Südostschweiz: Grossaufmarsch: 6000 Rechtsextreme reisten ins Toggenburg an ein Konzert und haben die Gemeinde Unterwasser in Aufruhr versetzt. Diese prüft nun rechtliche Schritte.
Das Neonazi-Konzert mit rund 6000 Besuchern in Unterwasser im Toggenburg vom Samstag könnte ein rechtliches Nachspiel haben: Die Gemeinde will mit der Staatsanwaltschaft prüfen, ob Strafnormen verletzt wurden, etwa durch rechtsextreme Liedtexte.
Dies sagte der Gemeindepräsident von Wildhaus-Alt St. Johann, Rolf Züllig, gestern der Schweizerischen Depeschenagentur. Mit Konsequenzen müssen laut Züllig auch die Veranstalter des Grossanlasses rechnen, weil sie bei der Gemeinde mit falschen Angaben «eine Bewilligung erschlichen» hätten.
Anzeigen wegen des Konzerts gab es bisher keine, wie Züllig auf Anfrage sagte. Der Gemeindepräsident zeigte sich froh, dass es nicht zu Ausschreitungen gekommen sei. Er habe jedoch einige kritische E-Mails von Dorfbewohnern erhalten.
Gemeinde «völlig überrumpelt»
Unterwasser sei vom Anlass «völlig überrumpelt» worden. Er selber sei am Samstag an einem Fussballmatch in Werdenberg gewesen, als er vom Grossaufmarsch erfahren habe, sagt Züllig. Ein «besorgter Bürger» habe ihm geschildert, was gerade in Unterwasser passiere: Hunderte Autos, Busse und Cars waren unterwegs ins Obertoggenburg und verstopften die Strassen. Darin sassen keine gewöhnlichen Touristen, sondern Neonazis – und zwar viele. Rund 6000 «unverkennbare» Neonazis hatten Unterwasser überschwemmt.
Die Gesuchsteller für das Konzert hätten Schweizer Nachwuchsbands und etwa 600 bis 800 Zuschauer angekündigt. Zu hören waren aber deutsche Bands wie Stahlgewitter, Frontalkraft oder Exzess, welche in der Neo-naziszene prominent sind. Auch die Schweizer Gruppe Amok trat auf.
Laut dem Sprecher der Kantonspolizei St. Gallen, Gian Andrea Rezzoli, war der Polizei seit Längerem bekannt, dass «im süddeutschen Raum» ein solches Konzert stattfinden sollte. Vom Treffpunkt Ulm seien die Besucher ins Toggenburg weitergeleitet worden.
Toggenburg «sicheres Nazigebiet»
Die Besucher waren mittels Flyer dazu aufgerufen worden und bekamen die Infos zum Anlass via Telefon. Die Polizei habe den Veranstaltungsort erst durch die Anreise der Konzertbesucher nach Unterwasser erfahren. Die Leute kamen aus Deutschland, den Niederlanden und anderen Ländern.
Auf dem Flyer der Veranstaltung war ein zynischer Gruss der «Reichsmusikkammer» aufgedruckt. Diese war in der Zeit des Dritten Reiches für die Förderung und «Reinigung» deutscher Musik sowie für die Verbannung «entarteter» Musik aus der Öffentlichkeit zuständig.
Am Samstag beobachtete die Polizei in Unterwasser den Anlass, stellte aber laut Rezzoli keine Probleme fest. Alles sei «mustergültig organisiert» gewesen, von der Einweisung der Fahrzeuge bis zum Einsammeln der Abfälle. Laut der «Antifaschistischen Aktion», die auf ihrer Website über rechtsextreme Aktivitäten informiert, gehörte das Konzert in Unterwasser zu den grössten Neonazi-Events, die jemals in der Schweiz stattgefunden haben.
