Eine Testwahl für Europas rechtsextreme Parteien

Tages-Anzeiger

Am 7. Juni wählen die Europäer ihre Abgeordneten für das EU-Parlament. Es ist 

der einzige Anlass, an dem die Bürger sich direkt auf EU-Ebene einbringen können. 

Doch der Wahlkampf ist geprägt von schwachen Kandidaten und einer 

Kampfansage rechtsextremer und antieuropäischer Parteien. 

 

OSTEUROPA 

Rechtsextreme testen ihre Stärke 

Von Bernhard Odehnal, Wien 

Ein tschechischer Beitrag zu den Europawahlen? Zuerst erscheinen auf dem TV-Bildschirm drei 

weisse und ein schwarzes Schaf, wie man sie von den Plakaten der SVP kennt. Dann 

verspricht eine weisse Schrift auf schwarzem Hintergrund zu hämmernder Musik die 

«Endlösung der Zigeunerfrage». So bewirbt die rechtsextreme Nationalpartei (Narodni strana, 

NS) ihre Kandidatur zum Europäischen Parlament und erreichte damit maximale 

Aufmerksamkeit – auch wenn öffentlich-rechtliche TV-Sender in Tschechien die Ausstrahlung 

des Wahlspots ablehnten. 

Stimmung gegen Roma-Minderheit 

Dass die Vorsitzende der NS, Petra Edelmannova, den Einzug ins EU-Parlament schafft, ist 

zwar unwahrscheinlich. Dennoch gilt die Wahl als Test für die Stärke der Rechtsextremen in der 

Tschechischen Republik, die in den vergangenen Monaten massiv Stimmung gegen die Roma- 

Minderheit machten. Ganz ähnlich in Ungarn: Dort tritt die rechtsextreme Partei Jobbik, der 

politische Arm der paramilitärischen Ungarische Garde, an und hofft auf ein bis zwei Mandate. 

Aber auch in der politischen Mitte der neuen EU-Länder im Osten geht es bei diesen Wahlen 

vor allem um innenpolitische Themen und kaum um Europa. Bulgarien wählt Anfang Juli ein 

neues Parlament, und der Wahlgang am 7. Juni gilt als Testlauf, ob die regierenden Sozialisten 

noch eine Chance auf Wiederwahl haben. Der schärfste Konkurrent, Sofias bulliger 

Bürgermeister Bojko Borisow, hat sich ein besonders originelles Wahlmotto ausgesucht: «Ja, 

Bulgarien kann es.» 

FPÖ will das Abendland retten 

In Tschechien sind die EU-Wahlen ein Barometer für die vorgezogenen Neuwahlen im Oktober 

und für die Stärke einer neuen Partei der Europa-Skeptiker (Partei der freien Bürger), die von 

Staatspräsident Vaclav Klaus unterstützt wird. Die Wahlkampagnen sind in allen Ländern 

annähernd gleich: Die Parteien versprechen Massnahmen gegen die Krise und die Verteidigung 

nationaler Interessen in Brüssel. 

Nur die österreichische Freiheitliche Partei, FPÖ, möchte gleich das gesamte «Abendland» 

retten – vor Islam und EU-Bürokraten. Ein gemeinsames Ziel aller Parteien gibt es nur in der 

Slowakei: die Mobilisierung der Wähler. Das kleine Land in den Karpaten möchte nicht ein 

zweites Mal europäisches Schlusslicht bei der Wahlbeteiligung sein. 

GROSSBRITANNIEN

Die Insel steht vor einem Rechtsruck 

Von Peter Nonnenmacher, London 

In Grossbritannien ist ein scharfer Rechtsruck zu erwarten. Bittere Enttäuschung mit der 

regierenden Labour Party dürfte den Konservativen bei den Europawahlen im Juni zu einem 

klaren Sieg verhelfen. Zugleich schaut die Insel gebannt auf die rechtsradikale BNP (Britische 

National-Partei), die sich bei diesen Wahlen als Protestvehikel anbietet und die Chance für 

einen politischen Durchbruch wittert. 

