Tagblatt. Mit einem Flyer riefen Staatsverweigerer unlängst in Herisau dafür auf, die Gemeinde als private Firma und nicht als öffentliche Institution zu betrachten. Ein Einzelfall? Eine Umfrage bei einigen Gemeinden zeigt: Staatskritische Personen gibt es fast auf dem gesamten Kantonsgebiet.
Sie sorgen immer mal wieder für Schlagzeilen: die Reichsbürger und Staatsverweigerer. Unlängst verteilten sie in Herisau einen Flyer, welcher der Gemeinde unterstellt, eine private Firma statt eine öffentliche Institution zu sein. Die Behauptung, die mit einer dazugehörigen Website untermauert werden soll, lehnt sich an die Erzählungen sogenannter Reichsbürger an. Diese sind vor allem in Deutschland bekannt und lehnen den deutschen Staat als solchen ab. Unter dem Strich bleibt das Gedankengut aber dasselbe: Die Legitimation des Rechtsstaates wird angezweifelt oder bestritten oder die Menschen sind gar staatsfeindlich eingestellt.
Ende vergangenen Jahres wurde bekannt, dass ein Sympathisant der Reichsbürgergruppe Königreich Deutschland das ehemalige Gasthaus Appenzellerhof in Speicher gekauft und dort Workshops abgehalten haben soll. Ein zweitägiges «Systemausstiegsseminar» hätte im November zu vielen Besucherinnen und Besuchern geführt. Spätestens da wurde klar: Die staatsfeindlichen Tendenzen sind längst im Appenzellerland angekommen. Öffentlich treten die Staatsverweigerer kaum in Erscheinung, doch die Gemeinden haben schon seit geraumer Zeit mit ihnen zu tun. Vor allem durch die wegen der Coronapandemie angesetzten Massnahmen des Staates wie Maskenpflicht und Lockdown soll die Szene grossen Zuspruch erfahren haben.
Anonyme Schreiben erhalten
Doch ist dem tatsächlich so? Aufgrund einer Superspreader-Hochzeit im Herbst 2020 hatte Schwellbrunn grosses mediales Interesse ausgelöst. Gibt es in der Hinterländer Gemeinde aber auch Staatsverweigerer und Reichsbürger? Gemeindepräsident Ueli Frischknecht bestätigt, dass vereinzelte Personen in Schwellbrunn seit der Pandemie die Legitimation von Staat und Behörden infrage stellen. «Es sind aber glücklicherweise nur wenige.» Er selbst habe vor rund einem Jahr auch mehrere anonyme Schreiben erhalten, welche ihn dazu animieren sollten, das Staatsgebilde neu aufzubauen. «Das waren Hochglanzbroschüren. Jemand hat also ordentlich investiert, um seine Ideologien zu verbreiten.»
Im Mai 2021 kam aufgrund einer unbewilligten Corona-Demonstration mit 500 Teilnehmenden auch Urnäsch zu unverhofftem Ruhm. Gemeindepräsident Peter Kürsteiner: «Ja, auch wir haben Staatskritiker.» Wie viele Personen es genau sind, kann Kürsteiner allerdings nicht abschätzen. Vor allem ein Fall sei ihm bekannt. Was diese Person genau als staatskritisch ausweist, möchte der Gemeindepräsident aus Diskretionsgründen nicht ausführen. Allgemein gehalten sei es aber vor allem die Annahme der Post, welche die staatskritischen Personen verweigerten und welche die Korrespondenz mit der Gemeinde schwierig gestaltet.
Der Rechtsstaat kommt an seine Grenzen
Weit entfernt von einer solchen Problematik ist Gino Pauletti, Gemeindepräsident von Wolfhalden. In der Vorderländer Gemeinde gebe es etwa fünf bis zehn Fälle von Staatsverweigerern. Weiter zu diesen äussern möchte sich der Gemeindepräsident allerdings nicht. Zu heikel sei die Thematik. Nur so viel lässt er verlauten: Diese Personen hinterfragen alles.
«Wenn wir alles beantworten müssten, wäre eine weitere Sekretärin auf der Verwaltung notwendig.»
Und auch in Walzenhausen sind Staatskritiker kein unbekanntes Phänomen. Gemeindepräsident Michael Litscher: «Wir stellen seit ein paar Jahren fest, dass die Staatsverdrossenheit tendenziell zunimmt. Vereinzelt bekommen dies auch unsere Mitarbeitenden und Behördenmitglieder zu spüren.» Dabei würden auch mal gesetzliche Grundlagen, behördliche Anordnungen oder auch das Staatssystem an sich infrage gestellt. Dies könne zu anspruchsvollen Situationen führen. «Manchmal geht es aber auch einfach darum, den Kropf zu leeren.»
Hohe möglichen Kosten für den Steuerzahler
Nichtsdestotrotz ist die Problematik in vielen Gemeinden allgegenwärtig. Frischknecht in Schwellbrunn will die Gefahr, welche von den Staatsverweigerern ausgeht, nicht verkennen. «Die Situation kann je nach Entwicklung nicht vorstellbare Auswirkungen haben.» Er skizziert Auswüchse wie Bauen ohne Bewilligung, das Verweigern des Zahlens der Wasser- und Abwassergebühren wie auch das Abmelden bei der Einwohnerkontrolle, obwohl die Person weiterhin in der Gemeinde wohnhaft ist. Sämtliche rechtlichen Möglichkeiten müssten dann ausgeschöpft werden. Der Aufwand und damit auch die Kosten für die Steuerzahler wären immens. «Das alles ist für das Zusammenleben innerhalb einer Gemeinde nicht förderlich und könnte unseren Rechtsstaat an seine Grenzen bringen.»
Noch ist es aber nicht so weit. Denn es gibt sie auch, diejenigen Gemeinden wie beispielsweise Rehetobel und Wald, welche gemäss deren Auskunft mit Staatsverweigerern noch nie in Berührung gekommen sind.