Liechtensteiner Vaterland vom 19.10.2010
Gerade wurde ein ausländerfeindlicher 22-jähriger Liechtensteiner wegen versuchter Brandstiftung zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Damit wurde ein starkes Signal gesetzt. Und doch ist wieder ein Flugblatt mit rechtem Gedankengut aufgetaucht.
Desirée Vogt
Schon wieder ist ein anonymes Flugblatt aus der rechtsextremen Szene in Liechtensteins Briefkästen gelandet. Dies, obwohl die Behörden und auch ein Grossteil der Bevölkerung in den vergangenen Monaten verstärkt klare Signale gesetzt haben, dass rechtsextreme Phänomene nicht toleriert werden. Die Verfasser des Schreibens drücken sich erneut sehr vorsichtig aus – ein Verstoss gegen die Rassismusstrafnorm liegt deshalb vermutlich nicht vor. So kann die Staatsanwaltschaft auch in diesem Fall nicht aktiv werden. Allerdings werden die unbekannten Verfasser bei der Regierung angezeigt – denn wieder fehlt ein Impressum, was gegen das Mediengesetz verstösst.
Zeugen gesucht
Dass die Verfasser mit einer Anzeige wegen des Verstosses gegen das Mediengesetz rechnen müssen, bestätigt Tina Enz, Sprecherin der Landespolizei. Die Ermittlungen laufen und das Schreiben müsse nun noch genau auf den Inhalt geprüft werden. «Noch ist unklar, ob ein Straftatbestand vorliegt», so Enz. Dies entscheide die Staatsanwaltschaft. Falls ja, werde die Polizei in jedem Fall mit den weiteren Ermittlungen beauftragt. Die Landespolizei sucht derzeit nach Personen, die in der Nacht von Samstag auf Sonntag Verdächtiges beobachtet haben oder Hinweise zu den Verteilern machen können. Hinweise werden unter der Telefonnnummer 236 71 11 entgegengenommen.
«Wir warten die Anzeige der Landespolizei ab», so der Leitende Staatsanwalt Robert Wallner, der das Flugblatt auch im eigenen Briefkasten vorgefunden hat. Nach erster Sichtung des Textes des neuen Flugblattes könne der Verdacht auf Rassendiskriminierung nicht bestätigt werden. «Eine abschliessende Beurteilung nehmen wir aber erst nach Vorliegen der Anzeige der Polizei vor», so Wallner.
Nicht mit der «Liewo» verteilt
Das Flugblatt wurde nicht nur mit der «Liewo» aus den Briefkästen genommen, sondern war in einigen Fällen sogar in der «Liewo» eingesteckt. Bereits am Sonntag hielt die Vaduzer Medienhaus AG ausdrücklich fest, dass die Verteilung der «Liewo» in keinem Zusammenhang mit dem Flugblatt stehe. Eine Leserin meldete sich gestern beim Vaduzer Medienhaus und teilte mit, dass sie die Ermittlungen in diesem Fall unterstützen möchte, indem sie bei der Polizei Anzeige gegen Unbekannt erstatten werde. Dem «Liewo»-Austräger waren in der Nacht auf Sonntag in Mauren auffallend viele Jugendliche begegnet.
Vertrauen in die Kraft der Demokratie
Einer der Liechtensteiner, der das Flugblatt nicht im Briefkasten vorgefunden hat, ist der Politologe Wilfried Marxer. Er vermutet, dass die Flugblätter aus dem gleichen Kreis stammen wie in den Jahren 2006, 2007 oder 2009. Auch er geht nicht davon aus, dass die Rassismusstrafnorm des Strafgesetzbuches dieses Mal verletzt wurde. «Diese ist bspw. dann verletzt, wenn gegen Personen oder Gruppen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufgereizt wird», so Marxer. «Wenn die Formulierungen vorsichtig gewählt sind, sind sie zulässig, selbst wenn man rassistische Motive vermuten kann.»
Der Politologe glaubt nicht, dass sich solche Flugblattaktionen in Zukunft wirklich verhindern lassen. «Ich denke auch, dass die Demokratie solche Sichtweisen aushalten muss, solange sie in gewaltfreier Weise vorgetragen werden. Ich will die rechtsradikalen Tendenzen keineswegs verharmlosen, habe aber auch Vertrauen in die Kraft der Demokratie.»
Zeichen setzen
Dass so kurz nach der Verhaftung eines 22-jährigen Brandstifters aus der rechtsextremen Szene erneut ein solches Flugblatt kursiert, erstaunt Marxer nicht wirklich. «Wir wissen, dass es in Liechtenstein über Jahre hinweg einen teilweise wechselnden Personenkreis von 30 bis 40 Personen mit rechtsradikaler Gesinnung gibt.» In den letzten Jahren habe es immer wieder Vorfälle mit rechtsradikalem Hintergrund gegeben, seien es Brandanschläge, Raufhandel, Körperverletzung oder auch Flugblattaktionen. «Man kann nicht damit rechnen, dass dieser Personenkreis plötzlich nicht mehr existiert. Es ist daher sehr wichtig, dass der Staat und die Gesellschaft klare Zeichen gegen den Rechtsextremismus setzen. Die Verhaftungen und raschen Verurteilungen der letzten Zeit, aber auch Stellungnahmen von Politikern, waren ein solches Zeichen.»