Die Wochenzeitung: Wenn Rechtspopulisten zusammen feiern, wird ihre Taktik umso sichtbarer. Eine Reportage über den Besuch von Nigel Farage, dem Anführer der United Kingdom Independence Party, in der Schweiz.
Von Kaspar Surber
Lukas Reimann trägt einen schicken Anzug und strahlt übers ganze Gesicht. Er steht vor der Parkarena in Winterthur und schüttelt Hände: Hände von jüngeren Männern, die ihre Anzüge noch etwas ungelenk tragen. Hände von älteren Männern, die ihm zu seinem neuen Amt als Präsident der Auns gratulieren, der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz. Einer von ihnen bewertet Reimanns letzten TV-Auftritt: «Das nächste Mal musst du den Linkswichsern noch mehr Tobak geben.» Reimann lächelt.
Seine gute Laune rührt daher, dass heute Nigel Farage, der Vorsitzende der britischen Unabhängigkeitspartei Ukip, die Auns besucht. Reimann sagt über die Partei: «Das ist eine demokratische Kraft, die sich von Rechtsextremen abgrenzt. Genau wie wir.» Und über Farage: «Wenn es jemand zustande bringt, dass die Briten aus der EU austreten, dann er. Das wäre eine Revolution für Europa.»
Schweiz als Vorbild
Der Veranstaltungsort steht sinnbildlich für die Agglo-Schweiz im Jahr 2014. Die Parkarena liegt an einer Ausfallstrasse im Industriequartier Grüze, zwischen Baumärkten und Tankstellen. Die Arena gehört der Freikirche GvC (Gemeinde von Christen), die hier ihre Popgottesdienste abhält. Rund um die schmucklose Halle stehen Kastenwagen der Polizei, Mitarbeiter der Firma Mountain-Security patrouillieren. So kommen in der architektonischen Ödnis doch noch die Berge in Sicht – als Aufdruck auf den orangen Westen des Sicherheitsdiensts. Und noch einmal werden sie aufscheinen, wenn das Auns-Bläserensemble unter der Leitung von Jakob Leuenberger den Schweizerpsalm spielen und der ganze Saal im Stehen singen wird: «Wenn der Alpenfirn sich rötet, betet, freie Schweizer, betet!» Willkommen zum Rechtspopgottesdienst.
Der Auftritt von Farage bei der Auns ist politisch bemerkenswert. Der Milliardär Christoph Blocher, der die Organisation bei der EWR-Abstimmung 1992 zum ausserparlamentarischen Kampftrupp machte, hütete sich stets, mit RechtspopulistInnen in Europa offiziell Kontakte zu pflegen. Die jüngere Politikergeneration der SVP hat offenbar weniger Berührungsängste zu ausländischen Gleichgesinnten. Wobei Lukas Reimann vorerst nur Farage einladen möchte, wie er betont. Weil dieser mit der SVP in der neoliberalen Wirtschaftspolitik übereinstimme, im Gegensatz zu Marine Le Pen vom französischen Front National.
Auch der ehemalige Rohstoffhändler Farage ist am Kontakt interessiert. Auf dem Weg zum Saal erzählt er der WOZ, dass er von früheren Besuchen den Finanzplatz, nicht aber das politische System der Schweiz kenne. «Ich bin hier, um etwas über die Instrumente der direkten Demokratie zu lernen.» Ist der restriktive Kurs der SVP bei der Migrationspolitik für ihn ein Vorbild? «Migration braucht es, doch wir müssen eine Balance finden. Wir müssen das Thema den Rechtsextremen wegnehmen und in die Mitte der Gesellschaft tragen.» Im Klartext des Ukip-Parteiprogramms heisst das: fünfjähriger Einwanderungsstopp in Britannien, Aufkündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie «Beendigung der Multikultiideologie».
Für den sonnengebräunten Farage läuft es gut. Bei den Wahlen des Europaparlaments erzielte die Ukip diesen Frühling 27,5 Prozent der Stimmen, bei einer Nachwahl am 9. Oktober erwartet Farage den erstmaligen Einzug ins britische Unterhaus.
Steinewerfen nach Bern und Brüssel
Die Parkarena ist fast bis auf den letzten Platz besetzt, rund tausend Leute sind gekommen, viele wegen Farage. So auch der junge Gärtner nebenan auf der Tribüne, der ihn aus Youtube-Videos kennt: «Er ist sehr kämpferisch und hat ein loses Mundwerk.»
Reimann begrüsst die Anwesenden. Neben dem Ehrengast auch die «kantonalen Stützpunktleiter», wie es bei der Auns heisst. In seiner Begrüssung beschwört er Freiheit, Unabhängigkeit und direkte Demokratie. Keinesfalls dürften Initiativen eingeschränkt werden. «Das Volk muss die oberste Instanz bleiben. Nicht Politiker oder irgendwelche Richter.»
