St.Galler Tagblett. Am Samstag hat die rechtsextreme Organisation Junge Tat ein riesiges ausländerfeindliches Banner an die Fassade des Bahnhofs St.Gallen gehängt. Rechtsextremismus-Experte Hans Stutz erklärt, wie die Gruppe versucht, ins Zentrum der Gesellschaft vorzustossen.
Nachdem bekanntgeworden war, dass ein ehemaliger Präsident der SVP Buchs heute Mitglied der rechtsextremen Gruppe Junge Tat ist, hat diese am vergangenen Samstag mit einer spektakulären Aktion am Bahnhof St.Gallen versucht, auf sich und ihre ausländerfeindliche Botschaft aufmerksam zu machen. Sie liess einen fünf auf zehn Meter grosses Banner mit einer entsprechenden Botschaft vom Bahnhofsdach über die Fassade herab. Dort hing es während rund 90 Minuten, ehe es die Feuerwehr im Auftrag der Stadtpolizei herunterholte.
Hans Stutz ist Journalist und langjähriger Beobachter der rechtsextremen Szene und ordnet den Vorfall ein.
Auffallend viele Aktivitäten der Jungen Tat (JT) finden in St.Gallen und dem Thurgau statt, nun auch diese letzte grosse Aktion am Bahnhof St.Gallen. Bereits 2016 wurde in Unterwasser eines der grössten Neonazi-Konzerte abgehalten, die Europa je gesehen hat. Ist die Neonazi-Szene in der Ostschweiz besonders gut vernetzt?
Hans Stutz: Das kann man so nicht sagen. Die JT hat in der ganzen Schweiz schon Aktionen durchgeführt, vor St.Gallen zuletzt in Basel und Zürich. Ausserdem ist es nicht zutreffend, die JT mit dem Neonazi-Konzert von Unterwasser in Verbindung zu bringen. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
Erklären Sie.
Unterwasser war die letzte grosse Veranstaltung der Naziskinhead-Subkultur in der Schweiz. Diese beruft sich explizit auf den Nationalsozialismus und verwendet auch dessen Symbole, also Hakenkreuze, SS-Runen und anderes mehr. Die JT hingegen orientiert sich heute an den Vorstellungen der Neuen Rechten und der Identitären Bewegung. Diese Neue Rechte ist ebenfalls rechtsextrem, unterscheidet sich aber von Nazi-Skinheads.
Inwiefern?
Nazis gingen und gehen von der Überlegenheit der arischen Rasse aus. Sie beanspruchen daher die Herrschaft über andere Völker. Die Neue Rechte vertritt die These, dass in einer Gesellschaft nur Menschen gleicher kultureller Herkunft zusammenleben können. Folglich hätten Menschen aussereuropäischer Herkunft Europa zu verlassen.
Bis vor kurzem trat die JT mit Sturmmasken mit der Tyr-Rune auf, ein Symbol der Hitlerjugend und der Sturmabteilung der Nazis. Am 131. Jahrestag von Hitlers Geburt störten Mitglieder eine Onlinevorlesung der Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK) mit Hitler-Rufen. Ebenfalls sabotierten sie ein Zoom-Meeting der Jüdischen Liberalen Gemeinde Zürich.
Früher haben sich die Mitglieder der JT ideologisch ganz klar am Nationalsozialismus orientiert. Momentan scheint die Gruppe aber sehr darauf bedacht zu sein, in ihrem öffentlichen Auftreten jegliche Berührungspunkte mit dem Nationalsozialismus zu unterlassen.
Haben die Anführer der Gruppe deswegen im Herbst 2022 in einem Video erklärt, dass sich ihr Protest «im rechtsstaatlichen» Rahmen bewege und sie sich «klar von Nationalsozialismus und anderen Ideologien» distanzierten?
Es ist seit Jahren eine übliche Taktik von rechtsextremen Gruppierungen, die Nähe zum Nationalsozialismus zu bestreiten.
Bis vor kurzem verdeckten Mitglieder der JT stets ihre Gesichter. Während der Aktion am Bahnhof St.Gallen am vergangenen Freitag verteilten einige Mitglieder unmaskiert Flyer. Später luden sie ein Video davon in die sozialen Netzwerke. Woher nimmt die Gruppe die Selbstsicherheit, nicht mehr anonym zu agieren?
Für einige von Ihnen spielt es keine Rolle mehr, weil sie sowieso schon geoutet wurden.
Sie könnten untertauchen. Stattdessen zeigen sie sich öffentlich und posten Videos davon.
Sie sind eben überzeugte Aktivisten. Interessant ist vor allem, wie sie das tun.
Was meinen Sie?
Die Begründung für die JT-Aktion am Bahnhof St.Gallen ist in Argumentation und Tonfall sehr nahe der aktuell laufenden SVP-Kampagne wider die Einwanderung, beziehungsweise die «Überfremdung». Die verwendete Sprache und Symbolik sind ein klarer Versuch, an den Diskurs der SVP anzudocken und so jene Leute für sich zu gewinnen, die gegen Migration sind.
Wo liegt dann noch der Unterschied zur SVP?
Man kann nicht davon ausgehen, dass die Mitglieder der JT jedes Gedankengut, das sie vertreten, bei ihren Aktionen auch öffentlich machen. Sie suchen sich Themen aus, bei denen sie auf breite Zustimmung hoffen, um noch weiter ins Zentrum der Gesellschaft vorzudringen. Diese Strategie haben rechtsextreme Gruppierungen auch schon früher verfolgt.
Mit welchem Ziel?
Sie hoffen darauf, dass sie am breiten politischen Diskurs teilnehmen können und als politische Akteure akzeptiert werden.