Die Weltwoche: Er war der gefeierte Star der französischen Linken, bis er 2002 plötzlich die Fronten wechselte. Seither behandelt das Establishment Dieudonné M’bala M’bala wie einen Staatsfeind. Kann es für einen Satiriker eine höhere Auszeichnung geben? Von Alex Baur
Mittlerweile habe er sich mit der Rolle des «Diabledonné», des «Teuflischen», abgefunden, rief Dieudonné M’bala M’bala zur Eröffnung seiner Show vom letzten Sonntag in den ausverkauften Saal des Théâtre de Beaulieu; nun stelle sich nur noch die Frage, wer denn hier den Part des Guten spiele – Staatspräsident Hollande, dessen Premier Valls? Oder etwa doch der Stadtrat von Lausanne? Dröhnender Applaus, gellende Pfiffe, ausgelassene Buhrufe. Kein Zweifel, für die meisten der 1800 Zuschauer ist das keine Frage. Der wortgewaltige Alleinunterhalter im orangen Guantánamo-Dress, der seine Pointen im Drei-Sekunden-Stakkato abfeuert, ist für sie ein Held – ein Held der Freiheit, des schwarzen Humors, der Rebellion.
Welch ein Kontrast zur Westschweizer Presse, die dem schwarzen Komiker aus dem benachbarten Frankreich mit einer eisigen Distanz begegnet, so als drohe die Ansteckung mit einer Art geistigem Ebola. Und zwar unisono. «Contre cœur verspürt man beinahe eine Versuchung des Lachens», beschrieb der Berichterstatter von Le Temps seine Gefühlslage. Das war das höchste aller Gefühle. Die meisten beschränken sich auf das Drumherum. Der Stadtrat von Lausanne hätte Dieudonnés Auftritt am liebsten verboten, dann aber hat er ihn unter strengsten Auflagen doch noch erlaubt. Und zwar nur aus einem einzigen Grund: Man wolle keinen «falschen Märtyrer» schaffen.
Zwei Polizisten im Saal überprüften jeden Satz des Mulatten in Echtzeit auf allfällige Verstösse gegen die Rassismusstrafnorm. Das Polizeiaufgebot, das man wegen eines angeblich drohenden Tumults aufgebaut hatte, mussten nicht etwa die Gegner des Komikers (diese liessen sich allerdings auch nicht blicken), sondern er selber bezahlen (100 000 Franken). Nur eben, seine Feinde finden den Mann, der in vielen französischen Städten nicht mehr auftreten darf, gar nicht komisch. Im Nachgang zu den Attentaten von Paris wurde er wegen Verdachts auf «Terrorismusunterstützung» sogar verhaftet. Sein Delikt: Auf Facebook hatte Dieudonné den Satz «Ich fühle mich Charlie Coulibaly» gepostet.
Wie einen Kapitalverbrecher behandelt
Er habe sich damit keineswegs mit dem Terroristen Coulibaly solidarisiert, erklärte Dieudonné später – sondern vielmehr mit Charlie Hebdo, auch wenn der Staat ihn wie einen Kapitalverbrecher behandle, wie Coulibaly eben. Schliesslich hatte er auch nicht «je suis» (ich bin) geschrieben, sondern «je me sens» (ich fühle mich). Doch für solche Details interessierte sich ausserhalb seiner Fangemeinde kein Mensch, erst recht nicht Premierminister Manuel Valls, der öffentlich ein hartes Vorgehen gegen den Komiker forderte. Nur glaubt in Frankreich auch keiner, dass Dieudonné so naiv war. Seine Aktionen, Sprüche und Gesten, mit denen er das französische Establishment seit Jahren regelmässig aus der Contenance bringt, waren stets mehrdeutig. Erstaunlich ist höchstens, dass er damit stets Erfolg hatte.
Wie so viele Komiker seiner Generation wurde Dieudonné M’bala M’bala (es ist sein richtiger Name) dank der TV-Sendung «On n’est pas couché» (France 2) einem breiten Publikum bekannt. An der Seite seines langjährigen Bühnenpartners Elie Semoun, einem jüdischen Marokkaner, legte er in den 1990er Jahren eine steile Karriere hin. Der Sohn eines kongolesischen Buchhalters und einer bretonischen Soziologin war im linksprogressiven Milieu aufgewachsen, das ihn als einen der Ihren feierte. Seine Attacken gegen Haider in Österreich brachten ihm um die Jahrtausendwende eine Medaille der Uno für den «Kampf gegen den Rassismus» ein, die neue Linke um Daniel Cohn-Bendit buhlte um seine Gunst. Die Zeitung L’Express feierte Dieudonné als «einen der beste Komödianten seiner Generation», für den Figaro war er schlicht «der beste».
2002 kam es zu einem radikalen Bruch, über dessen Bewandtnis die Intellektuellen Frankreichs bis heute rätseln. Hatte Dieudonné seine Rolle des politisch gefälligen Mulatten im Justemilieu einfach satt? Waren es die Strafklagen wegen Rassismus und Blasphemie – damals notabene noch wegen Verunglimpfung von Weissen und Katholiken –, die ihn radikalisierten? Ging es ihm bloss um maximale Provokation, Ruhm und Geld? Tatsache ist, dass sich Dieudonné der realen Politik zuwandte, selber Kandidaturen lancierte – und zwar zusehends im Dunstkreis des bös verfemten und verruchten Front national von Jean-Marie Le Pen. Dieudonné, von Haus aus Katholik, behauptete nun plötzlich, er habe nie wirklich unter Rassismus gelitten.
