Tages-Anzeiger
Â
Deutschland streitet weiter über ein Verbot der NPD. Die Rechtsextremen werdenÂ
derweil immer militanter.Â
Â
Von Sascha Buchbinder, BerlinÂ
Eigentlich sind sich alle einig: Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist eineÂ
gefährliche rechtsextremistische Organisation, in der gewaltbereite Neonazis eine HeimatÂ
finden. Seit Montag befasst sich der Petitionsausschuss des Bundestags mit einer Eingabe vonÂ
175 000 Bürgern, die ein Verbot der Partei fordern – aber noch ohne Ergebnis. Dennoch erklärteÂ
der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Sebastian Edathy (SPD), am MontagÂ
resigniert, er rechne nicht damit, dass die Grosse Koalition einen Anlauf für ein Verbot nehme.Â
Es fehle den Parteien an der nötigen Einigkeit.Â
Der Grund dafür: Das Verfassungsgericht hatte 2003 gefordert, dass die Geheimdienste vorÂ
dem Prozess ihre Verbindungsleute in der Parteiführung abschalten müssten. Die InnenministerÂ
von CDU und CSU befürchten, dass der Staatsschutz dadurch blind würde, und lehnen denÂ
Schritt ab. Dagegen erklärte der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD), dass die SPD inÂ
den von ihr regierten Ländern die V-Leute bereits aus dem innersten Führungszirkel abgezogenÂ
habe.Â
Neuer Höchststand bei DeliktenÂ
Fast zeitgleich wurde bekannt, dass die Zahl der rechtsextremen Delikte 2008 auf einen neuenÂ
Höchststand gestiegen ist. Gemäss der erst vorläufigen Statistik zählten die Behörden 13 985Â
Delikte – 2007 waren es noch knapp 11 000 gewesen. 773 Personen wurden vonÂ
Rechtsextremen verletzt. Dabei ist die offizielle Statistik – wie alle Kriminalsstatistiken –Â
interpretationsbedürftig und spiegelt nur die gemeldeten Delikte. So listete das InnenministeriumÂ
noch 2008 nur 40 von Rechtsextremen Getötete seit der Wiedervereinigung auf. JournalistenÂ
zählten dagegen im selben Zeitraum mindestens 99 Tote, Opferberatungsstellen sprechenÂ
sogar von über 120.Â
Beobachter der Szene bezeichnen den raschen Anstieg der Straftaten in den letzten Jahren alsÂ
dramatisch. Sie beobachten ein gestärktes Selbstbewusstsein der Rechten. Bestätigt wurdeÂ
diese Einschätzung letzten Monat durch die Tatsache, dass in Dresden 6000 Rechtsextreme zuÂ
einem Gedenkmarsch für die deutschen Opfer der Fliegerangriffe im 2. WeltkriegÂ
aufmarschierten – so viele wie noch nie.Â
In der NPD wird dieser Tage offen ein Richtungsstreit ausgetragen. Für den Geschmack derÂ
Neonazis in der Partei fährt die bisherige Führungsriege einen zu sanften Kurs. Beim EndeÂ
März stattfindenden Parteitag muss der bisherige Parteichef Udo Voigt um seine WiederwahlÂ
bangen. Sein Problem: 2008 blieben die Wahlerfolge aus. Ausserdem steht die Partei vor derÂ
Pleite. Der bisherige Schatzmeister sitzt wegen Betrugsverdachts in Haft, der NPD drohenÂ
wegen manipulierter Bilanzen Strafzahlungen in Millionenhöhe.
Gleich drei Gegenkandidaten für den Parteivorsitz sind nun in Diskussion: Andreas Molau, UdoÂ
Pastörs und Jürgen Rieger. Molau steht tendenziell für die Weiterführung des Versuchs, durchÂ
gemässigtes Auftreten die NPD für Frustrierte und Rechtsbürgerliche wählbar zu machen.Â
Pastörs dagegen träumt von Systemüberwindung durch eine «soziale Revolution», und mitÂ
Rieger tritt ein Mann an, der Molau als «Achteljuden» beschimpft. Immobilienspekulant RiegerÂ
hatte schon früher grössere Summen für die Parteikasse aufgetrieben. Die finanzielleÂ
Schieflage der NPD könnte ihm deshalb ganz gelegen kommen – und die Partei weiterÂ
radikalisieren.Â
BILD NIGEL TREBLIN/AFPÂ
NPD-Anhänger, kritisch beobachtet, bei einem Protestmarsch im Oktober 2007 im norddeutschenÂ
Hildesheim.Â