2500 Köpfe stark und doch ein Phantom. Militant, mithin ag-gressiv im Auftreten, und doch zu bemerkenswerter Disziplin fähig. Böse Bürgerschrecks und doch Bubigesichter: Die Berner Antifa-Bewegung; am nächsten Samstag marschiert sie wieder.
Rudolf Gafner
Bern rieb sich die Augen ? das hatte keiner erwartet: Die «Neofaschistische Front» rief zur «Glatzenparty» und traf von der Reitschule her auf heftige Gegenwehr: Mehr als 100 Jugendliche lieferten sich eine wüste Schlägerei. So geschehen 1994: Antifa war geboren. Vorläufer hatte es gegeben, schliesslich hatten bereits AJZ-Bewegte anno 80 Zoff mit «Faschos», Rockern etwa oder Verbindungsstudenten. Nun aber warens Nazi-Skinheads. Und die «Antifaschistische Aktion» (Antifa) war die linksradikale Antwort darauf.
Ein Dutzend 18- bis 30-Jähriger bildeten die Kerngruppe, trugen Fakten zum rechten Milieu zusammen, denunzierten Skin-Treffen ? und standen bald im Rufe, die aufmerksamste Antifa der Schweiz zu sein. 1999 gründeten Antifas, Autonome und Anarchisten das Bündnis «Alle gegen Rechts» und riefen 2000 zum 1. Antifa-Abendspaziergang: 800 kamen, 250 rechte Störer traten dagegen an, die Polizei verhinderte Konfrontationen. Im Jahr darauf warens schon 1500 Antifas, letztes Jahr bereits 2500. So steht Antifa längst nicht mehr allein für eine Aktivistengruppe, sondern für eine veritable Jugendbewegung.
«Professionalisierung» geplant
Das Bündnis, das seit 2002 auch ein eigenes Jugendmagazin druckt («lautstark»), ist im Jubiläumsjahr entsprechend zufrieden, wie es auf «Bund»-Anfrage wissen lässt. «Die Antifa-Bewegung ist in den letzten Jahren stetig gewachsen, auch die organisierten Gruppen und Strukturen haben sich gefestigt. Es ist uns gelungen, eine kontinuierliche Zusammenarbeit unter Gruppierungen aus dem Espace Mittelland aufzubauen.» Und es gibt Ausbaupläne: «Wir werden uns in Zukunft um bessere regionale und schweizweite Vernetzung bemühen.» Ziel der Antifa sei, dass Rechtsextremisten «sich nirgendwo ungestört treffen können». Wie das aussehen kann, zeigten die Antifas letzten Sommer, als sie den «Parteitag» der PNOS («Partei National Orientierter Schweizer») platzen liessen, das Auto des PNOS-Chefideologen aufbrachen, Interna entwendeten und auswerteten. «Wir lernen ständig dazu, verfeinern unsere Recherchetätigkeit», so Antifa, und «wir wollen gegen aussen professioneller auftreten» ? samt «kontinuierlicher Medienarbeit».
Darauf darf man gespannt sein ? denn auch wenn es auf der Strasse 2500 sind: Antifa ist ein Phantom. Verdeckt, anonym, nur via E-Mail und Postfach erreichbar. Sogar die Namen der Gruppen, die im Bündnis mittun, sind vertraulich. Solche Koketterie mit Konspiration und Klandestinität wird begründet mit «Selbstschutz» ? vor «Faschos, Bullen, Medien». Wie auch Vermummung an Demonstrationen Schutz sei. Und in der Tat, die Tarnung ist zweckmässig, wie die erste Thuner Antifa-Demo letzten Mai zeigte: Es kam zu Sachbeschädigungen, die Organisatoren sollten belangt werden ? waren aber nicht zu finden. Der militante Mummenschanz ist aber erkennbar auch lustvolle Inszenierung, Widerstandsästhetik ? auch Antifa-Plakate zeugen davon.Umgekehrt lasse ma
n sich von dem mitunter martialisch anmutenden Auftreten nicht täuschen: Legen die Kids Helme und «Hass-Kappen» ab, kommen nicht selten blutjunge Bubigesichter zum Vorschein; einige sind kaum 16-jährig. So meint Antifa auch nicht gleich Randale. Ja, bisweilen fallen sie gar bemerkenswert diszipliniert auf, was auch schon Bürgerliche anerkennend lobten (vgl. «Zur Sache»).
