Die städtische Arbeitsgruppe gegen Rechtsextremismus will in diesem Jahr ihr Augenmerk auf die Hooligans richten. Damit kontert der Gemeinderat den Vorwurf, er unternehme zu wenig gegen Rechte.
Astrid Tomczak-Plewka
«Solterpolter». Bis zum Juli 2000 war die linksautonome Wohngemeinschaft im Marzili nur wenigen ein Begriff. Dann feuerten zwei jugendliche Skinheads 110 Schüsse aufs Haus ab – nur durch pures Glück wurde niemand verletzt oder gar getötet. Der Fall Solterpolter rüttelte die Öffentlichkeit wach, machte sie aufmerksam auf das Potenzial rechtsextremer Gewalt. Im Oktober letzten Jahres wurden die Täter verurteilt. Juristisch ist damit der Fall abgeschlossen. Nicht aber politisch. Im Februar 2001 reichte Stadträtin Catherine Weber (GB) einen Vorstoss ein, in dem sie vom Gemeinderat konkrete Massnahmen gegen den Rechtsextremismus verlangt. Heute nun legt der Gemeinderat eine Antwort vor. «Reichlich spät und reichlich dürftig», findet Weber. Denn auch heute, anderthalb Jahre nach «Solterpolter» und ein Jahr nach ihrem Vorstoss, sei das Thema «nach wie vor aktuell».
«Keine eindeutigen Fälle»
Statistisch belegen lässt sich dies zwar nicht. «Wenngleich verschiedene rechtsextreme Gruppierungen nach wie vor aktiv sind, konnten im Jahr 2001 in Bern keine eindeutigen Vorfälle von grösserer Tragweite festgestellt werden.» Dies hält der Gemeinderat in seiner Antwort zur Interpellation fest, die er heute im Stadtrat präsentieren wird. Kein Handlungsbedarf also? «Der Rechtsextremismus ist ja nicht nur an den Vorfällen messbar, die publik werden. Wir hören immer wieder, dass Leute angepöbelt werden», betont Catherine Weber. «Ich habe den Eindruck, dass sich der Gemeinderat vor dem Thema drückt.»
Gruppe gegen Rechts
Diesen Vorwurf will Jürg Haeberli nicht stehen lassen. Der Leiter des Jugendamts präsidiert die Koordinationsgruppe gegen Rechtsextremismus. Diese wurde am 14. Februar 2001 vom Gemeinderat eingesetzt – unter anderem als Reaktion auf die Geschehnisse beim «Solterpolter». In der Arbeitsgruppe sind das Jugendamt, das Schulamt, die Präsidialdirektion sowie Kantons- und Stadtpolizei vertreten. «Es ging zunächst darum, uns einen Überblick zu verschaffen», sagt Haeberli. Bis jetzt tagte die Gruppe vier Mal. Bei diesen Sitzungen ist die Gruppe zum Schluss gekommen: «Bern ist kein Zentrum des Rechtsextremismus. Das Thema ist zwar nach wie vor aktuell, aber mehr in den Gebieten rund um Bern und im Oberaargau», sagt Haeberli. Dennoch: Verharmlosen wolle man das Thema keinesfalls. Denn was unsichtbar ist, ist keineswegs inexistent. «Die Polizei hat festgestellt, dass die Szene konspirativer wird. Aber es gibt keine Indizien für eine Untergrundszene in Bern.»
Hooligans im Visier
In einem Bereich allerdings will die Arbeitsgruppe in diesem Jahr den Hebel besonders ansetzen. Bei den Hooligans. «Seit YB ins Neufeld umgezogen ist, ist es diesbezüglich relativ hart zu und her gegangen», sagt Haeberli – und verweist auf die Schlägereien bei der Reithalle im Anschluss ans Spiel YB gegen Basel. Mit dem Verein «Gemeinsam gegen Rassismus», der das Lokal Halbzeit betreibt, will die Arbeitsgruppe nun dieses Thema angehen. «Problematisch ist auch die Lage des Stadions», meint Haeberli. «YB müsste ein klares Bekenntnis ablegen: Gewalt und Rassismus haben bei uns keinen Platz. Bei Gewaltvorfällen muss auch ein Stadionverbot in Erwägung gezogen werden.»
