Neue Zürcher Zeitung: Derzeit ist Pegida ein ostdeutsches Phänomen, noch fand keine grosse Kundgebung im Westen statt. Doch Gewaltbereite gibt es in ganz Deutschland. Von Stephanie Lahrtz
Offenbar bietet Dresden der Pegida-Bewegung, den «Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes», einen deutlich besseren Nährboden als andere Städte Deutschlands. Und es scheint, dass der Strassenprotest derzeit ein vorwiegend ostdeutsches Phänomen ist. In Dresden wächst die Zahl der Protestierenden seit Wochen unaufhörlich an. Längst pilgern nicht mehr nur Einheimische zu den montäglichen Kundgebungen. Dem Anschein nach stammt aber die Mehrheit der Teilnehmer aus Sachsen – und nicht aus dem Süden oder dem Westen der Republik.
Rechtsextreme zu lange toleriert
Zwar versucht die Protestbewegung, auch in westdeutschen Städten Fuss zu fassen. Doch dort bleibt die Anhängerschaft noch sehr überschaubar. In Bonn, Kassel und Würzburg kamen in dieser Woche jeweils 100 bis 200 Pegida-Anhänger zusammen. In München waren es noch weniger. In verschiedenen westdeutschen Städten waren zuvor Kundgebungen wegen Mangels an Teilnehmern abgesagt worden. Oder die dortigen kleinen Pegida-Häuflein wurden von den zahlenmässig weit überlegenen Gegnern gestoppt. Dresden hingegen scheint sich als Wallfahrtsort für all die Unzufriedenen, Unverstandenen und Ausländerhasser zu etablieren.
Es ist denn auch kein Zufall, dass Pegida ausgerechnet in Sachsen Zulauf erhielt. Hier hat man jahrzehntelang zu wenig gegen Rechtsextreme getan. Daher gibt es mehr Neonazis, diese sind besser vernetzt, und sie konnten deshalb auch schneller eine schlagkräftige Demo-Organisation aufbauen. Es ist unüberhörbar und unbestritten, dass viele sächsische Anhänger der rechten Szene bei den Montagsdemonstrationen mitlaufen, unterstützt von Gleichgesinnten aus anderen Bundesländern. Damit sie nicht auffallen, wurden die Neonazis vor allem bei den ersten Kundgebungen aufgefordert, Kleidung und Accessoires, die für die Szene typisch sind, zu Hause zu lassen.
Der Graben in den Köpfen
Anscheinend finden die Rechten und ihre Parolen gegen Ausländer im Osten mehr Gehör als im Westen. Während sich laut einer neuen Umfrage jeder fünfte Westdeutsche als fremdenfeindlich einstuft und 44 Prozent eine schlechte Meinung von Asylbewerbern haben, sind es im Osten 26,9 beziehungsweise 52,8 Prozent. In Dresden kommt es laut dem sächsischen Flüchtlingsrat im Schnitt jede Woche zu einer verbalen oder tätlichen Attacke auf Ausländer, in Tramzügen, auf der Strasse oder im Restaurant. Das wurde viel zu oft hingenommen, ohne grosse Gegenaktionen vonseiten der Politik wie auch der deutschen Bevölkerungsmehrheit.
Die latente Angst vor dem Fremden mischt sich bei der Pegida-Bewegung auf unheilvolle Weise mit der Ablehnung des vielerorts in Ostdeutschland als rein westlich wahrgenommenen politischen Systems. Der Graben zwischen Ost und West in den Köpfen ist selbst 25 Jahre nach dem Mauerfall noch nicht ganz verschwunden. Noch immer fühlen sich viele Ostdeutsche vom westlichen Wohlstand nicht ausreichend erreicht oder gar abgehängt. Sie sind verärgert darüber, dass die Löhne noch nicht voll angeglichen wurden, dass man ihnen immer unterstellt, nicht ähnlich produktiv zu sein wie die Westdeutschen. Dieses Unbehagen in Ostdeutschland hat man in der Politik allzu lange nicht gesehen oder nicht wahrhaben wollen.
Brandanschlag in Franken
Es wäre jedoch gefährlich, wenn man sich nun im Westen weihnachtlich gemütlich zurücklehnen und Pegida als ausschliesslich ostdeutsches Problem, allenfalls ergänzt mit einigen westlichen Mitläufern und Hetzern, abtun würde. Denn Pegida ist bereits weit mehr als nur ein Phänomen von Strassenkundgebungen. Pegida ist auch im Internet aktiv. Dort äussern sich keineswegs nur Ostdeutsche. Es gibt Facebook-Seiten von vielen Pegida-Ablegern gerade in westdeutschen Städten.
Im Netz polemisieren und hetzen Personen aus allen Bundesländern. Der Hass im Internet ist um einiges heftiger, die Anfeindungen sind brutaler und die Ausgrenzungen von Muslimen, Ausländern und Andersdenkenden generell rassistischer als in den Parolen, welche die Demonstranten auf der Strasse in den Nachthimmel brüllen. Und möglicherweise ist diese Saat schon aufgegangen. Denn der einzig bekanntgewordene Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim seit dem ersten Pegida-Auftritt fand im fränkischen Ort Vorra statt, also in Westdeutschland. Gewaltbereite Fremdenfeindlichkeit gibt es überall in Deutschland.