Neue Zürcher Zeitung. Seit Jahren wird ein Verbot von Nazi-Symbolen gefordert, bis jetzt ohne Erfolg. Jetzt nimmt eine Parlamentskommission einen neuen Anlauf. Auch das Justizdepartement von Karin Keller-Sutter klärt ab, ob es in dieser Frage eine Kurskorrektur braucht.
Keine andere Strafnorm ist in der Schweiz so umstritten wie die Anti-Rassismus-Bestimmung. Ursprünglich wurde sie bewusst schlank ausformuliert, um den Befürchtungen vor einer zu starken Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit entgegenzuwirken. Damit sollte verhindert werden, dass das Gesetz in der Volksabstimmung von 1995 abgelehnt würde. Im Gegensatz zu Deutschland oder Österreich ist es deshalb in der Schweiz grundsätzlich bis heute erlaubt, Nazi-Symbole zu zeigen oder sich mit dem Hitlergruss zu begrüssen.
Erlaubt ist es zum Beispiel, seine eigene Gesinnung kundzutun, etwa durch das Schwenken einer Flagge mit Nazi-Symbolen. Auch ein Mann, der 2010 auf dem Rütli den Hitlergruss machte, ging straffrei aus. Schuldig macht sich gemäss geltendem Recht einzig, wer den Hitlergruss macht oder nationalsozialistische Symbole zeigt, um damit für eine Ideologie zu werben. Doch nun nimmt der Druck zu, die Rassismus-Strafnorm in diesem Punkt zu schärfen.
Politiker aus allen Lagern sind für ein Verbot
Nächste Woche behandelt die Rechtskommission des Nationalrates zwei parlamentarische Initiativen, mit welchen die Verwendung und Verbreitung von Symbolen des Nationalsozialismus und anderen rassendiskriminierenden Symbolen neu unter Strafe gestellt werden soll. Die beiden Vorstösse wurden von Angelo Barrile und Gabriela Suter (beide SP) eingereicht und von Ratsmitgliedern aus allen Lagern mitunterzeichnet. Ähnliche Forderungen wurden im Parlament in den letzten Jahren immer wieder gestellt, bisher allerdings ohne Erfolg.
Nicht zuletzt der Bundesrat hatte sich in der Vergangenheit immer wieder kritisch gegenüber einer solchen Ausweitung der Rassismus-Strafnorm gezeigt. Eine Abgrenzung zwischen strafbarem und straflosem Verhalten sei bei rassistischen Symbolen kaum möglich, meinte die Regierung noch im Februar zu einer Motion der Aargauer Mitte-Nationalrätin Marianne Binder. Prävention bringe mehr als Repression, weshalb es weder sinnvoll noch notwendig sei, die bisherige Strafbestimmung zu erweitern. Doch kaum hatte der Bundesrat seine Stellungnahme publiziert, hagelte es Kritik.
So bezeichnete der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) die Haltung des Bundesrates in einer ungewohnt deutlichen Stellungnahme vom Februar als «nicht nachvollziehbar und unverständlich». Aus Erfahrung sei klar, dass Menschen, die in der Öffentlichkeit den Hitlergruss zeigten oder ein Hakenkreuz benutzten, bereits eine gefestigte antisemitische Ideologie vertreten: «Zu glauben, dass sich diese durch ein Präventionsprogramm davon abbringen liessen, ist eine massive Verkennung der Lage», schrieb der SIG.
Harsche Reaktion des Israelitischen Gemeindebundes
So erscheint es inzwischen nicht mehr ausgeschlossen, dass es im Bundeshaus zu einer Kurskorrektur kommt: Die Tatsache, dass an Corona-Kundgebungen Demonstranten mit Hakenkreuzen auftauchten und der Hitlergruss gezeigt wurde, hat viele Politikerinnen und Politiker aufgeschreckt. Während des zweiten Corona-Jahres haben antisemitische Attacken deutlich zugenommen. Die Pandemie hat so sichtbar gemacht, wie rasch Judenhass und Nazi-Gedankengut an die Oberfläche geraten, sobald Schuldige für eine Krise gesucht werden. Nicht zuletzt Justizministerin Karin Keller-Sutter persönlich signalisierte ein mögliches Umdenken.
Als Reaktion auf die Kritik des SIG beauftragte sie das Bundesamt für Justiz (BJ) im März mit vertieften Abklärungen zu einem Verbot von Nazi-Symbolen. Wenige Tage bevor sich die Rechtskommission des Nationalrates mit der Thematik befasst, sind diese allerdings noch nicht abgeschlossen, wie eine Sprecherin des BJ sagt. Das Bundesamt sei beauftragt worden, zuhanden der Vorsteherin des Justizdepartementes «den Handlungsbedarf und die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten zu prüfen», erklärt die Sprecherin auf Anfrage. Diese Arbeiten seien noch im Gang. Dazu, ob es tatsächlich zu einer Kurskorrektur kommt, wollte sich das BJ nicht äussern. Denkbar ist deshalb, dass das Parlament das Heft selber in die Hand nimmt.
Für Binder ist unverständlich, dass sich das Justizdepartement in dieser Frage derart ziert. Für sie ist klar, dass das Bundesamt für Justiz ihren Vorstoss nur oberflächlich geprüft hat und deshalb nun nachbessern muss. «In der Schweiz ist es verboten, einen Sonnenschirm mit einer Marlboro-Aufschrift aufzustellen», meint Binder in Anspielung an die im Februar angenommene Initiative für ein Tabak-Werbe-Verbot. «An einer Demo mit einer Hakenkreuz-Fahne aufzutauchen, gehört dagegen zur Meinungsfreiheit und ist erlaubt. Das ist absurd.»
Angst vor Umgehung eines Verbots
Inzwischen spricht sich auch die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (ERK) für ein Verbot von rassistischen Symbolen aus: Es sei wichtig, ein deutliches Signal zu senden, dass rassistische Symbole in der Öffentlichkeit grundsätzlich nicht toleriert werden könnten. Gleichzeitig macht die ERK in ihrer Stellungnahme aber deutlich, wie komplex das Vorhaben ist: Das Gesetz müsse so präzise sein, dass für Bürgerinnen und Bürger sowie für die Behörden nachvollziehbar sei, welche Symbole und Gesten in welcher Situation unter ein Verbot fallen. «Eine besondere Herausforderung wird der Umgang mit Symbolen sein, die zur Umgehung eines Verbots in Umlauf gebracht werden.» Gemeint sind beispielsweise gängige Codes der Neonazi-Szene wie die Zahl 88.
Bewusst sind die Vorstösse von Binder, Barrile und Suter eng formuliert: Verboten werden sollen gemäss Binder ausschliesslich bekannte Zeichen des Nationalsozialismus, namentlich von Gesten, Parolen, Grussformen, Zeichen und Fahnen. Nicht erfasst würden andere gewaltverherrlichende, rassistische oder extremistische Zeichen wie beispielsweise das russische Z. Die Vorstösse von Barrile und Suter sind ähnlich formuliert. Dies, um der Befürchtung entgegenzuwirken, die Meinungsäusserungsfreiheit werde mit der Ausweitung der Rassismus-Strafnorm unverhältnismässig stark eingeschränkt. Denn so verständlich der Ruf nach Konsequenz auf diesem Gebiet ist – unter Strafrechtlern ist das Anliegen nach wie vor umstritten.