Von Raphael Albisser
«Mittlerweile schämt man sich ja fast für ihn», sagt Daniela Imhof. Die 57-jährige Biobäuerin betreibt einen Hof in Brig, weit oben im Rhonetal. Sie hält kurz inne und schaut aus dem Wohnzimmerfenster, hinaus auf das frühlingshafte Bergpanorama. «Es geht einfach um das Menschenbild dieses Mannes. Und wo der überall auftritt!»
Dieser Mann, das ist der Walliser Staatsrat Oskar Freysinger, der SVP-Provokateur von zwielichtigem internationalem Ruf. Imhof hatte in jungen Jahren mit ihm die Schulbank in Sion gedrückt, seine steile Politkarriere verfolgte sie später aber aus der Distanz. «Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er sich überhaupt nicht verändert hat», sagt sie schmunzelnd. «Schon damals gab er sich so traditionalistisch, und er hatte auch bereits dieses arrogante Auftreten.»
Den Unmut von Daniela Imhof teilen derzeit viele WalliserInnen. Für den kommenden Wahlsonntag haben deshalb Linke und Progressive im ganzen Kanton gegen den ungeliebten Staatsrat mobilisiert.
Das andere «Volk»
Als erster SVP-Politiker überhaupt hatte Freysinger vor vier Jahren den Einzug in das fünfköpfige Walliser Exekutivgremium geschafft. Er wurde mit einem Glanzresultat gewählt – trotz seines scharfen Profils als rechter Provokateur und trotz seiner offenkundigen Verbindungen zu rechten Szenen im In- und Ausland.
Viele WalliserInnen mögen damals gehofft haben, dass sich Freysinger im Amt mässigen werde. Aber als Vorsteher des Departements für Bildung und Sicherheit bewies er das Gegenteil. Zuletzt im vergangenen November, als er mit Piero Falotti einen befreundeten rechtsextremen Apokalyptiker als «unabhängigen Experten» in eine Arbeitsgruppe seines Departements berief. Oder als er im selben Monat in Berlin an der «Konferenz zur Meinungsfreiheit» des völkischen Magazins «Compact» eine wirre Brandrede hielt. Darin stilisierte er sich selbst zum «skandalträchtigen Schweizer Bürger» und heroischen Kämpfer, zum Opfer von Mobbing und «übelster Beschimpfung und Ehrabschneidung». Dass er trotzdem einen Ministerposten besetzen könne, sei einzig der direkten Volkswahl in der Schweiz zu verdanken, erklärte er seinen begeisterten ZuhörerInnen in gewohnt lehrmeisterlichem Ton.
Nun wird sich Oskar Freysinger am Sonntag erneut einer Volkswahl stellen müssen. In diesem «Volk» regt sich mittlerweile aber Widerstand: An mehreren Orten formierten sich kleine Gruppen, um sich gegen die Wiederwahl zu stemmen. «Seit der Geschichte mit diesem rechtsextremen Berater hat die Sache hier richtig zu brodeln begonnen», sagt etwa Hanna Schnyder-Etienne. Die sechzigjährige Ärztin sitzt am Pult ihrer Praxis in Leuk, die sie gemeinsam mit drei weiteren MedizinerInnen führt. «Und dann kam die Sache mit dem Maria-Plakat.» Auf dem angesprochenen Inserat, das die Unterwalliser SVP im Januar schaltete, ist eine weinende Frau abgebildet, daneben steht geschrieben: «Maria, Hausfrau und Mutter, kann ihre Miete nicht bezahlen.» Und darunter, in fetter roter Schrift: «Der Kanton bezahlt 650 000 Franken pro Monat für die Mieten von Migranten.» Für Schnyder-Etienne ist dies eine weitere haarsträubende Grenzüberschreitung von Freysingers SVP: Denn hier würden mit der Sozial- und der Asylpolitik des Kantons zwei Dinge vermischt, die überhaupt nichts miteinander zu tun hätten.