Schon vor dem Spesenskandal seiner Abgeordneten, der dieser Tage britische Wähler in Rage 

versetzt, war mit der Rezession die Labour Party unter Gordon Brown ins Schlingern geraten. 

Der Westminster-Skandal hat die Regierungspartei zusätzlich schwer getroffen. Umfragen 

geben Labour jetzt nur noch ein Fünftel aller Stimmen. Obwohl auch viele Tories in den Skandal 

verwickelt sind, wird ihre Partei von den Wählern nicht in gleicher Weise haftbar gemacht. 

Brown zittert für Testwahl 

Ihren schon jetzt klaren Vorsprung vor Labour dürften die Konservativen damit im Juni eher 

noch ausbauen. Für Brown stellen diese Europawahlen den letzten grossen Test vor 

Unterhauswahlen dar, die bis zum Mai nächsten Jahres abgehalten werden müssen. Der 

Regierungschef muss befürchten, dass bei einem katastrophalen Abschneiden im Juni und 

anschliessender Panik in seiner Partei noch einmal die Forderung nach seinem Abgang laut 

wird. 

Für leidenschaftliche Europäer bedeutet ein Tory-Erfolg ein zusätzliches Problem. Tory-Chef 

David Cameron will seine Konservativen nach den Wahlen zum Kern einer neuen, 

integrationsfeindlichen Fraktion am rechten Rand des Strassburger Parlaments machen. Er hat 

auch ein britisches Referendum zum EU-Reformvertrag in Aussicht gestellt, um diesen noch in 

letzter Minute zu kippen. EU-Integration rückgängig machen will auch die kleinere Anti-EU- 

Partei UKIP (United Kingdom Independence Party), die bereits beim letzten Mal zwölf britische 

EU-Sitze errang. 

Mit ihrer nationalistischen Einstellung könnte auch die BNP der EU das Leben schwerer 

machen, wenn sie diesmal den Durchbruch schaffte. Bisher galt die BNP vielen Briten als 

suspekt, doch glaubt die Partei diesmal, wegen der enormen Unzufriedenheit im Lande auf 

einen oder sogar auf mehrere Sitze zu kommen. Als einzige progressive Kraft unter den 

kleineren Parteien könnten auch die Grünen vom gegenwärtigen Unmut mit dem 

«Establishment» profitieren. Sie hoffen, diesmal auf mehr als nur auf zwei Sitze zu kommen. 

FRANKREICH 

«Antizionistische Liste» zugelassen 

Von Jacqueline Hénard, Paris 

Zuerst die gute Nachricht: Noch nie haben die französischen Medien im Vorfeld der 

Europawahlen so gut und ausführlich berichtet. Seitenweise erklären die Zeitungen, wozu das 

Europaparlament gut ist, wie es funktioniert und welche Rolle die Franzosen dort spielen. Ein 

knappes halbes Jahr nach dem Ende der französischen EU-Ratspräsidentschaft ist «Europa» in 

Frankreich so plastisch wie nie zuvor – es fehlt nur noch das geeignete politische Personal. 

Und das ist die schlechte Nachricht: Die Parteien haben wieder einmal ihre Zeit mit 

Kirchturmsgeplänkel vertan, anstatt ein verständliches europäisches Programm zu entwickeln 

und glaubwürdige Kandidaten aufzustellen. Das Trauerspiel bei den Sozialisten ist nicht weiter 

überraschend. Ausgerechnet die Präsidentenpartei aber brauchte peinlich lang, ehe sie endlich

ihre Kandidatenlisten zusammengestellt hatte. Die Auswahl für die gut bezahlten Posten im 

Europaparlament erfolgte nach rein nationalen Kriterien. Den einen tut man einen Gefallen (so 

der Ehefrau des nationalkonservativen Erfolgsschriftstellers Max Gallo), die anderen schiebt 

man ab, weil sie auf der Pariser Bühne zu einer Belastung geworden sind. Das beste Beispiel 

für diese Entledigungsstrategie ist die gegenwärtige Justizministerin Rachida Dati. In der 

Regierung ist sie aus verschiedenen Gründen nur noch schwer haltbar. Nun wird sie mit einem 

sicheren Listenplatz im Grossraum Paris abgefunden. 

