Gegen den Schüler am Gymnasium Burgdorf sind dem Rektor Jürg Wegmüller rechtlich die Hände gebunden.
Interview: Dominik Balmer
Herr Wegmüller, Sie pflegen im Geschichtsunterricht ihren Schülerinnen und Schülern zu sagen: «Mir ist egal, was ihr macht, Hauptsache, ihr werdet keine Nazis oder Kommunisten.» Und doch gibts derzeit mindestens einen Rechtsextremen am Gymnasium. Was läuft falsch?
Jürg Wegmüller: Überhaupt nichts läuft hier falsch. Bei über 500 Schülern kann ich nicht jeden einzeln kontrollieren. Eine Kontrolle der Gesinnung wie in totalitären Staaten lehne ich grundsätzlich ab. Ich kann nichts dafür, dass dieser Schüler offensichtlich im rechten Milieu verkehrt. Und sein Bruder ist, wie in der Stadt Burgdorf erzählt wird, in der faschistischen Szene aktiv.Seit längerer Zeit ist bekannt, dass dieser Schüler der rechten Szene angehört.Natürlich ist das bekannt. Aber aus schuljuristischen Gründen kann ich dagegen nichts machen. Wenn die Gewalt ausserhalb der Schule angewendet wird, bin ich rechtlich machtlos. Ich habe mich mit dem Rechtsdienst der Erziehungsdirektion abgesprochen.
Haben Sie mit dem betreffenden Schüler geredet?
Ja, und ich habe ihm auch klipp und klar meinen Standpunkt dargelegt: Ich dulde keine Gewalt an der Schule.
Was hat er gesagt?
Er hat gesagt, dass es seine Sache sei. Er war auch sehr freundlich.
Haben Sie sich ideologisch mit ihm auseinander gesetzt?
Nein, ideologische Gespräche habe ich mit ihm nicht geführt. Das ist nicht meine Aufgabe. Aber ich habe ihm ganz klar meine demokratische Haltung kundgetan, die bei der politischen Auseinandersetzung jede Gewalt ausschliesst.Ist es seinen Mitschülern noch zuzumuten, mit einem Angehörigen der rechten Szene die Schulbank zu drücken?Er kommt mit seiner Klasse nicht schlecht aus. Und diejenigen, die er zusammen mit seinem Bruder angegriffen hat, gehen nicht in dieselbe Klasse. Aber wir müssen das Problem auf der pädagogisch-staatspolitischen Ebene lösen.
Bedauern Sie, dass Sie den Schläger nicht rausschmeissen können?
Man darf über ihm den Stab nicht brechen. Schliesslich ist er noch nicht mündig.
Wie können die Betroffenen reagieren? Wie wehrt man sich?
Unbedingt Anzeige erstatten. Und ihn in der Schule nicht provozieren, ihn einfach links liegen lassen, keinen Grund zum Zurückschlagen geben. Denn Gewalt erzeugt bekanntlich immer Gegengewalt.
Wie gehts mit dem Schüler weiter?
In der Klasse des Schülers, aber auch in der ganzen Schule wird das Problem intern diskutiert und thematisiert.
Rechte gewalt in Burgdorf
Ein Hickhack um eine Anzeige
Wird man tätlich angegriffen, erstattet man Anzeige. Dass dies jedoch nicht so einfach geht, mussten die fünf Jugendlichen erfahren, die von zwei Personen aus der rechten Szene angegriffen wurden.
Dominik Balmer
«Wir fordern Konsequenzen.» Der Angehörige der rechten Szene sei als Mitschüler nicht mehr tragbar. Mit diesen Worten schliessen fünf junge Leute – einige davon besuchen das Gymnasium – ihr Schreiben, das sie vorgestern am Gymnasium in Burgdorf verteilt haben. «Eine kurze Geschichte zum Nachdenken», lautet der Titel.Letzten Samstag wurden die fünf Beteiligten gegen 20 Uhr von zwei stadtbekannten Rechtsradikalen angegriffen (diese Zeitung berichtete). Die zwei Brüder, der eine 16, der andere 19 Jahre alt, brausten in einem roten Auto heran und näherten sich den fünf jungen Leuten. Ohne viele Worte zu verlieren attackierten sie die Fünf. Der jüngere von den beiden Brüdern besucht ebenfalls das Gymnasium in Burgdorf. «Aus schuljuristischer Sicht können wir nichts machen», sagt Jürg Wegmüller, Rektor des Gymnasiums. Weil sich der Vorfall nicht in der Schule ereignet habe, erklärt der Rektor.
Noch keine Anzeige
Die fünf Angegriffenen wollen sich aber wehren. «Jeder hat das Recht, ohne Stiefel im Gesicht zu leben, auch in der Schule», schreiben sie in ihrer Mitteilung weiter. Am Montag nach demEreignis suchten sie den Posten der Kantonspolizei in Burgdorf auf – mit der Absicht, ihren Mitschüler und seinen Bruder zu verzeigen. Der anwesende Beamte habe die Anzeige aber nicht entgegengenommen, sagt einer der Betroffenen. Die Begründung des Beamten habe gelautet, dass er die zwei Polizisten, die vor Ort gewesen seien und den Vorfall protokolliert hätten, nicht erreichen könne. Deshalb sei es ihm auch nicht möglich, die Anzeige aufzunehmen. Der Polizist verfügte, laut Angaben des beteiligten Exgymnasiasten, nur über ein so genanntes Rufprotokoll. «Er wusste einzig, welcher Streifenwagen wann und wo ausgerückt ist.» Der diensthabende Polizist fügte an, er müsse eben zuerst wissen, was genau passiert sei. Er fragte die jungen Leute ebenfalls, ob sie überhaupt wüssten, dass eine Anzeige im Voraus zwischen 300 und 500 Franken kosten würde. Die Betroffenen verliessen den Posten, die Anzeige war nicht eingereicht.Noch an diesem Abend erhielten die Gymnasiasten einen Anruf von der Burgdorfer Gemeinderätin Elisabeth Zäch. Sie ist zuständig für die Bereiche Schule und Freizeit. «Sie hat uns unterstützt», erzählt ein Beteiligter. Und sie liess ausrichten, dass die Polizeichefin Romy Kieliger die Polizei angewiesen habe, man solle die Jungen ernst nehmen. Kieliger habe auch gesagt, die Jungen sollten sich allenfalls an die Stadtpolizei wenden.
