Zentralschweiz am Sonntag; 13.10.2013
Die französischen Rechtsextremen sind immer mehr im Aufwind: Bei den Europawahlen könnte die Nationale Front zur wichtigsten Partei avancieren.
Dass Brigitte Bardot eine kleine Vorliebe für den Front National (FN) hat, war schon bekannt. Diese Woche hat sich ein weiterer Star der französischen Schauspielerzunft zu ihr gesellt: Alain Delon, der zur französischen Staatsbürgerschaft auch die schweizerische besitzt, meinte aus seinem Domizil am Genfersee, er «verstehe und billige» den Erfolg des Front National.
Auch andere Prominente machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube mehr. Unlängst trat der Humorist Jean Roucas an einer FN-Veranstaltung auf. In der Nationalversammlung sitzt bereits Staranwalt Gilbert Collard für die Partei von Marine Le Pen. Solche Parteinahmen wären in Frankreich bisher nicht denkbar gewesen: Der FN galt unter Gründer Jean-Marie Le Pen als Schmuddelkind der französischen Politik. Tochter Marine, die sich am liebsten beim Vornamen nennen lässt, unternimmt aber alles, um ihre Formation nach der Übernahme des Parteivorsitzes 2011 salonfähig zu machen.
Dämme brechen
Und ihre «Operation Normalisierung» ist ein voller Erfolg. Zwischen der bürgerlich-gaullistischen Grosspartei UMP und dem FN brechen Dämme, die bisher unüberwindbar schienen. Der eher besonnene Ex-Premierminister François Fillon will bei den nächsten Kommunalwahlen im März Allianzen mit den Rechtsextremen nicht mehr prinzipiell ausschliessen, sondern zulassen, wenn der FN-Kandidat «weniger sektiererisch» sei als der Linkskandidat.
Seither wogt in der UMP die Debatte, ob sie mit dem Lepenisten anbändeln sollen. Die Konstellation hat sich dabei dramatisch verändert: Laut einer neuen Umfrage wollen 24 Prozent der Franzosen bei den Europawahlen vom Mai FN wählen. Damit wären die Rechten erstmals die grösste Partei in Frankreich: Der konservativen UMP werden 22 Prozent der Stimmen vorhergesagt, den Sozialisten 19 Prozent.
Die Linke zeigt Nerven
Geändert hat sich auch die Lage für die regierende Linke. Das Lager des unbeliebten Präsidenten François Hollande zeigt fast noch mehr Nerven als die UMP. Der FN bricht nämlich längst nicht mehr nur in die bürgerliche Wählerschaft ein, sondern fast noch mehr in die der Sozialisten. Die «einfachen Leute», darunter Arbeiter und Arbeitslose, Rentner und Beamte, laufen in Scharen zu «Marine» über, die sich ein betont soziales, um nicht zu sagen linkes Wirtschaftsprogramm gegeben hat. Im Präsidentschaftswahlkampf 2012 plädierte sie zum Beispiel in bewährter FN-Demagogie für eine Erhöhung aller Löhne um 200 Euro.
Das Wirtschaftsprogramm Le Pens ist längst nicht der Hauptgrund für ihre jüngsten Erfolge. Schuld sind vielmehr die übrigen Parteien und Politiker, die keine Gelegenheit auslassen, sich bei den Franzosen unbeliebt zu machen. Le Pen muss nur noch die Ernteschürze aufhalten. Sie ist die Einzige, die systematisch die politische Unsitte ihres Landes anprangert, dass Wahlversprechen «nur die betreffen, die an sie glauben», wie Ex-Präsident Jacques Chirac einmal voller Zynismus sagte.
Sein Nachfolger Nicolas Sarkozy war ein Meister hochtrabender, zum Schluss aber uneingelöster Versprechen. François Hollande tut es ihm im Elysée gleich.
Eine Tracht Prügel
Die Wähler sind weniger vergesslich. In Frankreich herrschte am vergangenen Sonntag helle Aufregung, weil der FN-Kandidat im Brignoles bei einer Nachwahl über 40 Prozent der Stimmen erhielt; der Linkskandidat schaffte nicht einmal den Einzug in die Stichwahl. Am Fernsehen sagte ein Wähler der südfranzösischen Kleinstadt aber ungerührt: «Die Sozialisten haben das verdient. Sie hören nicht auf uns, also haben sie nun eine Tracht Prügel eingesteckt.»