Obwohl seine Attacken gegen den Zionismus zunehmend obsessive Züge annahmen, hielten ihm eine Reihe angesehener Komödianten, unter ihnen Juden wie der erwähnte Semoun, Kev Adams oder Patrick Timsit, erstaunlich lange die Stange. Abgründiger Spott und Blasphemie haben im Land von Voltaire und Molière eine lange Tradition, die gerade in der jüdischen Diaspora hochgehalten wird. Dieudonné war und ist, wie selbst seine Gegner einräumen, ein humoristisches Naturtalent. Wenn da nur nicht seine Ausflüge in den realen und unappetitlichen politischen Alltag gewesen wären. Plötzlich wurde es ernst – und ernst genommen zu werden, ist bekanntlich das Schlimmste, was einem Komiker wiederfahren kann.
Dass er Jean-Marie Le Pen zum Götti seiner Tochter machte, gehört zu den harmloseren Provokationen. Marine Le Pen hat sich längst von Dieudonné distanziert, und selbst ihr Papa findet mittlerweile, er gehe «schon ein bisschen zu weit». Sein Freundeskreis – von Atombombenbastler Achmadinedschad über dem Holocaust-Leugner Robert Faurisson bis zum Topterroristen Carlos – ist ein wahres Gruselkabinett an ideologischen Blindgängern. Ob er deren judenfeindliche Ansichten teilt, blieb stets unklar. Doch es reichte für eine Lawine von Klagen aus jüdischen Kreisen, von denen indes achtzig Prozent mit Einstellung oder Freispruch endeten.
Verharmlosung der Nazis?
Denn Dieudonné ist ein Meister der Ambivalenz. Hat er nun «Isra-Heil» oder «Israël» gerufen? Auf Französisch klingt das ähnlich. Und was genau bedeutet eigentlich die von ihm erfundene «Quenelle» (Deutsch: Klösschen)? Technisch handelt es sich um eine Art Umkehr des Hitlergrusses. Ist das nun eine gefährliche Verharmlosung der Nazis – oder bloss eine Verballhornung? Es ist dem Betrachter überlassen. Für die Fussballlegende Nicolas Anelka bedeutete die nebulöse Geste nach und trotz einem schönen Torerfolg das Ende der Karriere.
Ist der erklärte «Antizionist» Dieudonné automatisch auch ein «Antisemit»? Er bestreitet es und lässt als Kronzeugen flugs vier ultraorthodoxe Juden in seinem Theater Main d’Or auftreten, die Jassir Arafat preisen und die Gründung Israels verdammen. Neckisches Detail: Die Besitzer des Pariser Theaters, das Dieudonné seit Jahren entgegen allen Widrigkeiten mit Erfolg betreibt, sind praktizierende Juden.
Dieudonné nahm auch schon Muslime und Christen ins Visier. Doch die Juden reagierten am schärfsten, vor allem wenn es um Israel und die Schoah ging – für einen Provokateur seines Kalibers schon fast ein Befehl, einen Schritt weiter zu gehen. Genauso ist es auch bei den Feministen, Schwulen und Transsexuellen. Ihre wütenden Proteste treiben den Satiriker in der nach unten offenen Skala zur Höchstform. Nein, er sei keineswegs homophob, versicherte Dieudonné – und arrangierte im August 2013 in einem Hochsicherheitsknast die Trauung von zwei berüchtigten Massenmördern. Zusammen mit dem Topterroristen Carlos fungierte er persönlich als Trauzeuge.
Um die Geschlechterfrage ging es unter anderem auch am letzten Wochenende in Lausanne. Dieudonné versetzt uns ins Jahr 2050, heterosexuelle Beziehungen sind mittlerweile verboten. Dafür gibt es Analsex in allen Varianten (Motto: «Allez vous faire enculer!»). Es geht derb zu und her. Die Wortspiele wären kaum lustig, kämen sie nicht aus dem Mund von Dieudonné – eine krude Mischung aus Sacha Baron Cohen, Gerhard Polt, Frank Zappa und dem Teufelsadvokaten Jacques Vergès. Das Publikum, gemäss einer kleiner Umfrage vor allem Studenten, brüllt vor Lachen. Bei aller Bösartigkeit, es ist kein hinterhältiges, eher ein befreiendes Gelächter. Die Mienen der Menschen, die den Saal nach zwei Stunden verlassen, wirken heiter, entspannt.
Natürlich ist auch der erfolgreichste Genozid der Neuzeit ein Thema: Dieudonné memorisiert die Ausrottung der Indianer in Nordamerika als Disney-Spektakel. Der Sklaverei gedenkt er mit einem fiktiven Dialog zwischen einem trotteligen Sklaven (Anelkas Urgrossvater) und einem nicht unsympathischen Sklavenhalter (ein Schweizer). Ob auch die Juden vorkommen, über die er offiziell nicht reden darf, ist unklar, denn «Suisse» und «juif» klingt zum Verwechseln ähnlich. Alle bekommen ihr Fett ab, doch am meisten mokiert er sich über sich selber. Seine Feinde verdammen ihn als «Epizentrum des Hasses» und wollen ihm das Lästermaul verbieten. Es sind dieselben Leute, die für Charlie Hebdo auf die Strasse gingen. Keiner hat die Doppelmoral des Zeitgeistes so gnadenlos entlarvt wie Dieudonné M’Bala M’Bala.g