Antifa, Wasserfallen, PUK-Bericht
Von den bisher vier Abendspaziergängen in Bern gingen drei gewaltfrei über die Bühne, wiewohl etwa letztes Jahr als Folge des Anti-WEF-Krawalls die Stimmung aufgepeitscht war. Für ruhigen Ablauf sorgte wesentlich auch der «Berner Demoschutz», ein 2000 formierter Ordnungsdienst, dem Polizei «gewisse deeskalierende Wirkung» attestierte. Jedoch, Illusionen macht sich die Polizei nicht: Die vorab aus Autonomen rekrutierte Truppe begreift sich primär als «Selbstverteidigungsstruktur» ? und kann sich flugs gegen die Polizei wenden. So geschahs 2002, am einzigen Berner Antifa-Spaziergang, der in Krawall endete. Die Eskalation hatte aber zweierlei Ursachen: Einerseits waren viele Sprayer am Werk und der «Demoschutz» mehr Problem als Lösung. Andrerseits aber hatte der damalige Polizeidirektor Kurt Wasserfallen die Eskalation geradezu befördert ? denn er griff unerlaubt ins Operative ein, setzte gegen Einsatzleitung und Frontoffizier stundenlange Einkesselung durch und «störte den geregelten Ablauf des Einsatzes erheblich», wie die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) dazu erkannt hat.Den PUK-Bericht als Weissbuch Antifa zu lesen, wäre aber verfehlt: So friedfertig sich das Autonomen-Bündnis auch jetzt wieder, vor dem 5. Abendspaziergang am 20. März, gibt (vgl. «Zur Sache»), so sehr gibts in seinem Szeneumfeld doch auch eine «andere Seite» (siehe unten).
Linksradikal motivierte Anschläge und Angriffe in Bern häufen sich
Hatte Wasserfallen doch Recht?
Als Kurt Wasserfallen (fdp), damals Polizeidirektor, nach Berns Anti-WEF-Krawallnacht 2003 gewaltbereite Demonstranten mit Terroristen verglich, entrüsteten sich Linke und Liberale. Die Polemik überschattete auch den Antifa-Abendspaziergang, wo Wasserfallen angeprangert wurde. Nur: Seither hat eine kleine Minderheit linksradikaler und anarchistischer Militanter mehrfach dafür gesorgt, Wasserfallens Worte in Erinnerung zu rufen. Anschläge und Angriffe in und um Bern haben sich gehäuft ? vorab im Anti-WEF-Kontext und in Anti-Armee-Zusammenhängen.
Vergleichsweise leichtere Fälle waren die Anschläge auf Siemens und Novartis 2003 (Glas klirrte, ein Container brannte) und auf UBS- und andere Grossbankfilialen diesen Februar (Steinwürfe, Schmierereien). Schon gröberes Geschütz fuhren mutmassliche WEF-Gegner vor drei Wochen in Schönbühl auf, wo sie ein Polizeiauto anzündeten ? und definitiv nicht mehr als juveniler Unfug abzutun sind die Anschläge gegen die Rüstungsfirma Ruag in Bern und ein Militärdepot in Worblaufen: Vier Lastwagen und ein Personenauto gingen 2003 in Flammen auf. Auffallender als früher werden solche «direkten Aktionen» übrigens zeitlich mit breiteren Mobilisationen verknüpft: In Worblaufen wurde sogar just in der Nacht vor einer armeekritischen Demonstration in Bern zugeschlagen ? früher legten Täter eher Wert auf gewissen zeitlichen Abstand, um «die Demo nicht zu belasten».
Antifa: «Meist nur symbolisch»
Die «Gewaltfrage» ist also wieder einmal im Schwange und wird, etwa auch im Internet, in der Szene diskutiert ? sehr kontrovers übrigens. Auf der Homepage des Berner Antifa-Bündnisses ist folgende Leitlinie zu lesen: «Unsere ,Gewalt? hat meist nur symbolischen Charakter (Farbanschläge, Sprayereien, Verbrennen von Fahnen) und ist ? ausser im Selbstverteidigungsfall ? nur gegen Infrastrukturen des Kapitals gerichtet.» Indes, die Realität wird der Maxime immer öfter nicht gerecht: Gingen schon die armeefeindlichen Brandanschläge über diese sozusagen szeneoffizielle Lesart hinaus, tats die Welle offensiver Attacken auf Berns Polizei letzten Sommer erst recht. Einmal griffen Täter die Polizei gar mit einem Brandsatz an ? aus Solidarität mit dem «Ökoterroristen» Marco Camenisch, dem «politischen Gefangenen» der äussersten Linken.Staatsschützer beobachten die Entwicklung seit längerem: Bereits 2002 warnte der Inland-Geheimdienst in einer Analyse vor einer bis hin zu terroristischen Ansätzen gehenden Eskalationsbereitschaft, die im autonomen harten Kern der Anti-WEF-Szene drohe ? und 2003 ortete der militärische Nachrichtendienst in einem internen G-8-«Info» insbesondere militante Berner Autonome in der «Grauzone».
