Enttäuschung über den Entscheid

BernerZeitung

30. August 2002

 

 

Biels Polizeidirektor Jürg Scherrer muss wegen den Aussagen über Gaskammern nicht vor den Richter. Politiker und Vertreter der Juden sind vom Entscheid enttäuscht. Es gibt auch Resignation.

Rémy Kappeler

Nun hat Untersuchungsrichter Patrick Robert-Nicoud entschieden: Gegen den Bieler Polizeidirektor Jürg Scherrer (Freiheits-Partei FPS) wird keine Strafverfolgung eröffnet. Dieser hatte Anfang Mai in einem Interview mit dem welschen Radio gesagt, die Gaskammern der Nazizeit seien «un détail» der Geschichte. Nach heftigen Protesten in der Öffentlichkeit hatte Scherrer beteuert, er habe das französische Wort «détail» nicht als «Einzelheit», sondern als «Teil» verstanden.

Fehler nicht nachweisbar

Die Frage, ob Scherrer das Wort «détail» richtig verstanden hatte, hat nun Robert-Nicoud beantwortet. Oder besser gesagt: nicht beantworten können. «Es ist unmöglich, Jürg Scherrer zu beweisen, dass er das Wort «détail» mit Wissen und Willen gemäss den gängigen Konventionen des deutschen Sprachgebrauchs verwendet hat.» Scherrers Definition von «détail» sei nicht korrekt und mute umso seltsamer an, «als sie von einem vollamtlichen Exekutivmitglied der zweisprachigen Stadt Biel und einer national politisch aktiven Person stammt». Zu prüfen, ob Scherrers Vorgehen beim Interview Unüberlegtheit oder fehlende politische Sensibilität darstelle, gehöre nicht zu den Aufgaben der Strafverfolgungsbehörde. Robert Nicoud hatte im Mai von Amtes wegen ein polizeiliches Ermittlungsverfahren gegen Scherrer eröffnet.

Scherrers Genugtuung

Mit Genugtuung hat Scherrer vom Entscheid des Untersuchungsrichters und von dessen Bestätigung durch den Staatsanwalts erfahren. «Nun ist klar, dass es ein Missverständnis war», kommentiert Scherrer den Entscheid. Damit sei für ihn die Sache erledigt. Gleichzeitig fordert seine Partei in einem Communiqué die Aufhebung oder eine klare Korrektur der Antirassismus-Strafnorm: «Es darf nicht sein, dass auf Grund einer unklaren Gesetzesformulierung unbescholtene Bürger in Strafverfahren verwickelt werden.»

Eigenartiger Beschluss

«Scherrers Aussage hatte eindeutig einen antisemitistischen Hintergrund», sagt Alfred Donath, Präsident des Schweizerisch Israelitischen Gemeindebundes (SIG). Warum sich Scherrer nicht vor Gericht verantworten müsse, ist für ihn erstaunlich und eigenartig. «Ein Gericht sollte abklären, ob wirklich ein sprachliches Missverständnis vorliegt», sagt Donath. Leon Reich von der Jüdischen Gemeinde Biel und selber Holocaust-Überlebender hat Scherres Äusserung bereits ad acta gelegt. «Es geschehen so viele Sachen auf der Welt, die viel schlimmer sind», sagt er. Was Scherrer gesagt habe, sei schlimm, aber man habe dies damals genug verurteilt. «Mit meinen Vorträgen in Schulen erreiche ich mehr als mit Polemik gegen Scherrer», so Reich. Er hatte sich bereits an der Manifestation «für ein weltoffenes und tolerantes Biel», die zur Demonstration gegen Scherrer wurde, ähnlich geäussert. Auch auf politischer Ebene wird der Entscheid nicht goutiert. «Er befremdet mich und stimmt mich nachdenklich», sagt Corrado Pardini vom Gewerkschaftsbund Biel-Lyss-Seeland. «Die Justiz hat Scherrer nun auf seiner Seite. Die politische Korrektheit aber hat er mit den Füssen getreten», so Pardini. Es gehe nicht, dass der oberste Polizist von Biel immer wieder an die Grenze der Legalität gehe.

Stöckli nicht erstaunt

«Der Gemeinderat hat immer klar geäussert, dass er Scherrers Äusserungen bedauert und dass dieser sie als FPS-Präsident gemacht hat», sagt Biels Stadtpräsident Hans Stöckli (SP). Scherrers Ausspruch habe der Stadt geschadet. «Dass er aber strafrechtlich nicht relevant ist, erstaunt mich nicht», sagt Hans Stöckli.

Ähnlich gehts den Bieler Parteikopräsidenten der SP und der FDP. Sie sei nicht verwundert, dass man Scherrer nichts anhaften könne, sagt Sonja Gurtner der SP. «Wir haben schon im Mai gezeigt, dass wir mit ihm nicht einverstanden sind.» «Kein Kommentar», sagt Peter Moser (FDP), «wir haben das Vorgehen Scherrers damals verurteilt. Und das gilt immer noch, unabhängig von juristischen Entscheiden.»