«Für das Opfer war es ein Martyrium»

BernerZeitung

Einmal lebenslänglich, zweimal 16 Jahre Zuchthaus: Die drei Täter hätten ein «äusserst schweres Verschulden» an den Tag gelegt, sagte Gerichtspräsident Thomas Zbinden in seiner Urteilsbegründung.

Stefan Geissbühler

«Selten liegen Ohnmacht und Macht so nah beisammen wie in diesem Fall»: Gerichtspräsident Thomas Zbinden eröffnet im Berner Amthaus das Urteil des Kreisgerichts Interlaken-Oberhasli. Marcel M. , Michael S. nd Renato S. sitzen vor ihren Verteidigern, hören bewegungslos zu. Schwer sei sie gewesen, die Aufgabe des Gerichts, stellt Richter Zbinden fest. Schwer, weil die Tötung des 19-jährigen Marcel von Allmen «Züge einer minutiös geplanten Exekution» aufweise und «weil die Tat aufwühlt und sprachlos macht».

Schwer aber auch, weil der rechtsextreme Hintergrund der Tat «nicht zu unserer Heimat, die sich mit Hochglanzprospekten als Paradies verkauft, passt», sagt der Richter nachdenklich. Schwer sei die Aufgabe des Gerichts schliesslich gewesen, weil die drei jungen Männer neben dem Mord an Marcel von Allmen zudem geplant hätten, auf dem Bödeli zwei weitere Menschen umzubringen.

Hände zum Gebet gefaltet

Zur Eröffnung der Schuldsprüche müssen die drei Angeschuldigten aufstehen. Alle drei haben die Hände gefaltet und nehmen die harten Strafen regungslos entgegen. Zuerst ist Marcel M. an der Reihe: Lebenslänglich Zuchthaus wegen vollendeten Mordes an Marcel von Allmen, wegen unvollendet versuchten Mordes (an Marcel von Allmen einen Tag vor dem vollendeten Mord), wegen unvoll-endet versuchten Mordes (an einem 18-jährigen Jugoslawen) sowie wegen mindestens fünffacher strafbarer Vorbereitungshandlungen zu Mord (an einem 19-jährigen Schweizer) lautet das Verdikt. Marcel M. zeigt keine Reaktion.

Zu je 16 Jahren Zuchthaus verurteilt das Gericht Michael S. nd Renato S. – es sind diesel-ben Schuldsprüche wie beim 25-jährigen Marcel M. Und wie dieser nehmen die beiden 24-Jährigen ihre Urteile ohne sichtbare Regung entgegen.

Die Wortgewalt des Führers

«Das jugendliche Alter der drei Angeschuldigten war kein wesentlicher Faktor für die Taten», hält Richter Zbinden darauf in seiner zweistündigen mündlichen Urteilsbegründung fest. Dem Gericht sei vor allem die «Wortgewalt» von Haupttäter Marcel M. aufgefallen. «Auf dem Bödeli umgab Marcel M. nach seiner Verurteilung zu 18 Monaten bedingt wegen vier Schüssen in Notwehrexzess auf einen Polizisten die Aura und das Faszinosum der Gewalt», stellt Richter Zbinden fest.

Neben der Wortgewalt des Haupttäters sei dem Gericht aber auch die «betonte Freundlichkeit und Höflichkeit von Marcel M. » aufgefallen, die mit einer «verbalen Aggressivität» kontrastiere. Marcel M. sei die «Führerfigur» im rechtsextremen «Orden der arischen Ritter» gewesen – dem neben den drei Angeschuldigten auch Marcel von Allmen sowie Alexis T. angehörten. Alexis T. wurde vom Jugendgericht bereits wegen Mordes zu einer Massnahme in einem Erziehungsheim verur-teilt – er war beim Mord an Marcel von Allmen erst 17 Jahre alt.

«Ig cha nümme»

Unheimlich wird es im Berner Assisensaal, als der Gerichtspräsident diesen Mord beschreibt – er verliest dabei das Protokoll der Tatrekonstruktion. Richter Zbinden liest vor, wie die Täter ihr Opfer unter einem Vorwand zur mittelalterlichen Ruine Weissenau am Thunersee locken. Wie sie dem Opfer mit Taschenlampen den Weg in die Ruine beleuchten. Wie sie ihm Handschellen anlegen und ihm den Mund mit Klebeband zukleben. Wie sich Marcel M. von Alexis T. eine Eisenstange reichen lässt. Und darauf zuschlägt. Beidhändig. Wie Marcel von Allmen – bereits schwer verletzt am Boden liegend – sagt: «Hör uf, ig cha nümme. » Wie Marcel M. weiter zuschlägt. Auf Marcel von Allmens Kopf. Wie Marcel M. versucht, Marcel von Allmen mit den Händen das Genick zu brechen. Wie die Täter ihr Opfer mit den Füssen treten. Wie sich Marcel von Allmen ein letztes Mal aufrichtet – um weitere Schläge mit dem Eisenrohr auf den Kopf zu erhalten.

«Es war ein Martyrium»

Wie die Täter ihren ehemaligen Schulkollegen in Kehrichtsäcke verpacken, in den Kofferraum eines Autos tragen und ihn schliesslich bei der Beatenbucht aus 80 Metern Höhe in den Thunersee werfen. «Für das Opfer war es ein regelrechtes Martyrium», sagt Richter Zbinden.

Marcel von Allmen habe sterben müssen, weil er das Schweigegebot des «Ordens der arischen Ritter» gebrochen habe und er über die Existenz des gegen Ausländer gerichteten Ordens gesprochen habe. «Weil alle etwas zu verstecken hatten, wurde die ultimative Disziplinierung von Marcel von Allmen beschlossen», sagt Richter Zbinden. Daneben hätten beim Tatentschluss die Gruppenbeziehung der jungen Männer untereinander, deren Charakter, die rechtsradikale Gesinnung und – «marginal – der allgemeine mediale Einfluss durch Gewaltdarstellungen» eine Rolle gespielt. Kurz: «Ein giftiges Gebräu», fasst Richter Thomas Zbinden zusammen. Für die «Serie von Kapitalverbrechen» sei Haupttäter Marcel M. zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe zu verurteilen, sagt der Richter. Das Verschulden von Marcel M. sei «äusserst schwer – so schwer, dass es uns gar nicht mehr in den Kopf ging», gibt Zbinden zu bedenken. Für Marcel M. müsse deshalb die Maximalstrafe des Schweizerischen Strafrechts ausgesprochen werden, für die Mittäter seien je 16 Jahre Zuchthaus angemessen.

«Jetzt müssen sich die drei jungen Männer selber ein Licht am Ende des Tunnels anzünden», sagt Zbinden. Denn auch bei einer lebenslänglichen Strafe bestehe bei guter Führung die Chance einer bedingten Entlassung, allerdings frühestens nach 15 Jahren. Michael S. nd Renato S. können im besten Fall nach zwei Dritteln ihrer Strafe – also nach knapp 11 Jahren – das Zuchthaus verlassen.