Ein judenfeindlicher Komiker 

Für die Europawahl ist Frankreich in acht Wahlkreise aufgeteilt, deren Zuschnitt allen politischen 

Traditionen zuwiderläuft. Der Mechanismus der Kostenerstattung hat wieder eine Reihe von 

Fantasielisten ins Leben gerufen, wie die «Wählervereinigung Kaufkraft» oder «Cannabis ohne 

Grenzen». Die «Antizionistische Liste» des judenfeindlichen Komikers Dieudonné ist leider kein 

Jux. Ihre Kandidatenliste für den Grossraum Paris wurde vom Innenministerium zugelassen. 

Der Elysée-Palast hatte vergeblich die Möglichkeit eines Verbots prüfen lassen. Dieudonné 

steht der rechtsextremen Partei Nationale Front nahe und wurde selbst fünfmal wegen 

judenfeindlicher Äusserungen zu Geldstrafen verurteilt. Vor fünf Monaten verlieh der Politiker 

französisch-kamerunischer Abstammung dem Holocaust-Leugner Robert Faurisson vor 

Tausenden Anhängern einen «Preis für Unangepasstheit und Impertinenz». Überreichen liess 

er ihn von einem Mitarbeiter mit KZ-Uniform und gelbem Judenstern. 

DEUTSCHLAND 

Bayern geht auf Anti-EU-Kurs 

Von Sascha Buchbinder, Berlin 

Eigentlich würde man erwarten, dass die Europawahl in Deutschland als Generalprobe der 

Bundestagswahl gilt, dass der Urnengang den Ton vorgibt für die Musik im 

Bundestagswahlkampf. Doch dem ist nicht so. Gerade mal 35 Prozent der Wahlberechtigten 

wollen wählen gehen, und auch die Parteien kämpfen eher lau. Die CDU beispielsweise 

schläfert die Menschen mit dem Slogan «Wir in Europa» ein. 

Die SPD probiert eine Negativ-Kampagne, in der FDP-Wähler als Finanzhaie, CDU-Anhänger 

als Lohndrücker verunglimpft werden. Offensichtlich ist Europa unwichtig genug, dass die 

Sozialdemokraten sich getrauen, riskante Methoden auszuprobieren. Wenns in die Hose geht, 

wars bloss die Europawahl. 

Die Bewährungsprobe für Seehofer 

Nur unten in München, da glüht einer für diese Wahl: Horst Seehofer. Für den neuen 

bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden ist die Europawahl die erste 

Bewährungsprobe, und noch weiss niemand, ob er die Hürde meistern wird. Denn so gewiss die 

Bayern normalerweise der CSU zum Wahlsieg verhelfen: Am 7. Juni könnte die CSU an der 

Fünfprozenthürde scheitern. 

Zum Vergleich: Bei der letzten Bundestagswahl erreichte die CSU bundesweit 7,4 Prozent der 

Stimmen. Bei der letzten Europawahl waren es 8 Prozent. Damals aber profitierte die Union 

massiv von Proteststimmen gegen die SPD-Regierung. Diesmal rechnet die Union mit 

deutlichen Stimmenverlusten – die der CSU die europäische Bedeutungslosigkeit bescheren 

könnten. 

