«Gesagt, was es zu sagen gibt»

Aargauer Zeitung. Nicht zuletzt auf Druck seiner Partei gibt Jonas Fricker sein Nationalratsmandat nach umstrittenen Äusserungen auf.

Er war der Einzige, der am Donnerstag im Nationalratssaal auf die ungeheuerlichen Aussagen von Jonas Fricker (Grüne/AG) reagierte. SVP-Nationalrat Roland Büchel (SG) trat ans Rednerpult und sagte, er sei «geschockt» gewesen: «Heute hat ein Redner gesagt, dass es die Tiere schlimmer hätten, als es damals die Menschen in Auschwitz gehabt hätten, weil sie quasi dem sicheren Tod entgegengingen und die Menschen in Auschwitz noch eine kleine Lebenschance gehabt hätten.»

Gestern sagte Roland Büchel dazu: «Ich hätte Fricker am liebsten am Kragen gepackt, fasste mich dann aber, atmete tief durch.»

Was den SVP-Nationalrat noch jetzt irritiert: Dass ausser ihm niemand reagierte. Natürlich sei der Saal halb leer gewesen, viele hätten nicht zugehört, es herrschte Kehrausstimmung. Dass gerade die Grünen nicht sofort intervenierten, verstehe er nicht.

Aber auch vom Nationalratspräsidium kam keine Reaktion. Auch von Präsident Jürg Stahl (SVP) nicht, der die Sitzung leitete.

Mittlerweile haben die Grünen reagiert, umso heftiger und entschlossener. Nach internem Druck – gerade auch vonseiten der Aargauer Grünen – hat Jonas Fricker am Samstag gegenüber der «Schweiz am Wochenende» seinen Rücktritt aus dem Nationalrat erklärt. «Nach Einschätzung der Situation habe ich ihm gesagt, dass ein Rücktritt wahrscheinlich die beste Lösung ist», sagt der Aargauer Grünen-Präsident Daniel Hölzle im Interview mit der «Aargauer Zeitung».

Druck der Grünen nachgegeben

Doch nicht nur Frickers unsäglicher Vergleich von Schweine-Transporten mit dem Holocaust hat viele erschüttert. Sondern auch die saloppe Weise, mit der er sich später am Rednerpult entschuldigte. Nicht etwa bei den Holocaust-Opfern, sondern bei den Parlamentariern: «Ich möchte mich in aller Form für meinen unangemessenen Vergleich entschuldigen, den ich in meiner Naivität gemacht habe. Danke, dass Sie meine Entschuldigung annehmen. Sie kommt von Herzen.» Das sagte er mit einem Lächeln im Gesicht.

Das kam auch bei den Grünen gar nicht gut an. Ebenso wenig seine wolkigen Aussagen in der «Nordwestschweiz» vom Freitag. Auf die Frage, ob er Antisemit sei, sagte er nur: «Nein, ich habe alle Menschen gerne.» Die Grünen mussten mit weiterem Unheil rechnen. Es drohte eine endlose Affäre Fricker wie vorher schon die Affären Geri Müller oder Jolanda Spiess-Hegglin in Zug. Schnelles Handeln war angesagt. «Die Nerven waren diesmal bei einigen schnell blank», heisst es. Fricker sei beschieden worden: «Entweder gehst du, oder es wird dreckig.»

Erzwangen die Grünen also Frickers Rücktritt? Die Genfer Nationalrätin Lisa Mazzone, Vizepräsidentin der Grüne Schweiz, sagt es so: «Wir standen in stetem Austausch mit Jonas Fricker. Tatsache ist: Es gibt nur eine Person, die über den Rücktritt aus dem Nationalrat entscheiden kann: der Betroffene selbst. Und das hat er getan. Er hat die klarst mögliche politische Konsequenz aus einem schweren Fehler gezogen, den er begangen hat. Das verdient Respekt.»

