Der Bund. Wogenglätter und Zauberlehrling – Christian Grossenbacher, der parteilose Gemeindepräsident von Wileroltigen, blieb im Sturm um das Camp der Fahrenden an der A 1 betont ruhig. Aber nun muss er die unerwünschten Geister wieder loswerden.
Darf man sagen, man wolle lieber keine Fahrenden bei sich auf dem Feld? Man darf, findet der Wileroltiger Gemeindepräsident Christian Grossenbacher, das sei nicht rassistisch. Der bald 47-jährige Parteilose, der von sich sagt, er stehe der SP näher als der SVP, holt aus. Gäbe es in seinem Bekanntenkreis eine Familie, welche für eine kurze Dauer eine Wohnlösung benötigte, so würde Grossenbacher sicher in seinem Haus Platz anbieten. Werde eine Frist von einer Woche vereinbart, müsse dies aber eingehalten werden. Klappe das nicht, könne der Aufenthalt um einige Tage verlängert werden. «Bleibt die Familie länger und hält sich nicht an die Abmachungen, dann werde ich langsam sauer, das ist eine normale Erscheinung.» Das Zusammenleben klappe nicht, wenn kein Vertrauen vorhanden sei und sich die Parteien nicht an die Regeln hielten.
Nur noch ein Thema im Dorf
Ab Anfang Juni befand sich in der Gemeinde ein Camp mit Fahrenden aus Frankreich und aus Spanien. Zu Spitzenzeiten waren es bis zu 500 Personen, die beim Rastplatz Wileroltigen an der A 1 ihre Wohnwagen abgestellt hatten. Die Fahrenden räumten den Platz am Donnerstag. «Jetzt, wo die Fahrenden wieder weg sind, kann wieder eine gewisse Ruhe im Dorf einkehren», sagt Grossenbacher. In den letzten Wochen gab es im Dorf, das auf der westlichen Seite der Saane an der Grenze zum Kanton Freiburg gelegen ist, nur ein Thema: die Fahrenden. Ein Bürgerkomitee bildete sich, Transparente und Plakate schossen aus dem Boden. Vollends Feuer im Dach ist, weil der Kanton in Wileroltigen einen permanenten Transitplatz für Fahrende einrichten möchte. Man werde sich weiter «vehement» gegen diese Pläne zur Wehr setzen, so Grossenbacher, der an der Höheren Fachschule für Technik Mittelland in Grenchen als Dozent für Elektrotechnik arbeitet. Seit 1999 wohnt Grossenbacher mit seiner Familie im Dorf.
Der Vater von drei erwachsenen Kindern sieht nicht aus wie ein typischer Gemeindepräsident einer kleinen Landgemeinde. Lange Haare, kurzer Bart, schlanke Gestalt, weisses Hemd. Als Grossenbacher auf Anfang 2014 die Geschäfte als Gemeindepräsident von seinem Vorgänger Daniel Schwaar (BDP) übernahm, der in den Grossen Rat aufgerückt war, konnte er nicht ahnen, was auf ihn zukommen würde.
Grossenbacher setzt seine Worte mit Bedacht, er versucht, die Wogen zu glätten. Wegen seiner Zurückhaltung wurde er angefeindet. Der Gemeinderat solle endlich dafür sorgen, dass die Fahrenden verschwänden, sonst werde man das Heft selber in die Hand nehmen, hiess es. Viele der 380 Einwohner lobten aber auch seine Arbeit. Als der Widerstand gegen den Transitplatz zu eskalieren drohte, handelten Gemeinderat und Bürgerkomitee: Die Facebook-Seite wurde wegen rassistischer Äusserungen geschlossen, der geplante Anlass aus Sicherheitsgründen abgesagt. «Ich hätte nicht erwartet, dass es derart ausarten könnte», sagt Grossenbacher. Zu 100 Prozent hat Grossenbacher in den letzten Wochen für die Gemeinde gearbeitet, Sitzungen, Telefonate, Besprechungen, Interviews – Tag für Tag ging das so. Das Pensum konnte er nur dank der Schulferien bewältigen.
