Tages-Anzeiger. Ein Zürcher Geschäft bietet neben Räucherstäbchen auch Hitlers «Mein Kampf» an – die unkommentierte Ausgabe. Der Israelitische Gemeindebund erstattet Anzeige.
Martin Sturzenegger
Eine esoterische Buchhandlung im Raum Zürich: Wer den Laden betritt, bekommt Einlass in eine Welt der positiven Energien: Räucherstäbchen, Öle oder Raumsprays versprechen wahlweise gesunden Schlaf, geistige Reinigung, körperliche Gesundheit oder Lebenskraft. Die Welt könnte eine bessere sein – sofern man die richtigen Produkte nutzt.
Die Energiesteine signalisieren das Ende der Wohlfühloase. In der dahinterliegenden Buchabteilung wird fast nur noch gewarnt. Davor, dass die Welt eine schlechte ist. Es ist die Abteilung der Verschwörungstheorien, der Geheimbünde, Illuminati und Freimaurer. Einige der Bücher beschreiben eine Welt, die unterwandert und dem Untergang geweiht ist. Ladenbesitzer R. B.*, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, spricht von «Aufklärung»: «Viele Wahrheiten werden bewusst unter dem Deckel gehalten. Zumeist aus Machtinteresse.» Er steht mit dieser Meinung nicht allein da. Einige der Bücher, die hier vertrieben werden, werden als Kultbücher gefeiert, hochgejubelt von einer weltumspannenden Anhängerschaft.
Zur historischen Aufklärung soll auch das Werk «Mein Kampf» von Adolf Hitler dienen. Auf Anfrage des TA lässt der Ladenbesitzer das Buch aus Deutschland importieren. Beim Exemplar, das nun vorliegt, handelt es sich um die unkommentierte Ausgabe – der ersten und bisher einzigen, die weltweit publiziert wurde. Seit Erlöschen der Urheberrechte Anfang 2016 ist es erlaubt, das Buch neu aufzulegen. Die Verleger veröffentlichten «Mein Kampf» ansonsten nur als «kritische Edition», mit Fussnoten von Historikern, die den Inhalt für den Leser einordnen sollen. «Das ist wenig hilfreich, wenn man verstehen will, was sich damals wirklich ereignet hatte», sagt R. B. Durch die Kommentare würde der Leser teilweise bewusst in die Irre geführt. «Ich erachte die unkommentierte Ausgabe als Beitrag zur unabhängigen Meinungsbildung.»
«Bücher von Rechtsextremen»
Dahinter steckt Verlagsgründer Adrian Preissinger. Der «Schelm» ist in Justizkreisen kein Unbekannter. 1992 wurde er wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Der Leipziger Verlag veröffentlicht nationalsozialistische Bücher wie Joseph Goebbels’ «Das Buch Isidor».
Das Geschäft erscheint lukrativ. Auf TA-Anfrage verkündet Preissinger, dass demnächst die vierte Auflage seiner «Mein Kampf»-Ausgabe in Druck gehe. Rund 60 000 Exemplare seien bisher verkauft worden, etwa 2000 bis 3000 gingen in die Schweiz. «Ich bin überrascht, wie gross das Interesse bei den Schweizern ist.» Vor allem Private würden anfragen. Nur zwei Buchhandlungen – je eine in Bern und in Zürich – hätten das Werk bisher bestellt. Die defensive Haltung der Buchhändler erstaunt nicht. Eine bayerische Buchhändlerin wurde Ende 2016 zu einer Geldstrafe von 4000 Euro verurteilt, weil sie den Schelm-Nachdruck im Internet beworben hatte. Mehrere Zürcher Buchhandlungen geben auf Anfrage bekannt, dass sie nur die kommentierte Ausgabe verkaufen. Etwa Orell Füssli, die Buchhandlung im Volkshaus oder Klio. Der Schelm-Verlag ergänzt die besonders heiklen Bücher jeweils mit einem Hinweis: «Wissenschaftlicher Quellentext». Das soll sie für den Verkauf legitimieren. Die Staatsanwaltschaft Leipzig ermittelt seit Sommer 2016 gegen Preissinger, wie sie dem TA sagte. Sie beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wo Wissenschaft aufhört und wo Volksverhetzung beginnt. Der Verleger zeigt sich unbeeindruckt: «Das geht mir so was von am Arsch vorbei.»
