plausibel. Auf eine erste Nachfrage reagierte der verantwortliche Hüttenwart überrascht. Er sagte, dass die Hütte von einer Frau für eine Geburtstagsparty gemietet worden sei. Unter diesem Vorwand konnten Rechtsextreme bereits häufig Lokale anmieten.
Beim Nachrichtendienst des Bundes (NDB) heisst es auf Anfrage, er habe Kenntnis vom Anlass gehabt. Ihr Dienst habe «in Zusammenarbeit mit seinen kantonalen und internationalen Partnern geeignete Massnahmen ergriffen», sagte die stellvertretende Kommunikationsverantwortliche Isabelle Graber. Genauere Angaben wollte sie nicht machen. Die NDB-Informationen waren jedoch nicht bis zur Zürcher Kantonspolizei vorgedrungen. Diese wollte gestern Morgen auf Anfrage zuerst abklären «ob und wie der Anlass – sollte er denn tatsächlich im Kanton Zürich abgehalten werden – verhindert werden» könne.
Vermieter annullierte Vertrag
Dann ging alles sehr schnell. Die Naziskins hatten den Mietvertrag für die Festhütte nur unter einem falschen Vorwand erhalten. Die städtischen Vermieter annullierten in Kenntnis der Tatsachen darum gestern noch den Vertrag. Der Gossauer Gemeindeschreiber Thomas Binder sagte auf Anfrage: «Nach dem Hinweis haben wir in Zusammenarbeit mit der Kantonspolizei entschieden, dass der Anlass nicht stattfinden kann.»
Der Sänger Jan Stuart Donaldson, dem die Veranstalter das Konzert widmen wollten, gehört zu den Ikonen der nationalsozialistischen Skinhead-Szene. Zuerst als Sänger der Band Skrewdriver, später als Mitbegründer von «Blood and Honour». Seit Jahren veranstalten Naziskins im September Gedenkkonzerte.
Zürcher Skins auf dem Rütli
«Blood and Honour»-Sektionen (B&H) bestehen seit vielen Jahren in vielen europäischen Ländern, aber auch in Nord- und Lateinamerika sowie Australien. In Deutschland verboten die Behörden das Netzwerk, das über rechtsextreme Musik nationalsozialistische Ideologie verbreitet. In der Schweiz entstand eine erste B&H-Sektion 1997/98 – zuerst in der Romandie, dann auch in der deutschen Schweiz. Öffentlich in Erscheinung trat in den vergangenen Jahren die B&H-Sektion Zürich – sei es bei einer rechtsextremen Demonstration gegen Kinderschänder in Appenzell oder beim Rütli-Aufmarsch im vergangenen Jahr. Ebenfalls ins B&H-Netzwerk eingebunden ist die vierköpfige Band Amok, von der drei Mitglieder in der Region Hombrechtikon aufgewachsen sind.
Über die rechtsextreme Szene hinaus bekannt wurde Amok, durch ihren Auftritt am Jan-Stuart-Donaldson-Memorial 2005 in Brig. Ein «Rundschau»-Journalist, der mit versteckter Kamera arbeiten konnte, dokumentierte die rassistischen Botschaften. Mehrere Organisatoren des Konzertes wurden verurteilt.
Fackelzug und Brandanschläge
Zürich – Im vergangenen Jahr hat sich der Zürcher Regierungsrat letztmals mit dem Thema Rechtsextremismus befasst. Grund war eine Anfrage im Kantonsrat zu einem unbewilligten Fackelzug von Rechtsextremen in Hombrechtikon im Februar. 50 Personen führten Transparente mit sich, die auf die Bombardierung von Dresden 1945 durch die Alliierten anspielten: «Kein Vergeben, kein Vergessen, 13. Februar 1945.»
Die Kantonsrätinnen Mattea Meyer (SP) und Alma Redzic (Grüne) wollten wissen, wie es möglich sei, dass ein solcher Anlass unbemerkt durchgeführt werden könne. «Anlässe mit 50 oder mehr Teilnehmern, von denen die Polizei nichts weiss, sind etwas Alltägliches», heisst es in der Antwort. Links- oder Rechtsextreme würden zudem modernste Telekommunikationsmittel einsetzen und ihre Aktivitäten im Verborgenen planen und durchführen. Gewalttätige Auseinandersetzungen oder Demonstrationen rechtsextremer Kreise seien 2010 und 2011 im Kanton Zürich keine verzeichnet worden, so der Regierungsrat in seiner Antwort. Diese Bilanz sei nicht zuletzt auf die konsequente Haltung der Kantonspolizei zurückzuführen.
Der Nachrichtendienst verzeichnet in seinem letztjährigen Lagebericht Brandanschläge und Sprayereien auf Asylunterkünfte im aargauischen Brittnau, in Hütten ZH und Affoltern am Albis. Grössere Veranstaltungen wie Skinheadkonzerte finden sehr selten statt. Der Nachrichtendienst geht aber nicht davon aus, dass die rechtsextreme Szene in naher Zukunft ihr konspiratives Verhalten aufgibt und erneut in der einen oder anderen Form öffentlich auftritt.