Es sei erstaunlich, «dass eine so grosse Anzahl Rechtsextremisten – teils in Cars – derart problemlos in die Schweiz einreisen konnte», kommentiert die Aktion den Anlass auf ihrer Website. Das Toggenburg scheine «für Neonazis sicheres Gebiet» zu sein. Schon 2013 habe in Ebnat-Kappel ein Konzert mit mehreren hundert Teilnehmern stattgefunden. (sda/hrt)
Hotels ausgebucht
Der Neonazi-Grossandrang am Samstagabend hat die Hoteliers in Unterwasser gefordert . Gegen 16 Uhr seien die Besucher im 1000-Seelen-Dorf eingetroffen und hätten sämtliche Zimmer belegt. «Wir hatten keinerlei Informationen, dass so viele Leute kommen würden», sagt Rainer Hürlimann, Inhaber des Hotels «Post» in Unterwasser, das direkt gegenüber der Tennishalle steht. «Wir wussten zwar vom Anlass, aber wir dachten, es kämen etwa 500 oder 600 Leute.» So sei die Veranstaltung auch bei der Gemeinde gemeldet geworden. Es sei aber alles friedlich verlaufen, sagt Hürlimann. Natürlich sei es teilweise etwas laut geworden, was aber bei einem Anlass dieser Grössenordnung normal sei. Zwischenfälle, wie man sie mit Rechtsextremen teilweise aus Fernsehberichten kenne, habe es in Unterwasser keine gegeben. (hrt)
Acht Fragen an …
Fabian Eberhard
Fabian Eberhard Journalist («Sonntagszeitung»; «Zeit online») und Szenenkenner
1 Warum erreicht der Anlass eine neue Dimension? Es gab in der Schweiz immer mal wieder Konzerte mit wenigen hundert Teilnehmern. Doch 6000 Rechtsextreme, das ist eine völlig neue Dimension. Das gab es in der Schweiz noch nie. Auch für Europa kann ich mich nicht erinnern, dass es in den letzten Jahren Neonazi-Konzerte dieser Grössenordnung gegeben hätte. Die Teilnehmer reisten aus Deutschland, Tschechien, den Niederlanden, Russland und weiteren Ländern an.
2 Was bedeutet es, wenn Events mit solchen Besucherzahlen durchgeführt werden können? Solche internationalen Anlässe sind für die Vernetzung der Szene enorm wichtig. Die Konzerte werden zum Austausch genutzt und um neue Anhänger zu rekrutieren. Sie fördern das Gemeinschaftsgefühl und stärken die Szene. Dass ein solch riesiges Konzert von den Behörden geduldet wird, gibt den Extremisten zudem das Gefühl, dass ihre Ansichten legitim seien.
3 Weshalb haben die Organisatoren die Schweiz für den Anlass ausgewählt? Die Schweiz gilt in der Szene als Konzertparadies. In Deutschland handhaben die Behörden solche Anlässe deutlich restriktiver. Die Schweizer belassen es meist beim Beobachten von Aussen.
4 Warum sind eher ländliche Gebiete wie das Toggenburg so beliebt für diese Art von Konzerten? In ländlichen Gegenden gibt es eher Vermieter, die Hand für solche Anlässe bieten. Zudem wollen die Rechtsextremen unter sich bleiben. Ohne mit einem Grossaufgebot der Polizei oder mit linken Gegenprotesten rechnen zu müssen.
5 Wie eng ist die Zusammenarbeit in der Neonaziszene zwischen der Schweiz und Deutschland? Es gibt eine punktuelle Zusammenarbeit. Das meiste läuft über freundschaftliche Kontakte. Aber insbesondere zwischen Schweizer und deutschen Aktivisten von «Blood and Honour», die den Anlass organisierten und in Deutschland verboten sind, bestehen enge Verbindungen.
6 Die Polizei redet von einem Rockkonzert und bestätigt nicht, dass Neonazis in Unterwasser gewesen sind. Was für Leute waren dort wirklich anwesend? Zumindest Rechtsextreme. Der Veranstaltungsort war bis zuletzt geheim. Nur Leute, die stark im rechtsextremen Milieu vernetzt sind, hatten Kenntnis vom Konzert. Die Bands stammen allesamt aus der militanten Neonazi-Szene. Bilder zeigen zudem einschlägige Klientel.
7 Wie könnte man in Zukunft geschickter umgehen mit solchen Zusammenkünften? Das Problem ist, dass die Gemeinde Unterwasser den Anlass bewilligte. Das darf nicht passieren. Die Kantonspolizei beobachtete dann nur. Ins Innere der Halle ging sie nicht. Kein Wunder also, dass keine Verstösse gegen die Rassismusstrafnorm festgestellt wurden. Die Bands hetzen in ihren Songs offen gegen Ausländer und Linke und rufen zur Gewalt gegen Andersdenkende auf. Das passierte sicher auch am Konzert in Unterwasser.
8 Hat die Schweiz die Szene im Griff? Ja. Aber bei all dem Fokus auf den Islamismus wäre es wichtig, die rechtsextreme Szene nicht aus den Augen zu verlieren. Insbesondere in den umliegenden Ländern erstarkt die rechtsextreme Szene seit Jahren. In Deutschland brennen mittlerweile täglich Asylunterkünfte. Und auch in der Schweiz gibt es rund 1000 gewaltbereite Rechtsextremisten. Die Stimmung kann schnell kippen. ( feb )