Will nicht mehr kandidieren
Er sieht sich als Konfliktlöser. Ein wenig fühlt er sich aber auch als Zauberlehrling. Wileroltigen suchte nach Verbündeten im Kampf gegen einen Transitplatz. Und erhielt Unterstützung aus der unerwünschten Ecke. Wird man die Geister, die man rief, je wieder los? Grossenbacher spricht von «Trittbrettfahren», von diesen distanziere man sich. Es sei aber eine Tatsache, dass es einen permanenten Platz nicht vertrage. Die ganze Region wehre sich dagegen. «Der Konflikt klingt nicht ab.»
Im Dezember 2013 war Grossenbacher an der Gemeindeversammlung von 28 anwesenden Stimmberechtigten mit Applaus als Gemeindepräsident mit einer jährlichen Entschädigung von 5600 Franken gewählt worden. Für eine zweite Amtszeit will er aber nicht mehr kandidieren. Hat er die Nase voll? Nein, sagt er, aber mit einem so kleinen Pensum seien die anstehenden Projekte nicht zu «handlen». Vielleicht wäre es mit einer 20-Prozent-Anstellung möglich. «Nächstes Jahr kommen sicher wieder Fahrende», sagt Grossenbacher. Zudem sucht Wileroltigen weiter nach Partnern für eine Fusion. Und an der Autobahn, nur ein Feld weiter als jenes, das die Fahrenden in Beschlag genommen haben, ist eine Deponie geplant. «Die Wileroltiger haben ein mulmiges Gefühl», sagt Grossenbacher. Denn ganz in der Nähe ist das AKW Mühleberg, das nach der Abschaltung 2019 abgebrochen wird.
Wileroltigen Bleiberecht-Kollektiv kündet Demo an
Am kommenden Montagabend wollten Gemeinderat und Bürgerkomitee in Wileroltigen einen grossen öffentlichen Anlass zum Thema Transitplatz für Fahrende durchführen. Das Bürgerkomitee erwartete bis zu 2000 Personen aus der Region und der ganzen Schweiz. Doch die Sache wuchs den Organisatoren über den Kopf. Wegen des Sicherheitsrisikos wurde die Veranstaltung am vergangenen Dienstag abgesagt (siehe «Bund» vom Mittwoch). Gemeindepräsident Christian Grossenbacher glaubt nicht, dass es am Montag trotz Absage zu einem Auflauf kommen wird. «Ich hoffe wirklich, dass niemand kommt», sagt er. Die Kantonspolizei will die weitere Entwicklung «beobachten».
Unterdessen hat die Organisation «Bleiberecht Bern» zu einer Demonstration in Wileroltigen am 24. September aufgerufen, «im aktuellen Herzen des Schweizer Antiziganismus», wie es in einer gestern verschickten Medienmitteilung heisst. Das Kollektiv will «Widerstand gegen jede Form von Unterdrückung von Roma, Sinti und Jenischen» leisten. Dem Gemeinderat von Wileroltigen wird unter anderem vorgeworfen, er beteilige sich an einer Verleumdungskampagne und am «rassistischen Bashing». Das Datum für die Demo ist allerdings noch nicht definitiv, «Bleiberecht Bern» hat beim Gemeinderat eine Bewilligung für die Kundgebung beantragt. Das Gesuch traf gestern auf der Gemeindeverwaltung in Wileroltigen ein. Der Gemeinderat wird sich zu einem späteren Zeitpunkt damit befassen.
Das Feld, das die Fahrenden in den letzten rund zwei Monaten benutzt haben, gehört dem Bundesamt für Strassen Astra. Der Platz wurde an den Rändern umgepflügt, damit er nicht mehr benutzbar ist. Zudem wurden die Flächen gesäubert. Auf der Raststätte sind die zeitweise geschlossenen Toiletten geputzt und wieder geöffnet worden.