Polizeichefin hilft mit
Das haben die Angegriffenen gestern auch probiert. Um 8 Uhr betraten sie den Posten. «Was wollt ihr?», habe ein Polizeibeamter gefragt. «Eine Anzeige aufgeben?» Das könne man hier gar nicht machen, so die Antwort des Beamten. Plötzlich tauchte Polizeichefin Kieliger persönlich auf. Sie nahm die jungen Leute mit in ihr Büro. Dort habe sie mit der Kantonspolizei telefoniert. Zu den Fünf habe sie dann gesagt: «Die Kantonspolizei wird sich bei Ihnen melden, wenn alle Abklärungen für eine Anzeige erfolgt sind.» Und: «Wenn sich bis heute Abend die Kantonspolizei nicht meldet, gelangt wieder an mich.»
Anzeige nun eingereicht
Nun konnte die Anzeige doch noch eingereicht werden. Der am Kopf verletzte Jugendliche deponierte seine Anzeige um 15.30 Uhr bei der Kantonspolizei. «Wahrscheinlich hatte ich auf Druck der Medien Erfolg», glaubt er zu wissen. Im Gespräch mit den Beamten wurde ihm weiter erklärt, dass eine Vorauszahlung für eine Anzeige heutzutage nicht mehr üblich sei.Dazu nimmt die Kantonspolizei schriftlich Stellung: «Einen Kostenvorschuss beim Einreichen einer Anzeige gibt es nicht mehr. Ein solcher wurde vom Schalterbeamten auch nicht verlangt.» Der Polizeibeamte habe einzig darauf aufmerksam gemacht, dass der Privatkläger ein gewisses Kostenrisiko zu tragen habe. Dazu die Erläuterungen der Kantonspolizei: Falls der Angeschuldigte freigesprochen werden sollte oder die Untersuchung eingestellt würde, könnten die Verfahrenskosten ganz oder teilweise dem Ankläger auferlegt werden. Zum Gerücht, die Anzeige sei deshalb nicht angenommen worden, weil der Vater der beiden rechtsgesinnten Brüder bei der Polizei arbeite, nimmt die Kantonspolizei in einem Communiqué Stellung: «Wir weisen die Unterstellung, wonach allfällige verwandtschaftliche Beziehungen einen Einfluss auf das korrekte und rechtmässige Verhalten der Polizei gehabt haben könnten, zurück.
Hickhack um eine Anzeige gegen rechte Gewalttäter
Fünf Jugendliche wurden Opfer rechter Gewalt. Ihr Versuch, Anzeige zu erstatten, wurde zum Spiessrutenlauf.
Letzten Samstag wurden fünf Jugendliche von zwei stadtbekannten Rechtsradikalen angegriffen. Die zwei Brüder, der eine 16, der andere 19 Jahre alt, brausten mit einem Auto heran und näherten sich. Ohne viele Worte zu verlieren attackierten sie die fünf.
Der Spiessrutenlauf
Am Montag versuchten die Angegriffenen bei der Kantonspolizei in Burgdorf die Gewalttäter zu verzeigen. Der anwesende Beamte nahm aber die Anzeige nicht entgegen. Seine Begründung: Er könne die beiden Polizisten, die am Samstag vor Ort gewesen seien, nicht erreichen. Zudem teilte er den Jugendlichen mit, eine Anzeige koste im Voraus zwischen 300 und 500 Franken, was jedoch nicht der gängigen Praxis entspricht. Daraufhin schaltete sich die Chefin der Stadtpolizei Burgdorf, Romy Kieliger, ein. Sie wies die Kapo an, die Sache Ernst zu nehmen und forderte die Jungen auf, sich allenfalls an die Stadtpolizei zu wenden.Das haben die fünf gestern morgen versucht. Als sie den Posten betraten, gab der Beamte ihnen zu verstehen, bei ihm könnten sie keine Anzeige einreichen. Da tauchte Polizeichefin Kieliger auf und machte die Angelegenheit definitiv zur Chefsache. Sie telefonierte persönlich mit der Kapo und veranlasste, dass die Opfer am Nachmittag doch noch eine Anzeige einreichen konnten.
Gerücht zurückgewiesen
Zum Gerücht, die Anzeige sei deshalb nicht angenommen worden, weil der Vater der beiden rechtsgesinnten Brüder bei der Polizei arbeite, nimmt die Kantonspolizei in einem Communiqué Stellung: «Wir weisen die Unterstellung, wonach allfällige verwandtschaftliche Beziehungen einen Einfluss auf das korrekte und rechtmässige Verhalten der Polizei gehabt haben könnten, zurück.» BZ