Walliser Bote: Wallis | In der Risikoanalyse gesellschaftlicher Gefahren lässt sich Sicherheitsdirektor Oskar Freysinger von Piero San Giorgio beraten. Einem Mann, der vom Staat nicht viel hält, dazu aufruft, bewaffnete Bürgerwehren zu gründen und in Kranken sowie Behinderten Menschen sieht, die seiner Meinung nach erst gar nicht existieren dürften.
«Wer garantiert uns, dass wir morgen nicht in Auschwitz landen?!» Solche und ähnliche Fragen schmettert Piero San Giorgio ins Publikum. Stille. Die Antworten liefert er gleich nach: «Dem Staat vertrauen? Ich vertraue dem Staat nicht!» Das war im April. Die im Unterwallis gegründete und gewachsene «Resistance Helvétique» hatte den Autor und «Überlebensspezialisten» als Gastreferent eingeladen.
Eugenik 2.0
Wie der WB weiss, hat der Nachrichtendienst des Bundes die rechtsextreme Gruppierung auf dem Radar. Das Walliser Sicherheitsdepartement auch? Die Kantonspolizei schon, sie war im Frühjahr alarmiert und stand bereit. Wie üblich bei Anlässen, die Rechts- oder Linksextremisten anziehen. Slobodan Despot, Freysingers Kommunikationsberater, sah dies offenbar anders: Auf seinem Blog rührte er die Werbetrommel für die Konferenz. San Giorgio selbst mimte derweil den Ahnungslosen. «Ich kenn euch zwar nicht», begrüsste er die zahlreichen Anwesenden, «aber ihr seid mir sympathisch.» Erst vor Kurzem empfing San Giorgio den bekennenden Faschisten Daniel Conversano für einen Beitrag zu dessen Internet-Sendung. Unlängst war Conversano übrigens auch ins Wallis eingeladen: als Referent bei der Zusammenkunft Rechtsextremer, die ein Wochenende lang die Walliser Kantonspolizei auf Trab hielt.
Freysinger reagierte gestern auf Anfrage genervt: Es sei ihm egal, mit wem San Giorgio spreche. Er spreche ja auch jede Woche mit Esther Waeber-Kalbermatten und sei deshalb kein Sozialist.
Freysinger macht also keinen Unterschied zwischen einem gewählten Regierungsmitglied und San Giorgio, der in Krisenzeiten auf das Recht des Stärkeren setzt: «Die Tunten werden sterben», so der Gastreferent vor den Walli- ser Rechtsextremen. In San Giorgios «Risikomanagement» haben Schwache ohnehin keinen Platz. «Viele von uns werden sterben, die Besten überleben», prophezeite er im Interview mit Conversano. Und dies sei ein gute Nachricht. «Der Humanismus, die Menschenrechte und die ganze Scheisse sind verantwortlich dafür, dass es heute Leute gibt, die nicht existieren dürften. Dass wir Kranken und Behinderten helfen, mag gut sein fürs Gewissen. Aber so baut man keine Zivilisation auf, so zerstört man sie.»
San Giorgios Eugenik gilt auch für Ausländer: In seinen Theorien klassierte er Migranten in pseudowissenschaftlicher Manier nach deren angeblichen IQ, der sich je nach Herkunftsland unterscheidet. Eines der Hauptprobleme heute sei die starke Einwanderung «dummer Leute aus dummen Ländern».
Während die Arbeitsgruppe des Kantons, bei der San Giorgio als externer Experte aufgeführt ist, bis Anfang 2018 mit konkre- ten Massnahmen für Krisen aufgrund von «Migrationsdruck» oder «Finanzkrisen» aufwarten will, spricht San Giorgio in den diversen Internetvideos von einem Zeithorizont von wenigen Monaten oder Jahren, bis Europa in bürgerkriegsähnlichem Chaos versinkt. Deshalb müsse man schnell handeln. Beim Anlass der «Resistance Hel vétique» forderte er das Publikum auf, sich selbst zu versorgen, sofort mit Kampfsport zu beginnen und sich zu bewaffnen. Er selbst sei immer bewaffnet, sagte er stolz. «Ich hoffe, dass ihr daheim 4000 Schüsse Munition habt.» Zudem müsse man sich in bewaffneten Bürgerwehren organisieren – beginnend bei den Jagd- und Schützenvereinen.
Doch San Giorgio geht es nicht nur um die physische Wehrhaftigkeit. Auch geistlich und spirituell müsse man sich wappnen und gegen die Verweichlichung ankämpfen. Die Katholiken müssten sich rückbesinnen, so der Italo-Schweizer vor dem rechtsextremen Publikum im April: «Wir müssen es nicht diesem Typen da in Rom nachmachen und den Migranten die Füsse waschen.»
Waeber-Kalbermatten zeigt sich schockiert
Eine «spirituelle Kraft» sieht der 40-Jährige auch in Putins Russland. Was die Russen im Syrien-Konflikt machen, sei «eindrücklich» und «intelligent». Die Bewunderung Putins teilt er mit der extremen Rechten Westeuropas, mit den Le Pens und Petrys. Mit Freysinger und Despot.
In hiesigen Sicherheitskreisen hält man nicht viel vom «Survivor» und seinen Ratgeberbüchern. Es sei schlichtweg unseriös, ihn als Experten heranzuziehen, zumal er über keine entsprechende Ausbildung verfüge, sagen Sicherheits experten und Sicherheitsdirektoren anderer Kantone hinter vorgehaltener Hand. Freysinger begründet San Giorgios Wahl mit dessen Erfahrung, Publikationen und Analysen. Wie viel sein Mandat den Kanton koste, kann der Sicherheitsdirektor nicht genau sagen. «Wohl ein paar Tausend Franken», so Freysinger. Die Arbeitsgruppe hat bis 2018 ein Budget zwischen 20 000 und 50 000 Franken, liess Claude-Alain Roch, Chef des kantonalen Amtes für Bevölkerungsschutz, am Dienstag verlauten. Für was – oder eben – wen genau wird das Geld gebraucht, wenn alle Mitglieder des Gremiums mit Ausnahme von Freysingers Experten die Mitarbeit in ihrer jeweiligen Funktion als Staatsangestellte ausüben?
«Ich vertraue dem Staat nicht.» San Giorgio dürfte kein Problem damit haben, dass Walliser Steuergelder auf sein Konto fliessen. Wie lange noch, wird sich weisen. Die Staatsratspräsidentin Esther Waeber-Kalbermatten zeigte sich gestern schockiert über San Giorgios Aussagen und will das Mandat genauer unter die Lupe nehmen lassen.