Inhaltlich sagt sie: «Wir Grünen haben sofort reagiert und seine Aussagen zurückgewiesen und verurteilt, uns ohne Wenn und Aber davon distanziert. Menschen und Tiere zu vergleichen und auf eine Ebene zu stellen, ist inakzeptabel und falsch. Die Grünen engagieren sich sehr für das Tierwohl und den Tierschutz. Aber es gibt eine klare Trennung zwischen Mensch und Tier, darüber gibt es keine Diskussion.» Mit dem Rücktrittsschreiben zeige Fricker, «dass er sich von seiner Aussage in grösster Deutlichkeit distanziert und mit Würde und Konsequenz handelt».

Üble Geister geweckt

Jonas Fricker hat mit seinen Aussagen üble Geister geweckt. Lisa Mazzone sagt: «Ich persönlich habe nur Reaktionen erhalten von Leuten, die die Aussage als inakzeptabel erachtet haben.» Aber Genf sei nicht die Restschweiz, wo es teils anders tönt. Ein Problem der Grünen: Sie haben einen Flügel mit Tierrechtsfana- tikern und Ecopop-Sympathisanten. Von da erfuhr Fricker denn auch Zuspruch, etwa auf Social Media. SVP-Nationalrat Büchel umgekehrt, der sich gegen Frickers Aussagen stellte, erhielt in den letzten Tagen viele hasserfüllte E-Mails. Es gibt Leute, die solidarisieren sich jetzt nicht nur mit Fricker, sondern auch mit seinen widerrufenen Aussagen.

Fricker selbst wollte sich gestern nicht mehr äussern. Er teilte mit: «Die letzten Tage habe ich gesagt, was es zu sagen gibt. Sehr wichtig ist mir, dass der Schweizerische Israelitische Gemeindebund meine Entschuldigung angenommen hat und darum bat, diesen Fall nicht zu skandalisieren. Wir sind alle nur Menschen, und ich bin sicher, dass Sie Verständnis dafür haben, dass ich nun Ruhe brauche.»

Nachgefragt

«Kein Skandal, aber eine skandalöse Dummheit»

Gelassen und abgeklärt wie eh und je: Der ehemalige Parteipräsident der FDP und Urner Alt-Nationalrat Franz Steinegger rät, den HolocaustVergleich von Jonas Fricker (Grüne/ Aargau) nun trotz allem nicht zu dramatisieren.

Grünen-Nationalrat Jonas Fricker tritt wegen seiner umstrittenen Äusserungen in der Parlamentsdebatte zurück. Setzt er damit neue Massstäbe im schweizerischen Polit-Betrieb?

Franz Steinegger: Zum Rücktritt will ich mich nicht äussern. Ich habe den Eindruck, das ist ein junger Typ, der wohl unbewusst in etwas reingetrampelt ist. Bar jedes historischen Bewusstseins. Es zeigt, dass er wohl nicht viel Geschichtskenntnisse hat. Ich glaube aber nicht, dass es Ausdruck einer Neubeurteilung der Vorgänge im Zweiten Weltkrieg ist. Ich würde das Ganze nicht einen Skandal nennen, sondern eine skandalöse Dummheit.

Ist das heute ein Problem, mangelt es jungen Leuten an Geschichtsbewusstsein?

Diesen Eindruck habe ich nicht. Mein jüngerer Sohn beispielsweise war soeben in Krakau, dann in Auschwitz. Das hat ihn tief beeindruckt. Vielen Jungen ist es sehr bewusst, was passiert ist, sie setzen sich damit auseinander.

Was kann die Gesellschaft gegen Antisemitismus tun?

Es gibt einen Bodensatz von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in der Gesellschaft. Ich glaube nicht, dass man das Problem mit Gesetzen lösen kann. Was man tun muss: Hinstehen und sagen, was für ein Unsinn da erzählt wird. Es hilft nicht viel, wenn ein Richter gewisse Aussagen und Handlungsweisen verurteilt: Die Gesellschaft muss sie verurteilen.