Darum traf sich Schnyder-Etienne in den letzten Wochen mit einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter, erstellte einen kurzen Youtube-Clip mit gesammelten Widersprüchlichkeiten aus Freysingers öffentlichen Auftritten, schrieb einen LeserInnenbrief an den «Walliser Boten». «Herr Freysinger ist einfach kein Staatsmann», sagt die Ärztin. Im Gespräch mit JournalistInnen offenbare er durch sein angriffiges und gleichzeitig dünnhäutiges Auftreten, dass er gar nicht daran interessiert sei, sein Gegenüber zu verstehen. «Dabei braucht es in diesem Amt genau das: eine aufmerksame, kompromissfähige Person!»
Der Widerstand verbreitet sich auch per Post: Rund eine Woche vor der Wahl flattern grossformatige Flugblätter in 160 000 Walliser Haushalte. Darin wird Freysingers Führungsstil heftig kritisiert. «Coupons-lui la voie» (Schneiden wir ihm den Weg ab) steht gross darüber geschrieben. Hinter der Kampagne steckt eine kleine Gruppe aus Monthey im Unterwallis, die für diese Aktion via Crowdfunding innerhalb kurzer Zeit die benötigten 39 000 Franken gesammelt hat. Viele dieser KleinspenderInnen dürften sie mit ihrem ursprünglichen, weit skandalträchtigeren Slogan erreicht haben: «Coupons-lui la queue» – Schneiden wir ihm den (Ross-)Schwanz ab.
Es sind aber nicht nur Linke, die Freysinger für seine Eskapaden gerne abgestraft sähen. Davon zeugen die über tausend Personen aus dem ganzen Kanton, die sich am 18. Februar auf der Place du Scex in Sion zu einer Demonstration gegen die diskriminierende Wahlkampfrhetorik der Walliser SVP einfanden. Dazu aufgerufen hatte Yannick Délitroz, Lehrer und Familienvater aus Monthey. Auch wenn dieser seine Aktion nicht offiziell so verstanden wissen wollte: Für viele der Anwesenden handelte es sich dabei um eine eigentliche Anti-Freysinger-Demo.
Von Eltern ausgebuht
Auch Stéphane Andereggen, Historiker und Übersetzer aus Sierre, war dabei. Und es stimmte ihn optimistisch, dass sich viele Bürgerliche unter die Demonstrierenden gemischt hatten. «Wir sind uns bewusst, dass diese Wahl nicht die Welt verändern wird», sagt der 61-Jährige. Eine Umfrage deutet derzeit darauf hin, dass die Zusammensetzung des Staatsrats gleich bleiben wird: drei Sitze für die CVP, einer für die SP und einer für Freysinger. Und doch sei es enorm wichtig, dass sich die progressiven Kräfte im Wallis Gehör verschafften: «Man muss jetzt dafür sorgen, dass die Bevölkerung eine kritische Bilanz von Freysingers Amtsführung zieht.»
Und zwar nicht nur, was dessen teils chaotischen Führungsstil, sondern eben auch, was die politische Ideologie angehe, die er in seiner Funktion verbreite. Mit dieser befasst sich Andereggen schon seit Jahren, im Keller seines Hauses stapeln sich Notizen und Zeitungsartikel über den rechten Scharfmacher. Vor zwei Jahren veröffentlichte er im Eigenverlag sogar einen ganzen Gedichtband mit dem Titel «Gute Nacht, Oskar!».
Andereggen freut sich, dass sich die Walliser Bevölkerung gegen Freysingers Rhetorik zur Wehr setzt. So sei der Staatsrat auch schon von empörten Eltern ausgebuht worden, als er bei der Ansprache im Rahmen einer Diplomübergabe wieder einmal über den gefährlichen Islam zu referieren begann, der angeblich Europa überrenne. Solche Reaktionen machten Mut, auch wenn es am Sonntag wohl nicht zur erhofften Überraschung reiche. Denn letztlich finde Politik ja nicht nur an der Wahlurne statt, sagt Andereggen. «Die Welschen sagen ja gerne: ‹Élections, pièges à cons.›» Frei übersetzt: Wahlen sind Fallen. Nur Trottel fallen darauf rein.