Dann diskutieren die Auns-Mitglieder erst einmal über die nächsten Abstimmungen. Über die Ecopop-Initiative, die das Bevölkerungswachstum in der Schweiz auf 0,2 Prozent jährlich beschränken will, und über die Goldinitiative, die der Nationalbank einen Goldanteil von zwanzig Prozent vorschreiben will. Über Forderungen also, die die Welt irgendwie eingrenzbar, mit den Händen greifbar machen. Und es ist ja nicht so, dass das Unbehagen vieler Anwesender in dieser Arena im Niemandsland der Gegenwart nicht verständlich wäre – jener vor allem, die längst nicht zu den Gewinnern eines beschleunigten Kapitalismus zählen. Aber es ist doch immer wieder krass zu erleben, mit welcher Wucht die Fremdenfeindlichkeit durch den Saal fegt. Wann immer nur das Wort «Asylbewerber» negativ erwähnt wird, brandet lautstark Applaus auf.
Die Luft wird im Verlauf der Diskussion stickiger, der Gottesdienst zur eigentlichen Teufelsaustreibung: gegen Europa, gegen den Bund, gegen die Sozialindustrie, gegen den Islam, gegen Asylsuchende, gegen «Schmarotzer». «Wir müssen jeden Stein werfen, den wir Richtung EU und Bern werfen können», ruft eine Frau im Publikum. Und immer wieder ist von «Lügen» die Rede, am häufigsten braucht das Wort SVP-Nationalrat Pirmin Schwander. Darum erscheint als letzter Teufel auch die Billag, die die Radio- und Fernsehgebühren eintreibt; diese Abgaben halten angeblich ein linkes Mediensystem am Laufen, auch wenn überall Gratisexemplare der «Weltwoche» herumliegen. Dann kommt Nigel Farage, wenigstens er ist in Pub-Laune.
«Ich weiss, wie es ist, in einem von Deutschen dominierten Haushalt zu leben. Meine Frau ist Deutsche», witzelt er. Seine Feststellungen zu den Folgen der EU-Politik sind wohl nicht falsch. Der Graben in Europa verlaufe nicht mehr zwischen Ost und West, sondern zwischen Nord und Süd, wo die Jugendarbeitslosigkeit gigantische Ausmasse angenommen habe. Die Lösung des Ukip-Vorstehenden ist aber denkbar einfach. Ein bisschen Nationalismus – Farage verwendet lieber das von ihm erfundene Wort «Nationismus» – könne da nicht schaden. Die BritInnen würden nun mal links fahren, Cricket spielen, Bier trinken. Gemeinsamer Handel ja, gemeinsame Politik nein, deshalb: «Ganz Europa muss aus der EU austreten.» Von einer Kritik an der Austeritätspolitik der EU oder gar der Wirtschaftsordnung ist nichts zu hören. Farage fordert bloss eine Kontrolle der Zuwanderung «nach Qualität» und mehr Mitbestimmung des Volkes. Standing Ovation.
Demokratie gegen Einzelne
Und genau das ist der entscheidende Punkt, um die neuste Metamorphose der RechtspopulistInnen zu verstehen. Sie verorten sich, das verbindet die SVP mit der Ukip und dem Front National unter Tochter Le Pen, nicht mehr ausserhalb der Demokratie und des Rechtsstaats, sondern sie nutzen gerade die Schutzmittel der Minderheiten wie das Initiativrecht, um den Rechtsschutz von Einzelnen auszuhebeln, oder fordern solche Instrumente für ihre Staaten. Nichts zeigt die damit einhergehende Radikalisierung der Politik so deutlich wie die im Sommer angekündigte Völkerrechtinitiative der SVP. Sie zielt vordergründig gegen «irgendwelche Richter» – und meint stattdessen die Menschenrechte als Grundlage der Verfassung.
In der Parkarena werden die Brüderlichkeit unter den Nationen und der Austausch unter Männern weiter gefestigt. Reimann überreicht Farage Whisky und Zigarren, selbstverständlich «made in Switzerland». Derweil demonstrieren in der Winterthurer Innenstadt 150 junge Menschen gegen das Treffen der RechtspopulistInnen. Sie werden dabei von der Polizei fotografiert.
Bereits am nächsten Abend findet in der Parkarena der nächste Gottesdienst der Gemeinde von Christen statt. Mitglied der Freikirche ist auch die Winterthurer Polizeivorsteherin, FDP-Politikerin Barbara Günthard-Meier. Das Ganze nochmals auf Freievangelisch: Angesagt ist die Reihe «Exodus», über den Auszug der Israeliten aus Ägypten. Die Rollen dürften auch hier klar verteilt gewesen sein. Wir Auserwählten und die anderen.