Newsnet: Die im Januar angekündigte Erhöhung der Mittel des Nachrichtendienstes fiel teilweise dem laufenden Sparprogramm zum Opfer. Für den Genfer Sicherheitsdirektor Pierre Maudet ist das ein «Witz».
Bei den Terrorermittlungen in Genf reisst die gegenseitige Kritik der Behörden nicht ab. Nachdem die Ermittler des Bundes im «Tages-Anzeiger» vom Samstag die Genfer dafür kritisiert hatten, ein eigenes Strafverfahren zu eröffnen, und sich erstaunt gezeigt hatten, dass das Fahndungsfoto von vier Syrern in den Medien aufgetaucht war, holte der Genfer Sicherheitsdirektor Pierre Maudet gestern zum Gegenschlag aus. Die Bundesanwaltschaft habe «klar grünes Licht für unser Vorgehen gegeben», sagte Maudet in einem Interview mit der «SonntagsZeitung». «Uns nun dafür zu kritisieren, ist Blödsinn.»
Gleichzeitig äusserte Maudet seinen eigenen Unmut über die Terrorabwehr des Bundes. Dass der Nachrichtendienst nicht wie nach den Anschlägen auf «Charlie Hebdo» vom Januar angekündigt um sechs, sondern lediglich um zwei Personen aufgestockt worden sei, sei «ein Witz» und nach den neuerlichen Anschlägen in Paris «einfach unglaublich».
Tatsächlich hatte der Bundesrat im Januar angekündigt, kurzfristig für die Terrorbekämpfung sechs zusätzliche Stellen beim Nachrichtendienst zu schaffen. Nachrichtendienstsprecherin Isabelle Graber bestätigte gestern auf Anfrage, dass aber vier andere Stellen dem laufenden Sparprogramm zum Opfer gefallen seien. Unter dem Strich sei der Nachrichtendienst also lediglich um zwei Stellen gewachsen. In welcher anderen Abteilung abgebaut wurde, gab Graber nicht bekannt. Es sei zu mehreren Entlassungen gekommen.
Mittel umschichten als Lösung?
Der Bundesrat wird möglicherweise schon bald über eine substanziellere Aufstockung bei der Terrorabwehr beraten. Justizministerin Simonetta Sommaruga sagte vor einem Monat, entsprechende Abklärungen seien im Gang. Beantragen könnte die zusätzlichen Mittel die Kerngruppe Sicherheit. Ihr gehören der Direktor des Nachrichtendienstes, Markus Seiler, die Direktorin des Bundesamts für Polizei, Nicoletta della Valle, und der Staatssekretär des Aussendepartements, Yves Rossier, an. Seit den Anschlägen von Paris hielt die Gruppe drei Sitzungen ab. Laut einer zuverlässigen Quelle wird sie nächste Woche erneut zusammenkommen. Damit könnte der Bundesrat bereits an seiner letzten ordentlichen Sitzung vor den Weihnachtsferien am Freitag über zusätzliche Mittel entscheiden.
FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger hat kein Verständnis für das Hin und Her bei den Finanzen des Nachrichtendienstes. «Wenn es irgendwo einen Anschlag gibt, beschliesst der Bundesrat öffentlichkeitswirksam mehr Mittel, nur um diese ein halbes Jahr später wieder wegzunehmen. Das macht keinen Sinn», sagt die Vizepräsidentin der Geschäftsprüfungsdelegation, die den Nachrichtendienst beaufsichtigt. Eichenberger verlangt 20 bis 30 neue Stellen beim Nachrichtendienst. Weil das wohl illusorisch sei, müsse das Verteidigungsdepartement intern Mittel zugunsten der Terrorbekämpfung umschichten, sagt Eichenberger.
Trotz erhöhter Terrorgefahr hat gestern in Genf die Fête de l’Escalade wie geplant stattgefunden. Das Aufgebot der Sicherheitskräfte war gross. Am Samstagabend hatte der Genfer Generalstaatsanwalt Olivier Jornot über den Stand der Ermittlungen informiert, die letzte Woche durch einen Hinweis der USA gestartet worden waren. Die zwei am Freitag unter Terrorverdacht verhafteten Syrer sprächen kein Französisch, seien am Tag ihrer Verhaftung mit dem Auto in die Schweiz eingereist und man habe im Fahrzeug Spuren von Sprengstoff gefunden, sagte der Chefermittler. Die Frage, um welche Art Sprengstoff es sich handle, wollte der Generalstaatsanwalt nicht beantworten.
Reifenpanne half der Polizei
Offenbar waren die beiden Syrer ein «Zufallsfang» der Gendarmerie. Die Polizei wurde Medienberichten zufolge auf sie aufmerksam, als sie am Strassenrand einen platten Pneu wechseln wollten. Bislang ist nicht klar, ob zwischen den beiden Verhafteten und den vier Syrern, vor denen die USA ursprünglich gewarnt hatten, ein Zusammenhang besteht. Die vier Gesuchten hat man bislang nicht aufspüren können.
Im Zuge der Terrorermittlungen führte die Genfer Polizei eine Hausdurchsuchung durch und fand dabei ein Waffenarsenal mit einer Vielzahl von Kalaschnikows und Pistolen. Die Waffen gehörten einem Mann, der in der rechtsextremen Szene verkehrt und auch Naziliteratur und eine Reichskriegsflagge zu Hause hatte. Gemäss Jornot kann er aber nicht einer terroristischen Gruppierung zugeordnet werden.
Auch Generalstaatsanwalt Jornot nahm Stellung zur Kritik des Bundes. Man habe «pragmatisch» und «ohne exzessiven Formalismus» vorgehen wollen und die Bundesanwaltschaft «Minute für Minute» über die Ermittlungen informiert, sagte Jornot. Das Strafverfahren gegen die zwei verhafteten Syrer werde man nun der Bundesanwaltschaft abtreten. Die Genfer Behörden würden ihre Ermittlungen in den nächsten Tagen aber weiterführen. Die Bundesanwaltschaft teilte mit, sie habe in Bezug auf die Terrorwarnung für Genf ein zweites Strafverfahren eröffnet, das sich auf die verhafteten Syrer konzentriert. Sie werden verdächtigt, Sprengstoffe und giftige Gase hergestellt, verborgen und weitergeschafft zu haben und Verbindungen zur al-Qaida und zum Islamischen Staat zu haben.