Fremdenfeindlichkeit wird offiziell Thema

Der Bund

ARCH / Auch 1999 ist es an der Oberstufe zu rassistischen Auswüchsen gekommen. Nun will die Lehrerschaft mit einem Unterrichtsprojekt Gegensteuer geben – sieben Jahre nachdem die Schule erstmals wegen fremdenfeindlicher Vorfälle in die Schlagzeilen geraten ist. Pikant ist: Schon der entlassene Lehrer wollte das Thema anpacken.

° ANDREAS KELLER

Arch leidet unter einem Trauma. Das beschauliche Dorf geriet ab 1993 immer wieder in die Schlagzeilen: Da wurde ein junger Tamile zusammengeschlagen, Jugendliche aus der Region überfielen ein Pfadilager, zwangen die Knaben zum Hitlergruss. Auch in der Oberstufenschule kam es zu fremdenfeindlichen Vorfällen und Schmierereien. Der Lehrer Peter Fasnacht, der sich gegen fremdenfeindliche Tendenzen wehrte, fiel bei der Schulbehörde in Ungnade und wurde entlassen – zu Unrecht, wie mittlerweile das Bundesgericht festgestellt hat.

Viele in Arch möchten das störende Kapital am liebsten vergessen. Es soll endlich wieder Ruhe einkehren im Dorf, man will nicht immer an die unrühmlichen Vorfälle erinnert werden. «Nur stillhalten, so kommen wir aus dem Schussfeld der Medien», scheint die Devise im Seeländer Dorf zu lauten.

Schule wagt Schritt
Auch die Oberstufenschule hat jahrelang das heisse Eisen nicht angepackt. Doch nun wagt sie einen Schritt nach vorne: Nach den Sommerferien werden Lehrkräfte zusammen mit den neu eintretenden Siebtklässlern ein Projekt starten, welches das Thema «Fremd sein» angehen soll. In Ateliers werden die Jugendlichen Raum erhalten, sich kreativ mit der Angst vor Fremden, der Faszination des Fremdartigen, aber auch mit dem Fremden in der eigenen Person auseinander zu setzen (siehe unten).
Unterstützung erhält das Lehrerteam von der kantonalen Erziehungsberatungsstelle Biel/Seeland (EB). Die Idee wird von Fachleuten gut aufgenommen. Doris Angst Yilmaz, die Leiterin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, begrüsst die Bestrebungen der Schule (siehe Kurzinterview). Auch im Dorf selbst scheint das Vorhaben anzukommen. Eine Mutter von Archer Schülern, die in der Zeitung nicht namentlich genannt sein will, freut sich, dass «endlich etwas geht», nur hätte «ein solches Projekt schon vor Jahren kommen sollen – dann nämlich, als die Probleme akut waren».

Konzept landete in Schublade
Dieser Meinung waren schon andere Leute. Ende 1995, nachdem die Situation in Arch eskaliert war, legte der zuständige Schulinspektor Claude Colombo ein «Konzept zur Lösung der Probleme» vor, das er im Auftrag der Erziehungsdirektion verfasst hatte. Als «Massnahmen einer zweiten Phase» sah das Papier «Projekte gegen Rassismus und Gewalt» vor, die «nach den Frühlingsferien 1996» umzusetzen seien. Das Konzept blieb, zumindest bezüglich dieser Massnahmen, ein Papiertiger. An konstruktive Projekte sei nicht mehr zu denken gewesen, nachdem es «zum Eklat mit der Kündigung und dem juristischen Streit» gekommen war, verteidigt sich Colombo. Schulleiter Heinz Pfister fügt weitere Gründe an, warum erst jetzt Massnahmen umgesetzt werden – notabene sieben Jahre nachdem die ersten fremdenfeindlichen Vorfälle bekannt geworden waren. Die Schule habe sich in einer «sehr turbulenten Phase» befunden: die Umstellung auf das System 6/3, die Umgestaltung der Dorfschule in das gemeinsame Oberstufenzentrum für die Gemeinden Rüti, Leuzigen und Arch. Zudem sei 1996 ein neuer Lehrplan in Kraft getreten, und die Schule habe ein Leitbild erarbeiten müssen. So habe man schlicht «keine Ressourcen mehr» gehabt, auch noch das Rassismusprojekt umzusetzen, sagt Pfister.

Hitlergrüsse auch letztes Jahr
Tatsache ist aber, dass der Kampf gegen fremdenfeindliche Tendenzen am Archer Oberstufenzentrum nicht oberste Priorität geniesst. Denn trotz «turbulenten Zeiten» hat sich die Schule freiwillig an einem kantonalen Pilotprojekt zur Attraktivierung der neunten Klasse beteiligt. Dies erstaunt insofern, als rassistische Vorfälle an der Archer Schule alles andere als Schnee von gestern sind. Auch im letzten Schuljahr ist es in einer Klasse zu fremdenfeindlichen Vorfällen gekommen: Eine kleine Gruppe Schüler empfing Lehrkräfte im Schulzimmer mit Hitlergrüssen, verzierte Hefte mit Hakenkreuzen und beleidigte andere Jugendliche mit rassistischen Sprüchen.

Vergangenheit ausklammern
Bloss nicht zurückschauen, sondern vorwärts – nach dieser Devise scheint man in Arch zu handeln, jedenfalls wenn es um Unangenehmes geht. Auch das Projekt «Das Fremde in der Schule verstehen» klammert Vergangenes weitgehend aus. «Allenfalls im Stegreiftheater» sieht EB-Chef Rolf von Felten Platz für die Aufarbeitung früherer Archer Vorfälle. Selbst Schulinspektor Colombo kann dem Blick zurück wenig abgewinnen. Er hat unlängst in einem Leserbrief zum Fall Arch dazu aufgerufen, nicht alte Geschichten aufzuwärmen; dies schade bloss der zukunftgerichteten Arbeit der Schule. Rassismus-Expertin Doris Angst ist da anderer Ansicht: Es sei eine Illusion zu glauben, man könne einen Neubeginn machen, ohne die Vergangenheit aufzuarbeiten.


Theater, Küche und Musik

ke. «Wir wollen die Jugendlichen weniger über intellektuelle Gespräche, sondern über Erlebnisse mit dem ,Fremd-Sein‘ konfrontieren», erklärt Rolf von Felten. Der Leiter der Erziehungsberatung Biel/Seeland begleitet die Oberstufenschule Arch bei deren Pilotprojekt. Dieses hat zum Ziel, den Gemeinschaftssinn sowie das Verständnis und die Toleranz gegenüber Andersartigem zu fördern und die Jugendlichen zu ermuntern, über Ängste und Agressionen zu sprechen.

Geplant sind drei Ateliers, die von allen Siebtklässlern durchlaufen werden.