STADT BERN / Berns Vergangenheit zur Zeit des Dritten Reichs, als auch hier Nazis marschierten, ist ein wenig erforschtes Kapitel, obwohl in Bern damals immerhin das grösste Treffen der Nationalen Front und ein weltweit beachteter Antisemitismus-Prozess stattfanden. Jetzt liegt eine neue historische Studie vor: «Bund»-Mitarbeiterin Catherine Arber widmete ihre Uni-Lizenziatsarbeit dem Thema.
? RUDOLF GAFNER
Berns Nazis waren auf Provokation aus, als sie im Juni 1933 ausgerechnet ins linke Volkshaus spazierten, um Flugblätter zu verteilen prompt kam es zu einer Schlägerei der Braunen mit den Roten. Damals, im Jahr der Machtergreifung Hitlers, erlebte die Schweiz den «Frontenfrühling»; die Nationale Front (NF) rief in Bern, kaum hatte sie hier mit einer Ortsgruppe Fuss gefasst, zur ersten Kundgebung auf. Ein Auftritt mit weit reichenden Folgen, denn so kam es in Bern zu einem Gerichtsfall, der in der ganzen Welt beachtet wurde.
Berner Fall weltweit bekannt
NF-Leute verbreiteten nämlich judenfeindliche Schriften, so die «Protokolle der Weisen von Zion», angebliche Protokolle von Beratungen einer jüdischen Geheimregierung zur Welteroberung. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund und die Israelitische Kultusgemeinde Bern gingen dagegen vor Gericht, um die «Protokolle» als Fälschung zu entlarven. Im Mai 1935, zwei Jahre später, verkündete der Einzelrichter das Urteil: Diese Schrift sei nichts als «lächerlicher Unsinn», sie verstosse gegen das bernische Schundliteraturgesetz. Anderer Ansicht indes war das Obergericht, das dieses Urteil 1937 aus formaljuristischen Gründen aufhob.Die «Protokolle» seien zwar sehr wohl grob Anstoss erregend, fielen als politisches Kampfmittel aber nicht unter Schundliteratur. Der zu dieser Zeit bereits angeschlagenen Nationalen Front kam dieses zweitinstanzliche Urteil sehr gelegen.
Angriff auf Berner Synagoge
Nicht straflos davon kamen dagegen jene «Fröntler», die 1937 für Empörung sorgten, als sie mit Ölfarbe Parolen an Berner Fassaden malten, so auch «Juda verrecke» an die Berner Synagoge. Die Täter wurden wenn auch bloss wegen Sachbeschädigung verurteilt. Jedoch: «Die Ortsgruppe Bern der Nationalen Front wurde durch dieses Erlebnis nur fester zusammengeschweisst und steht heute geschlossener und stärker da als zuvor», prahlten die braunen Eidgenossen in ihrem Blatt «Front». Die Aufregung um die Mal-Aktion war noch nicht vorbei Berns Stadtregierung verurteilte die «in höchstem Masse verwerflichen» Methoden der NF , als Bern wieder landesweit Frontisten-Schlagzeilen machte: Zwischen 1934 und 1938 gab es in der Schweiz immer wieder frontistische Aufmärsche, Landsgemeinden und so genannte Gautage und die grösste solche Kundgebung fand am 23. Mai 1937 statt: der «Marsch auf Bern».
Höhepunkt «Marsch auf Bern»
Der Aufmarsch war eigentlich in Murten geplant, wurde dort jedoch verboten. Angesagt war er in der Folge in der «Mittelschweiz» nur die Führer der NF wussten, wo genau. Am Morgen des 23. Mai traf bei der Stadtpolizei Bern die Meldung ein, dass sich mehrere DutzendBusse und gut 200 Autos nach Bern bewegen würden und gleichzeitig fuhren Berner Frontisten aus der Stadt hinaus, um, wie es schien, die Polizei hinters Licht zu führen. Ziel aber war der Bundesplatz, wo rund 1000 «Fröntler» aufmarschierten. Es folgte ein unbewilligter Marsch durch die Altstadt, wobei ein Polizist leicht verletzt und ein Tram-Fenster eingeschlagen wurden. Berns Bevölkerung liess sich aber nicht provozieren; der «Bund» lobte, Bern habe gegenüber dem «Frontistenspuk» vorbildliche Disziplin bewahrt.
