Langenthaler Tagblatt.
Ein ehemaliges Flüchtlingskind mischt die Schweizer Comedyszene auf – mit einem Humor, der zunehmend als verpönt gilt.
Erst schaut die junge Frau mit Kopftuch etwas verstört, dann beginnt sie plötzlich herzhaft zu lachen. Hamza Raya hat ihr eben einen Witz erzählt. «Einen sehr schlimmen Witz», wie der Komiker sie warnte. Was gelinde gesagt untertrieben war: «Was ist grün und blau und hat keine Lust auf Sex?» – «Die neue Türkin im Frauenhaus.»
Im Youtube-Video «Rassistische Witze in Zürich», das seit einigen Wochen in den sozialen Medien die Runde macht, spricht Hamza Raya auf der Strasse junge Menschen mit Migrationshintergrund an, fragt sie, woher sie kommen und erzählt dann einen Witz dazu. «Ich bin Kurde aus Syrien.» – «Also ein Kurdenwitz: Was haben ein Blinder und ein Kurde gemeinsam?» – «Beide haben ihr Land noch nie gesehen.» Oder zum Kongolesen: «Weshalb haben Schwarze weisse Handflächen?» – «Weil jeder eine gute Seite an sich hat.»
Das ist alles jenseits des guten Geschmacks, eine bewusste Grenzüberschreitung – doch Hamza Raya erntet von seinen Opfern nicht etwa eine Faust ins Gesicht, im Gegenteil: Die Begegnungen sind geprägt von grosser Herzlichkeit. Nach dem Witz gibt es eine Umarmung, und oft heisst es dann: «Jetzt erzähle ich dir auch einen.»
Jugendliche aus allen möglichen Kulturen, die mit sprühender Selbstironie die Vorurteile über sich einfach weglachen – Raya hat damit einen Nerv getroffen. «Seit diesem Video wollen mir ständig Leute Witze über ihr Herkunftsland oder ihre Hautfarbe erzählen», sagt er bei einem Treffen an der Zürcher Langstrasse. «Aber das Problem ist: Ich kenne schon fast alle.»
Er beherrscht acht Sprachen
Hamza Raya stammt aus einer libanesischen Flüchtlingsfamilie. Die Mutter ist Irakerin, der Vater Libanese. Sie war schwanger mit Hamza, als die Familie 1983 vor dem Krieg in die Schweiz flüchtete. Aufgewachsen ist er in Embrach ZH, in einem multikulturellen Umfeld. «Ich kann mir keinen besseren Ort als die Schweiz vorstellen», sagt er. Mit dem Vater sprach er Französisch, mit der Mutter Arabisch, zudem lernte er die Sprachen seiner Mitschüler. Heute spricht er acht Sprachen, von vier weiteren hat er Basiskenntnisse.
Das fällt auch in seinen Videos auf: Als wäre es selbstverständlich, spricht er Albaner auf Albanisch an, die Türkin auf Türkisch, die Kongolesin auf Lingala. Damit stellt er sofort eine Verbindung her. «Die ersten Worte Lingala habe ich über Freunde gelernt, dann habe ich Bücher gekauft und mir die Sprache im Selbststudium beigebracht», sagt er.
Der hochbegabte Junge schaffte es locker ans Gymnasium, brach die Kantonsschule aber frühzeitig ab, um eine Informatikerlehre zu absolvieren. Heute arbeitet er noch 40 Prozent in dem Beruf. «Damit bleibe ich unabhängig», sagt er. «Es gibt Kollegen, die auf Druck von Sponsoren gewisse Social-Media-Beiträge löschen mussten.»
Ein Gegenpol zu den SRF-Satirikern
Hamza Raya gehört zur rasant wachsenden Szene von erfolgreichen Secondo-Komikern, die auf Instagram, Tiktok und Youtube Videos für ein junges Publikum produzieren. Mit ihrem tabulosen, oft auch etwas grobschlächtigen Humor bilden sie so etwas wie einen Gegenpol zu den SRF-tauglichen Satirikern wie Dominic Deville, Michelle Kalt oder Renato Kaiser. Diese bewegen sich grösstenteils in einem engen ideologischen Korsett, stets darauf bedacht, auf der richtigen Seite zu stehen und dass sich ja keine Minderheit verletzt fühlen könnte. Selbst Satire-Übervater Viktor Giacobbo beklagte letzte Woche in der SonntagsZeitung den «Bubble-basierten Moralismus», der sich in der Branche breitmacht.
Unter diesem Verdacht stehen die Secondos nicht. Kiko zum Beispiel, ein dunkelhäutiger Komiker aus der Dominikanischen Republik, erntete einen Sturm der Entrüstung, als er in der SRF-Sendung «Arena» anlässlich der «Black Lives Matter»-Proteste die Haltung vertrat, es werde bei der Rassismusdiskussion übertrieben. Selbstverständlich dürfe man noch «Mohrenkopf» sagen, meinte er. Nach massiven Protesten setzte SRF eine zweite Sendung zum Thema an – diesmal ohne Störenfried Kiko. Für Hamza Raya ist das typisch: «Für die militanten Rassismusbekämpfer sind Mitglieder von Minderheiten, die nicht die Opferrolle einnehmen, ein Problem.»