Polizei: «Auch gegen Personen»
«Früher richtete sich die Gewalt linksextremer Kreise normalerweise gegen Sachen», so Stadtpolizei-Infochef Franz Märki auf Anfrage, «in der jüngeren Vergangenheit sind vermehrt auch Menschen Zielscheiben.» Die Kantonspolizei bestätigt: «Die Gewaltbereitschaft der linken Szene auch gegen Personen ist im Zunehmen begriffen», sagt Kripo-Chef Peter Baumgartner. Ziel linker Angriffe seien vorab Polizisten und Rechtsradikale.Warum aber ? so eine Frage, die jüngst «Bund»-Leser stellten ? gehen linke Täter so auffallend selten ins Netz, obwohl ja der potenzielle Täterkreis extrem klein sein muss? Dazu sagen Märki und Baumgartner nicht viel ? um Tätern nicht Informationen zu geben. Täter in flagranti zu ertappen, sei in der Stadt «sehr schwierig», denn «rasch sind sie in den verwinkelten Gassen untergetaucht». Taten zuzuordnen sei ferner leichter, als Täter individuell zu überführen. Gerade die Brandstifter von Worblaufen und Schönbühl aber würden mit Effort ermittelt; der Kripo-Chef ist «zuversichtlich, die Delikte klären zu können».
Zur Sache:
Kein Interesse an Dialog mit Begert
Fragen an Berns Antifa-Bündnis ? für die «bürgerliche Presse» lediglich anonym via E-Mail zu sprechen.
«Bund»: Letztes Jahr zollte die bürgerliche Gemeinderätin Ursula Begert Ihnen Lob, weil Sie es trotz massiv aufgepeitschter Stimmung geschafft hatten, beim Abendspaziergang Disziplin durchzusetzen; wer sprayte, flog hinaus. Bedeutet Ihnen solche Anerkennung etwas? Oder pfeifen Sie darauf ? ist Ihnen Begerts Lob am Ende gar peinlich?
Berner Antifa-Bündnis: Selbstverständlich ist uns Frau Begerts Lob nicht peinlich ? wir haben Lob ja auch verdient. Und wenn auch politische GegnerInnen gezwungen sind, uns Anerkennung zu zollen, dann freut uns das besonders.
Warum dann so stur, wenn es um Dialog geht? Berns Polizei sucht seit Jahren aktiv Dialog mit Ihnen. Sie jedoch lehnen Verhandlungen mit «Bullen» kategorisch ab ? und um Demobewilligungen ersuchen Sie schon gar nicht erst. Weshalb?
Meinungs- und Besammlungsfreiheit betrachten wir als Menschenrechte, die keiner Bewilligung bedürfen. Uns ist es ein unbedingtes Anliegen, dass der Abendspaziergang in entspannter Atmosphäre über die Bühne geht.Wir wollen Inhalte vermitteln, und sinnlose Scharmützel passen da nicht ins Konzept. Der ruhige Verlauf der Demo ist aber der Selbstdisziplin der TeilnehmerInnen zu verdanken ? und die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen: Mit einer Ausnahme ist es uns immer gelungen, dieses Ziel auch ohne Bewilligung umzusetzen. Am Abendspaziergang 2004 soll dies nicht anders sein. Zudem ist es ja nicht so, dass wir den Kontakt mit den Beteiligten ganz verweigern: Immerhin werden wir Bern Mobil die geplante Demoroute zukommen lassen.
«Bund»: So einfach ist das? Polizeidirektorin Begert hat wiederholt betont, der «Kulturwandel bei der Polizei» müsse nun mit Entgegenkommen von Ihrer Seite honoriert werden ? indem Sie den Dialog nicht länger verweigern. Sonst drohe Rückfall in alte Konfliktmuster. Sind Sie sich Ihrer Verantwortung für eine gute Demonstrationskultur bewusst?
Berner Antifa-Bündnis: Ein Dialog kann nicht zustande kommen, solange sich nicht gleichberechtigte PartnerInnen finden ? und der Staat verhandelt aus einer Machtposition heraus, er macht Auflagen, über welche nicht verhandelt werden kann. Ein Statement gegen Rassismus, Faschismus, Sexismus, Kapitalismus und Staat muss in einer offenen und demokratischen Gesellschaft immer und überall möglich sein ? gerade auch in der Bundes- und «Demohauptstadt» Bern. Zu denken gibt uns allerdings der neue Repressionskurs: Werden künftig alle Proteste von einem riesigen, aufgerüsteten Polizeiaufgebot im Keim zu ersticken versucht? Die Anzeichen sprechen dafür. Auch das geplante Kundgebungsreglement, das mit zahlreichen Verschärfungen aufwartet, zeigt in diese Richtung. Wo bleibt der viel gepriesene Kulturwandel bei der Stadtpolizei Bern?
Das E-Mail-«Gespräch» wurde geführt über info@buendnis-gegen-rechts.ch