Und von den Nazis mobilisieren liess sich Bern schon gar nicht: Zwar fanden auch inBern frontistische, insbesondere nationalsozialistische Ideen einigen fruchtbaren Boden. Verglichen aber etwa mit Zürich oder Schaffhausen wo die Bürgerlichen zeitweise sogar mit den Frontisten gegen die Linken paktierten geschah dies bloss in bescheidenem Ausmasse, wie Catherine Arber in ihrer Studie (siehe Fussnote) schreibt. Die Berner Frontisten hattens schwer, sie erlangten keine reale politische Bedeutung, die Ortsgruppe mit 70 Mitgliedern (1937) hatte nie eine Abordnung imParlament, wusste inder Stadt Bern nie mehr als 1,6 Prozent der Wähler hinter sich. Im Berner Stadtrat vertreten war (1940 bis 1943) nur die so genannte Jungbauernbewegung, die ideologisch den Frontisten nahe stand.
«Berner wollen nicht hören»
«Auf unsere frontistischen Parolen wollen die Berner ja doch nicht hören», hiess es 1937 in der «Front». Die Schwäche der Bewegung nationalsozialistischer Prägung lag auch in ihrer Zersplitterung begründet: Bereits 1936 spaltete sich die Eidgenössische Soziale Arbeiterpartei (Esap) von der Nationalen Front ab, 1938 folgte die Abspaltung des Bundes treuer Eidgenossen nationalsozialistischer Weltanschauung (BTE). 1940, Hitlers Wehrmacht überrannte Europa, lebte die Frontenbewegung nochmals auf: NF, BTE und Esaplösten sich auf, und auf deutschen Anstoss hin vereinigten sich schweizerische NS-Organisationen zur Nationalen Bewegung Schweiz (NBS), die in Bern etwa 50 Mitglieder stark war. Heinrich Hersche, 1935 NF-Leiter in Bern, sass nun im NBS-Führungskreis und figurierte übrigens auf einer Liste des SS-Hauptamts als möglicher SS-Führer bei einem allfälligen Einsatz in der Schweiz. 1940 wurde ausserdem die Eidgenössische Sammlung (ES), eine weitere Sammelbewegung, gegründet.
Längst bekannt war die Abhängigkeit der Schweizer Nazis von Hitlers Reich. «Wir sind alle heute sozusagen auf Gnade und Barmherzigkeit denDeutschen ausgeliefert», beklagte der Berner NF-Gauführer Ubald von Roll bereits 1935 in einemBrief. Auch die so genannten Tödtli-Briefe, die 1937 inBern bekannt wurden, belegten die finanzielle Abhängigkeit der «Fröntler» von Berlin; die Briefe entstammten einer Hausdurchsuchung bei Boris Tödtli, NF-Kassenwart in Bern. Und 1940 arbeiteten die deutschen Förderer darauf hin, die NS-Kräfte in der Schweiz zu einen: Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess empfing Frontistenchef Max Leo Keller, der im Falle einer Einverleibung der Schweiz durch Deutschland als Schweizer Nazi-Führer vorgesehen war. Keller, einst Direktor des Amtes zur Einführung neuer Industrien im Kanton Bern, pflegte enge Bande mit der deutschen Botschaft in Bern. Er emigrierte jedoch 1941 nach Deutschland.
Bern kein unberührter Fleck
Ende 1940 hatte der Bundesrat zur inneren Beruhigung die NBS (und die Kommunistische Partei) verboten, 1943 verbot er auch die ES. Im Stillen blieben Frontisten aber bis zumKriegsende tätig. Andere, wie Keller, emigrierten ins Reich oder begingen, wie Tödtli, Suizid. Einige Berner Frontisten wurden wegen Landesverrats verurteilt, weil sie für Deutschland spioniert hatten. Nach Kriegsende 1945 war «politische Säuberung» gefragt, es kam zu «Säuberungsdemonstrationen».Am 5.September etwa versammelten sich in Bümpliz vor dem Haus eines Nazis rund 350 aufgebrachte Leute.
Auch wenn es den Fronten nie gelang, sich in Bern zu etablieren, so war Bern «kein von Frontismus und Nationalsozialismus unberührter Fleck», wie Catherine Arber abschliessend feststellt. Vor allem die Gruppen nationalsozialistischer Prägung hatten allesamt aktive Ableger in Bern und die Gefahr, die von einzelnen Frontisten wie Keller oder Hersche ausging, war nicht zu unterschätzen. Kommt hinzu, dass rechtsextremistische Tendenzen damals über die so genannten Erneuerungsbewegungen hinaus auch in etablierten Parteien zu erkennen waren.