Auf den Ton kommt es an
Erstmals gross für Aufsehen sorgte Hamza Raya 2016 als Teilnehmer in der SRF-Fernsehshow «Die grössten Schweizer Talente». Er mimte einen humorlosen und talentfreien libanesischen Sänger, der die Jury schon bei sanfter Kritik sofort mit ernster Miene massregelte – «mehr Respekt bitte!».
Die Jury war perplex, wusste nicht, wie reagieren. Genau das war Rayas Absicht: Der Nation vor Augen zu führen, wie verklemmt Schweizer im Umgang mit Ausländern sind, weil sie keinesfalls als Rassisten dastehen wollen.
Von Political Correctness hält Raya wenig. «Das ist einfach unehrlich», sagt er. «Man will erreichen, dass gewisse Dinge nicht mehr angesprochen werden.» Für ihn ist klar: «Als Komiker darf man alles sagen, es kommt aber darauf an, wie und in welchem Kontext.» Es sei ein Unterschied, ob jemand einen rassistischen Witz mit verachtendem Unterton erzähle oder lächelnd mit den Betroffenen zusammen.
Bloss: Solche Nuancen spielen heute oft keine Rolle mehr. Humor ist zu einer gefährlichen Gratwanderung geworden: Ein falsches Wort, eine unangebrachte Pointe – und es kommt zum Absturz. Auch die Secondos sind davor nicht gefeit. Letzten November zum Beispiel mussten sich die Comedians Zeki Bulgurcu und Ivan Spataro für ein Tiktok-Video entschuldigen, das eine Blindenorganisation als «diskriminierend und diffamierend» empfunden hatte.
Selbst ein Divertimento-Komiker gerät in den Strudel
Die Moralkeule erwischt mittlerweile sogar jene, für die Familientauglichkeit an oberster Stelle steht. Vor wenigen Tagen löschte Divertimento-Komiker Manu Burkart nach Protesten einen Instagram-Post. Darin hatte er sich über eine Studie lustig gemacht, die behauptete, dass das Berühren von Brüsten Stress um bis zu 70 Prozent reduziere. «Achtung! Kann den Stress allerdings auch um 100 Prozent steigern, wenn die Frau nicht die eigene ist», hatte er dazu geschrieben.
SP-Nationalrätin Tamara Funiciello fand das überhaupt nicht lustig. Sie rief Burkart dazu auf, sich zu entschuldigen und einen Antisexismus-Kurs zu besuchen. Damit nicht genug: Sie machte ihn bei der Gelegenheit auch noch auf die 430’000 Frauen in der Schweiz aufmerksam, die schon eine Vergewaltigung erlebt haben.
Reumütig löschte Burkart seinen Witz. Dafür sprang Hamza Raya ein. Schliesslich geht es hier um seine Schlüsselfrage: Was für Witze sind heutzutage überhaupt noch möglich? Belustigt von Funiciellos Reaktion sagte er in einem Instagram-Video, auch er finde, nur noch Albaner dürften Witze über Albaner machen, Schwule über Schwule, und Frauen über Frauen. Also wolle er doch gleich einen erzählen: «Geht ein Vergewaltiger …»
Ein typischer Raya: Mit rücksichtsloser Überspitzung, aber doch messerscharf zieht er die Kritik ins Lächerliche.
Er setzt sich für «Ja heisst Ja»-Regel ein
Dass er selber ein Sexist sei, kann man ihm schlecht vorwerfen. Er spricht sich in einzelnen Videos für die «Ja heisst Ja»-Regel im Sexualstrafrecht aus und setzt sich vehement für Gleichberechtigung ein. «Aber hey, ein Joke ist ein Joke, dafür muss man sich nicht entschuldigen», sagt er beim Gespräch in einem kleinen brasilianischen Restaurant.
Hamza Raya ist mit den «Lefties» – so nennt er die Satiriker, die sich der Weltverbesserung verschrieben haben – schon offen in Konflikt geraten. Sie machten ihm zum Vorwurf, dass an einem seiner Comedyabende «Dini Muetter» im Zürcher Mascotte keine Frau aufgetreten war.
Raya antwortete: «Ich wollte Frauen buchen, aber alle waren in der Küche beschäftigt.» Damit hat er sich in der Szene nicht unbedingt beliebter gemacht. «Interessant ist, dass mich ausgerechnet Komikerinnen angegriffen haben, die praktisch nie mit Secondos kooperieren», sagt er.
Eine Humoristin mit Kopftuch
Eigentlich arbeite er gern mit Frauen zusammen. «Es gibt einfach fast keine unter den Secondo-Komikern.» Bei der übernächsten Ausgabe von «Dini Muetter» werde aber eine muslimische Satirikerin aus Berlin auftreten – mit Kopftuch. «Ich freue mich sehr auf sie.»
Seine Kernbotschaft ist im Grunde immer dieselbe: Man sollte die Dinge lieber mit Humor nehmen, statt sich ständig zu empören. «Das Leben ist viel einfacher, wenn du auch über schwere Sachen lachen kannst», sagte er kürzlich in einer Instagram-Story. Und er, der Araber, hat auch kein Problem damit, sich über die eigene Herkunft lustig zu machen. Zum Beispiel so: «Schimpft ein Araber mit seiner Frau: ‹Hör auf, so kindisch zu tun!›» – «Aber ich bin doch erst acht.» – «Ah stimmt, das habe ich vergessen.»