Beteiligung an Hotline
Nebst Massnahmen in diesem Bereich will die Stadt in diesem Jahr auch Präventionsarbeit an den Schulen leisten. Ein weiteres Anliegen ist die Schaffung von Netzwerken. So beteiligt sich die Stadt auch mit 18 000 Franken jährlich am GGG-Fon, einer Hotline zum Thema Rechtsextremismus, das von der Gemeinde Münchenbuchsee eingerichtet wurde (vgl. Ausgabe von Dienstag). «Denn der Rechtsextremismus kennt ja keine Grenzen», ist Haeberli überzeugt. «Deshalb sind auch die Regionsgemeinden gefordert.» Catherine Weber zeigt sich trotz diesen Bemühungen wenig beeindruckt von der magistralen Antwort auf ihren Vorstoss. «Es ist schon in Ordnung, wenn die Stadt diese Hotline unterstützt. Aber ich finde es doch billig, wenn der Gemeinderat auf eine Initiative der Gemeinde Münchenbuchsee verweist», sagt sie. «Ich hätte erwartet, dass er eine umfassende Analyse der Situation vorlegt und wirklich aktiv in den Schulen wird. Schliesslich gibt es diesbezüglich genug Material.»
Keine Anlaufstelle
Zudem würde sich Weber einen Rechtsextremismus-Beauftragten in der Schule wünschen. Ein Anliegen, das der Gemeinderat nicht teilt: Es sei nicht vorgesehen, «eine spezialisierte Anlauf- und Beratungsstelle zu schaffen», heisst es in der Antwort zum Vorstoss. «Wir haben genügend Anlaufstellen», betont auch Haeberli. Allerdings lasse sich die Gewalt im Alltag kaum durch Institutionen lösen. «Unsere Gesellschaft braucht Zivilcourage. Es ist verheerend, wenn jemand im Bahnhof zusammengeschlagen werden kann, ohne dass jemand reagiert.»
Was die Polizei beobachtet
Die Szene ist jünger geworden
Laut Polizeisprecher Franz Märki gab es im Jahr 2001 in der Stadt Bern vier markante Ereignisse, bei der rechts- oder linksextreme Gruppierungen in Erscheinung traten. 12. März: Anlässlich des antifaschistischen Abendspaziergangs kommt es zum Handgemenge zwischen linken und rechten Gruppen. Bilanz: ein paar kaputte Schaufensterscheiben, keine Verletzten. Einige Rechtsextreme werden von der Polizei angehalten. Am Vorabend kam es beim Bahnhof Münchenbuchsee zu Schlägereien zwischen linken und rechten Jugendlichen. 2. Juni 2001: Demo gegen die Schliessung der Notschlafstelle. Die Polizei nimmt über 100 Teilnehmende fest.
27. Oktober 2001: Antifa-Aktivisten stören eine Versammlung der Schweizer Demokraten im «Galaxy». Es gibt Sachbeschädigungen im Restaurant.
Ausschreitungen anlässlich der Spiele von YB – Sion vom 4. August und YB – Basel, vom 3. November.
Nebst diesen Vorfällen gibt es laut Märki «eine Unzahl kleiner und kleinster Vorkommnisse» zwischen den Gruppierungen. Sie reichen vom Abreissen von Plakaten bis hin zu Schlägereien. «Die rechte Szene stagniert», sagt Märki. Die Polizei hat sowohl auf linker wie auf rechter Seite eine Verjüngung der Szene festgestellt. «Wir haben auch schon 14-Jährige angehalten», so Märki. at