fan-experte michael fanizadeh

BernerZeitung

«Das EM-Organisationskomitee hat alle erfolgreichen Ansätze zerstört»

Wird es an der Fussball-EM in Belgien und Holland zu Fan-Ausschreitungen kommen? Eine Woche vor dem Startspiel zeichnet der Wiener Fan-Experte Michael Fanizadeh ein differenziertes Bild.

*Interview:Urs Frieden

BZ: Michael Fanizadeh, als Koordinator des EU-finanzierten Projekts «Fairplay» und des europäischen Fan-Dachverbands «Football Against Racism in Europe»(FARE) können Sie die europäische Fan-Szene seit Jahren überschauen. Haben Sie Angst vor der EM 2000?

Michael Fanizadeh: Angst wäre übertrieben – ich gehe nicht vom schlimmsten Szenario aus. Es wird aber für einen einigermassen geordneten Verlauf viel Glück und Vernunft brauchen, denn gerade in rechtsradikalen Kreisen läuft via Internet eine Mobilisierung, die von St. Petersburg bis auf die Britischen Inseln reicht. Eine Stossrichtung ist, die türkische Gemeinde in Holland anzugreifen, als Rache für die tödlichen Messerstechereien in Istanbul vor dem Leeds-Spiel.

Das tönt aber gar nicht optimistisch.

Gut, die meisten Fans sind vernünftiger, als die Funktionäre denken. Sie distanzieren sich vom medialen Bild der Hooligans. Für die vielen antirassistischen, bei FARE organisierten Fans, vor allem aus Deutschland, England und Italien, bieten aber die polizeistaatlichen Massnahmen des Euro-2000-Organisationskomitees wenig Möglichkeiten zum friedlichen Zusammentreffen mit gleichgesinnten Fans. Durch Polizeicordons hindurch kann kein Austausch stattfinden.

Sie finden also, die Polizeimassnahmen seien allzu flächendeckend?

Klar wird es Rechtsradikale geben, die die EM als Aufmarschplatz missbrauchen. Aber die Mehrheit der Fans kommt zum Vergnügen. Diese friedlichen Fans sind aber nicht differenzierbar von den gewalttätigen Fans und werden sicherheitsstaatlich gleich behandelt. Das war laut einer englischen Untersuchung schon das Problem bei der WM 1998 in Frankreich, wo die beiden Lager nicht getrennt werden konnten.

An der EM ‘96 in England ist das jedoch gelungen. Wieso nahm sich das OK 2000 nicht die Engländer zum Vorbild?

Das ist genau der Vorwurf, den wir dem OK machen: dass es alle erfolgreichen Ansätze von 1996 in der Fan-Betreuung zerstört hat. Ob man das gut findet oder nicht:Es wird auch diesmal Fans geben, die ohne Hotelreservation und Tickets anreisen. Da müsste das OK unbedingt Campingplätze zum Übernachten und Grossleinwände für die TV-Übertragung ausserhalb der Stadien bereithalten – oder bewährte Projekte wie Strassenfussball-Turniere für Fans zulassen. Es reicht einfach nicht mehr, Gewalttäter-Dateien abzugleichen und Einreisesperren zu verfügen.

Haben die Ereignisse der letzten Wochen, zum Beispiel in Istanbul, beim OK nicht zum Umdenken geführt?

Es ist schon ein wenig Panik ausgebrochen, und plötzlich ist auch Geld da. Jetzt will man auf die Schnelle die an der EM 96 erfolgreichen Fanbotschafter (jedes Teilnehmer-Land hat in Holland und Belgien seine eigene Fan-Anlaufstelle) einführen. Wir stellen dem OK zwar die bei FARE organisierten Fankontakte zur Verfügung, aber die Zeit wird kaum mehr reichen.

Hängt die Passivität im Fanprojekt-Bereich etwa damit zusammen, dass das OK ein privates Unternehmen ist?

Ich kenne die Gewinnbeteiligungen nicht, kann mir aber vorstellen, dass ein privates OK eher auf Gewinne schielt als ein Verband, der auch das grosse Ganze im Auge behalten muss. Der englische Fussballverband beispielsweise investierte 1996 viel Geld in den «Football’sComing Home»-Gedanken, um nach jahrelangem Boykott wieder integriert zu werden. Die Engländer haben damals auch die Chance zur Modernisierung genutzt, was man vom jetzigen OK nicht behaupten kann.

Wann haben Sie denn erste Angebote lanciert?

Bereits 1998. Das OK hat uns nie geantwortet, währenddem die Uefa immerhin ein Mitglied der Fairplay-Kommission an den FARE-Kongress vom Januar 1999 in Wien geschickt hat. Die Uefa ist allerdings in kritischer Distanz zu uns geblieben – im Gegensatz zur Fifa ist Anti-Rassismus nicht besonders stark im Fairplay-Verständnis der Uefa verankert.

Wer müsste eigentlich Fan-Projekte finanzieren, wenn das OK sich nur rudimentär beteiligen will?

Zum Beispiel die Verbände und die hochbezahlten Spieler via ihre Gewerkschaften, aber auch die Sponsoren, die ja ein vitales Interesse an einem reibungslosen Ablauf haben müssten. Es geht ja um vergleichsweise kleine Summen.

Ziehen Sie jetzt noch die Alarmglocke?

Die EM 2000 ist bereits verloren, um für das zu werben, was Fussball auch sein kann: ein Vorbild für Interkulturalität und Integration. Vieles können wir jetzt nicht mehr bewegen. Die FARE-Leute treffen sich am 7. Juni in Brüssel mit Interessierten des EU-Parlaments, mit der Uefa und dem Euro-2000-OK. Da werden wir unsere Absicht eines interkulturellen Miteinanders darlegen. Aber diese Ideen werden dann eher für spätere Gross-ereignisse relevant werden.

Könnte es sein, dass gewisse Vorfälle in Belgien und Holland die Vergabe der WM 2006, die Anfang Juli vorgenommen wird, beeinflussen?

Klar, vor allem wenn englische oder deutsche Fans an Ausschreitungen beteiligt sind, denn diese beiden Länder bewerben sich ja für die WM. Es könnte dann für die europäischen Lobbyisten schwierig werden, sich auf Mitkandidat Südafrika als Risikoland einzuschiessen.

Die FARE hat kürzlich Uefa und Fifa aufgefordert, auf Grossveranstaltungen in Europa zu verzichten, solange die Sicherheit nicht gewährleistet ist. Haben Sie da nicht ein wenig übertrieben? Es geht doch einfach nicht an, dass wegen einer EM das Schengener Abkommen ausgesetzt wird und somit grundlegende EU-Bügerrechte, übrigens auch für Nicht-Beteiligte, entzogen werden. Da sollte man eher auf das Champions-League-Konzept, also auf dezentrale Spiele, zurückgreifen.

Wo werden Sie persönlich die EM-Spiele anschauen?

Ich werde nur am Anfang vor Ort sein und dann den Rest in Wien vor dem Fernseher verfolgen. Ich bin selber kein Anhänger von Massenevents und fühle mich wohler in einem kleineren Rahmen, zum Beispiel bei einem Spiel von Rapid Wien.

Und wer wird die EM gewinnen?

Die Niederlande. Sie haben ein gutes Team und überdies Heimvorteil.*