Entsprechend quecksilbrig reagiert die CSU-Führung und versucht, mit einem Anti-EU- 

Wahlkampf Stimmen für die Europawahl zu sammeln. Da wird gegen die EU- 

Landwirtschaftspolitik gewettert, ein kerniges Nein zu den laufenden Beitrittsverhandlungen mit 

der Türkei verkündet. Und Seehofer fordert plötzlich Volksbefragungen zu wichtigen EU-Fragen. 

Bei der Frage nach dem Türkeibeitritt weiss sich Seehofer mit Bundeskanzlerin Angela Merkel 

(CDU) einig, die 2004 auch mit diesem Thema den Wahlkampf bestritten hatte. 

Volksbefragungen zu EU-Themen dagegen lehnt Merkel strikte ab. Und so kommt es, dass 

CDU und CSU sich nicht auf ein gemeinsames EU-Programm für den Wahlkampf einigen 

konnten. Weil sich Merkel das CDU-Ticket nach Europa nicht mit einer Anti-EU-Kampagne 

erkaufen will. 

ITALIEN 

Berlusconis Showgirls sorgen für Stimmung 

Von Kordula Doerfler, Rom 

Von Langeweile im Europa-Wahlkampf kann zumindest in Italien keine Rede sein. Nur um 

Europa geht es dabei derzeit zu allerletzt, obwohl die Italiener eher als treue Europäer gelten. 

Was Europa sein sollte oder könnte und welche Rolle Italien dabei spielt, interessiert aber 

dieser Tage niemanden in Italien, zu allerletzt seine Politiker. Beherrscht wird die Debatte nur 

von einem Thema, das immer schrillere Züge annimmt: Silvio Berlusconis private Eskapaden 

und seine gescheiterte Ehe mit der einstigen Schauspielerin Veronica Lario. Sie war es auch, 

die Anfang Mai dafür gesorgt hat, dass sich die Nation plötzlich für die Kandidatenaufstellung 

interessierte, die in allen Parteien wenig transparent und demokratisch vonstatten geht. 

Blond und knapp bekleidet 

Ihrem Mann und seiner gerade erst offiziell gegründeten Sammelpartei Volk der Freiheit, einer 

Verschmelzung seiner Forza Italia und der rechten Alleanza nazionale, warf Lario vor, 

«schamlose Luder der Macht» aufzustellen – und kündigte die Scheidung an, weil er auch noch 

mit «Minderjährigen verkehre». Gemeint waren damit die sogenannten «veline», sehr junge und 

meist sehr blonde junge Damen aus Showbusiness und Fernsehen, die Berlusconi ins 

Europaparlament schicken wollte. Dass deren Wissen über Politik und Wirtschaft meist so 

knapp ausfällt wie ihre Bekleidung, verteidigte der Regierungschef sogar. «Wir stellen keine 

schlecht gekleideten und übel riechenden Personen auf wie andere Parteien», giftete er in 

Richtung Opposition. 

Die Geduld seiner Frau war aber auch deshalb erschöpft, weil er an der 18. Geburtstagsfeier 

von Noemi Letizia, angeblich nur Tochter eines Freundes, teilgenommen und sie fürstlich 

beschenkt hatte. 

Welches politische Erdbeben Lario auslösen würde, war ihr wohl selbst nicht ganz klar. Zwar 

nahm Berlusconi zähneknirschend die meisten «veline» wieder von den Listen, die Vorwürfe 

Larios aber haben sich mittlerweile zur Staatsaffäre ausgewachsen (TA von gestern), die 

bedrohliche Ausmasse für ihn annimmt. Obwohl er bisher kaum an Popularität verloren hat, 

fürchtet er, dass er bei den Wahlen einen Denkzettel verpasst bekommen könnte. Schliesslich 

hat er sie zur Chefsache erklärt und kandidiert selbst auf allen Listen auf Platz eins. Auf seinen 

Wahlplakaten wirbt der 72-Jährige weiter für eine «Verjüngung» Europas. Nur die Scheidung 

hat er bis nach den Wahlen verschoben.