Für den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) ist klar: Wer solche Bücher verkauft, muss rechtlich belangt werden – auch das Zürcher Geschäft. «Es verkauft nicht nur ‹Mein Kampf›, sondern eine ganze Reihe weiterer Bücher von Rechtsextremen und Holocaustleugnern», sagt Generalsekretär Jonathan Kreutner. «Wir werden den Buchhändler wegen Verstosses gegen die Rassismusstrafnorm anzeigen.»
Bei R. B. ist zum Beispiel auch «Der geplante Volkstod» zu finden. Ein Buch, das im Geschäft gleich mehrfach zum Verkauf aufliegt. Es ist ein einwanderungskritisches Werk, dessen Titelbild Immigranten auf der Mittelmeerinsel Lampedusa zeigt. «Die Masseneinwanderung ist nichts anderes als die Verwirklichung eines seit 1925 existierenden Plans zur Zerstörung der weissen Bevölkerung durch Durchmischung», schreibt Autor Jürgen Graf. Es ist ein Buch, das Verschwörungstheorien mit politischen Realitäten verknüpft. Die Kernthese: Eine europäische Elite habe sich zur Abschaffung der abendländischen Kultur entschlossen. Dahinter sollen auch jüdische Drahtzieher stecken.
Autor Graf ist der wohl bekannteste Justizflüchtling der Schweiz. Ende der 90er-Jahre floh er ins russische Exil, nachdem er wegen Verharmlosung eines Völkermordes und religiöser Diskriminierung im Sinn der Rassismusstrafnorm verurteilt wurde. Seine Strafe hat er nie angetreten, und sie ist inzwischen auch verjährt. «Der geheime Volkstod», sein neuestes Buch, darf legal verkauft werden, da es bisher nicht beanstandet wurde. Ladenbesitzer R. B. bekräftigt, dass er keine strafbaren Bücher im Sortiment führe. «100 Prozent der angebotenen Bücher im Laden stehen weder auf dem Index noch läuft gegen ein verfügbares Buch ein Verfahren.»
Zerstörung der «weissen Rasse»
Für den Szenekenner Hans Stutz ist «Der geheime Volkstod» potenziell strafbar. Stutz beschäftigt sich seit Jahren mit Rechtsextremismus und ist der Meinung, dass das Buch eine typische Grundannahme weisser Rassisten vertritt: «Die ‹weisse Rasse›, die durch Eliten gezielt zerstört werden soll.» Der Ladenbesitzer ist sich bewusst, dass einige der Bücher, die er verkauft, umstritten sind. Man müsse nicht mit allem einverstanden sein, was darin stehe. «In unserer Gesellschaft herrschen viele Denkverbote. Es ist wichtig, diese zu durchbrechen, Alternativen aufzuzeigen», sagt R. B.
Ob der SIG mit seiner Klage durchkommen wird, ist fraglich. Der Verkauf rassendiskriminierender Schriften ist in der Schweiz nicht per se verboten. Zumal «Mein Kampf» den Strafbestand der Holocaustverleugnung nicht erfüllt. Laut dem Berner Rechtsanwalt Daniel Kettiger, der mehrfach gegen Rechtsextreme vorging, könnte es dennoch zu einer Verurteilung kommen: Entscheidend sei, ob durch den Verkauf rassendiskriminierende Ideen öffentlich verbreitet würden oder eine Ethnie durch Worte herabgesetzt werde. «Das tut der Text von ‹Mein Kampf› zweifellos».
So sei insbesondere das Vorwort der unkommentierten Ausgabe kritisch zu beurteilen. Es stammt vom verurteilten Holocaustleugner Fredrick Töben. Der Australier ist Gründer des Adelaide Institut, das die unkommentierte Ausgabe in Kooperation mit dem Schelm-Verlag publiziert. Zugleich gilt dieses Institute als Schaltzentrale für australische Holocaustleugner. Die Bezeichnung «Wissenschaftlicher Quellentext» auf dem Buchdeckel sei nichts als schlechte Tarnung, sagt Szenekenner Hans Stutz. «Wer zwischen den Zeilen liest, merkt, dass es sich um eine Verherrlichung des Hitlerbuchs und Antisemitismus handelt.»
* Name der Redaktion bekannt