Nach den Vorfällen an der Solätte in Burgdorf brennt die Frage ganz besonders: Wer fängt die Schlägereien zwischen Linken und Rechten eigentlich an? Für Szenenkenner Hans Stutz ist klar: In den meisten Fällen sind es die Rechten.
Langenthal, Solothurn und immer wieder Burgdorf – Hans Stutz, warum stossen die Rechts- und die Linksextremen immer in den Kleinstädten des Mittellandes aufeinander?
Hans Stutz: Nun, die Rechtsextremen sind in dieser Region zu Hause.
Trotzdem. Von Burgdorf nach Bern ist es nicht weit. Zudem haben rechtsextreme Gruppierungen zumindest eine Zeit lang von der Agglo Bern aus operiert.
Rechtsextreme haben in den grossen Städten erfahrungsgemäss und dies seit vielen Jahren kaum Zulauf und deshalb auch kaum Mitglieder. Und Treffs gibt es hier auch nicht.
Warum ist das so?
Darüber gibt es keine Untersuchungen. Ich denke aber, dass es damit zu tun hat, dass die Linke – und dabei denke ich nicht nur an die antifaschistische Bewegung Antifa – in den Städten viel dominanter ist. Sie hat hier quasi die «Strassenhoheit» errungen.
Und besetzt von vornherein wichtige Themen.
Ja, besonders im kulturellen Bereich mit seinen vielen Veranstaltungen. Deshalb läuft es bei den Linken genau anders als bei den Rechten: Die Antifa-Aktivisten kommen zum Teil ja auch vom Land, sie treffen sich aber in den Städten.
Nach einer Prügelei stellt sich die immer gleiche Frage: Wer hat angefangen? Die Rechte? Die Linke? Anders gefragt: Welche Seite ist gewalttätiger?
Nach meiner Einschätzung handelt es sich bei den so genannten Zusammenstössen meist um Angriffe der Rechtsextremen. Zuerst wird beschimpft, dann dreingeschlagen, wobei die Prügelei von Anfang an das Ziel ist.
Und damit fangen immer die Rechtsextremen an? Wer mit ihnen redet, bekommt etwas anderes zu hören: Die Linke provoziere genau gleich.
Die Rechtsextremen sehen sich grundsätzlich immer als Opfer. Selbst dann, wenn die Fakten offensichtlich anders liegen.
Wobei sich auch die Linken immer als Opfer sehen. So sind die Antifa-Communiqués zwar faktisch gut recherchiert. In der Wertung ist aber klar, wer gut und wer böse, wer Opfer und wer Täter ist.
Das stimmt, und es gibt tatsächlich einen Bereich, den die Antifa nicht an die Öffentlichkeit trägt – dann, wenn Leute aus ihrem Umkreis auf Rechtsextreme losgehen.
Aber solche Zwischenfälle sind selten.
Nach meinem aktuellen Wissensstand, ja.
Geht es bei den Schlägereien tatsächlich nur um die verschiedenen politischen Ansichten? In Burgdorf fällt auf, dass sich links wie rechts stets die gleichen Jugendlichen gegenüberstehen, Leute, die sich seit ihrer Kindheit kennen und sich wohl schon anderweitig in die Haare geraten sind.
Trotzdem entzünden sich die Auseinandersetzungen nie daran, ob sich Hansli und Fritzli in der Kindheit gemocht haben. Wer die Vorkommnisse der letzten Zeit analysiert, stellt fest, dass sich die Beteiligten sehr bewusst der einen oder anderen Szene zugehörig fühlen. Es geht immer darum, wer politisch wie denkt.
Am antifaschistischen Wochenende in Burgdorf war von einem neuen Auftritt der extremen Rechten in Deutschland die Rede. Die Uniform aus Bomberjacke, Springerstiefeln und Glatze sei passé, modische Kleidung dafür Trumpf.
Es gibt auch bei uns Rechtsextreme, die sich von diesem Outfit lossagen, aber weiterhin in der Bewegung aktiv bleiben. Inwieweit der neue Auftritt Taktik ist, um salonfähig zu werden und mehr politischen Einfluss zu erlangen, lässt sich zur Zeit allerdings nur sehr schwer einschätzen.
Interview: Stephan Künzi
Hans Stutz (52) ist Journalist und langjähriger Beobachter der rechtsextremen Szene in der Schweiz.
Plakate werben für Toleranz
Seit Anfang Juli fordern in Burgdorf Plakate mit dem Text der «Berner Erklärung» zum Nachdenken über Gewalt auf.
«Ich lasse mich nicht provozieren», lautet ein Satz der «Berner Erklärung». «Ich nehme mir vor, auf Gewalt zu verzichten», ein anderer. Der Text des Schriftstellers Lukas Hartmann soll im Rahmen einer Kampagne des Vereins Region Bern zum Nachdenken über Gewalt anregen – unter anderem auf Plakaten. Auch Burgdorf beteiligt sich an der Kampagne. Und dies früher als geplant. Nachdem es Ende Juni an der Solätte zu gewalttätigen Vorfällen gekommen war, entschloss sich die Jugendbeauftragte Andrea Staub kurzerhand, die erst für August geplante Plakataktion umgehend zu lancieren: «Wir müssen hinstehen und solche Vorfälle klar verurteilen», sagt sie dazu.
An sieben Standorten ist nun der Text der «Berner Erklärung» zu lesen. In Geschäften liegen zudem Postkarten mit dem Text auf. Auch die Meinung der Bevölkerung ist gefragt. Die Plakate vor der Migros und beim Oberstadtweg haben eine weisse Rückseite, die allen offen steht, um Gedanken zu Gewalt, Diskriminierung, Toleranz und Respekt hinzuschreiben. Das lässt sich auch per Karte tun.
«Die Probleme mit der rechten Szene nehmen eher wieder zu», schätzt Andrea Staub die aktuelle Situation ein. Nach den Solätte-Vorfällen hat sie sich bei der regionalen Beratungs- und Fachstelle gggfon gemeldet und arbeitet derzeit mit gggfon-Leiter Giorgio Andreoli Massnahmen aus, um der Gewalt und der angespannten Stimmung in Burgdorf zu begegnen. Verstärkt gegen Gewalt und Diskriminierung sensibilisieren, klarere Zeichen setzen und sich direkter mit den Gewalttätigen auseinander setzen – so umreisst sie ein mögliches Vorgehen. Konkret ist aber noch nichts. «Was wir genau machen werden, muss auch mit den Behörden zuerst noch diskutiert werden», so die Jugendbeauftragte. Lucia Probst