BERN Kurz vor dem «Antifaschistischen Abendspaziergang» haben Insider des Berner anarcho-autonomen Untergrunds erstmals «bürgerliche Presse» empfangen und sich aufgeführt, als wäre Bern Belfast. Ein bizarrer Abend, aber ein aufschlussreicher. Zu erfahren war etwa, dass die Antifa nicht bloss massgeblich, sondern ausschliesslich von Autonomen dominiert wird, oder dass der Schwarze Block zwischen Bern und Zürich «Kulturunterschiede» kennt «wie die SVP».
Besuch im Anarcho-Untergrund
Militante Autonome reagieren auf «Bund»-Recherchen – harter Kern empfängt erstmals «bürgerliche Presse»
Nach allen Regeln subversiver Konspiration hat sich der harte Kern von Berns Schwarzem Block erstmals den Fragen der «bürgerlichen Presse» gestellt, bevor er am Samstag aufmarschiert – ein reichlich bizarrer, aber aufschlussreicher Abend in einer Stube der Reitschule.
? RUDOLF GAFNER
Dies ist keine «Story» aus Belfast oder Bilbao, sondern aus dem beschaulichen Bern. Sie beginnt mit dem Anruf eines «Mike vom Bündnis» am letzten Montag: Wenn der «Bund», wie man vernehme, interessiert sei am Kontakt mit den Veranstaltern des bevorstehenden «4. Antifaschistischen Abendspaziergangs», gehe dies in Ordnung, man berate soeben darüber. «Dienstag, 20 Uhr, im ,Sous le Pont, okay?» Abgemacht, und wie solle der Gast die Gastgeber erkennen? «Wir werden Sie erkennen», instruiert «Mike».
Ein exklusiv autonomes Bündnis
Wie vereinbart wartet der Mittelsmann kein «Mike», ein anderer, der Redaktion bekannter Aktivist im Restaurant der Reitschule, schlürft Milchkaffee und zückt das Natel: «Er ist da.» Dann führt der V-Mann aus der libertären Grauzone den Gast von der liberalen Zeitung via Reitschul-Innenhof und einen düsteren Treppenaufgang hinauf in den ersten Stock, wo früher die «Autonome Volxbibliothek» war. Dort sitzen drei komplett mit Masken, Kappen und schwarzen Kapuzen vermummte Gestalten, zwei Männer, eine Frau, 19 und 22 Jahre alt: Vertreter des Antifa-«Bündnisses Alle gegen Rechts» und, wie bald offenbar ist, Insider der militanten anarcho-autonomen Szene vonBern.Dies sei das erste Mal, so die Drei, dass «die neue Generation» des Berner Schwarzen Blocks, «ausserparlamentarische Linke», «bürgerliche Presse» empfange.
Was soll der ebenso unheimlich wie lächerlich anmutende Mummenschanz-Firlefanz, treten so die Organisatoren einer politischen Kundgebung auf? Nun, im Falle der Antifa ja denn die Koketterie mit dem Konspirativen hat beim 1999 ins Leben gerufenen «Bündnis Alle gegen Rechts» System. Auch wenn es 2000 Leute auf die Strasse bringt: Es ist ein Phantom, verborgen im anonymen Untergrund, ohne Namen und Gesichter, nur via E-Mail und Postfach zu erreichen. Die Tarnung geht so weit, dass man nicht einmal erfahren soll, welche Gruppen im Bündnis vertreten sind mehr als durch den «Bund» letzten Samstag ohnehin transparent gemacht worden ist, soll nicht enthüllt werden. Zu erfahren ist aber immerhin, dass das Bündnis nicht mehr nur weitgehend, sondern exklusiv aus Autonomen besteht.
Liegt Wasserfallen doch richtig?
Erst recht sei die Frage erlaubt, was ganz normale Bürger denken sollen, wenn junge Berner Antifas die ja, wie sie versichern, am Samstag friedlich marschieren wollen Pressetermine geben, als wären sie die IRA oder die ETA? Und: Begreifen umgekehrt sie, dass einem da fast unweigerlich Polizeidirektor Kurt Wasserfallens (fdp) Vergleich von Randalierern mit «Terroristen» einfällt? Umso mehr, wenn man sieht, wie auf Plakaten, Transparenten und imInternet geworben wird: Ein grimmig dreinblickender Vermummter hier, eine Bombe mit brennender Lunte dort. Man liest: «Antifa heisst Angriff!», oder: «Euch gehört die Macht, uns die Nacht!»
Nun, solcher Stil sei zu relativieren, nicht gleich für bare Münze zu nehmen, so die Drei vom Bündnis.Schlicht «Blödsinn» sei die Rede von Terroristen genauso «blödsinnig» wie schon die Analyse des schweizerischen Inland-Geheimdienstes, wonach sich im harten Kern der autonomen Antiglobalisierungsszene eine bis hin zu terroristischen Ansätzen reichende Eskalationsbereitschaft zu entwickeln drohe. Viele Leute hätten «vollkommen falsche Vorstellungen» von Autonomen, aus der Tarnung würden «falsche Schlüsse» gezogen. «,SchwarzerBlock heisst nicht automatisch Gewalt» denn wäre dies so, «würde es viel häufiger krachen», nicht zuletzt kürzlich an der Irak-Kundgebung in Bern.
Wenn Autonome «de-eskalieren»
Tarnung, Anonymität und Vermummung dienten «dem Selbstschutz» gegen unerwünschte Einblicke von «Faschos, Bullen und Medien». Dies sei «kein Vorwand», sondern Ausfluss «realer Angst». Viele in der militanten Szene die «15- bis über 40-Jährige, vom Arbeitslosen bis zum Historiker» umfasse hätten, etwa bei einem Outing durch Medien, «Jobs zu verlieren», fürchteten vor allem jedoch, von der politischen Polizei fichiert zu werden, um «bei nächster Gelegenheit kriminalisiert» zu werden. Und wie weit «Faschos» gegen Antifas zu gehen bereit seien, habe ja jüngst «der Schädelbruch von Köniz» gezeigt erst recht die Sturmgewehr-Salve der «Nationalen Offensive» auf das besetzte «Solterpolter»-Haus im Jahr 2000 in Bern.
Die Beteuerung der Antifa, gewaltlos demonstrieren zu wollen, dürfe Bern ruhig glauben.«Das Potenzial für eine gewaltlose Demonstration ist gut», ob mit oder ohne Verstärkung aus Zürich. Eine Abrechnung nach der Strassenschlacht vom Januar stehe nicht bevor. Liessen Polizei und «Nazis» sie in Ruhe, «werden auch wir de-eskalieren» und als «Zeichen guten Willens» sei man bereit, der Stadtpolizei vorab die Route mitzuteilen. Wenn man schon nicht bereit ist, mit der Polizei in Dialog zu treten oder schon nur überhaupt um Bewilligung zu ersuchen.
Radikale mit Sinn für Realpolitik
Auch Berns so genannte rebellische Linke habe aber «kein Interesse an einer Eskalation und einer Verhärtung der Fronten», heisst es. Und dies, wohlverstanden, nicht allein aus Sorge um die Glaubwürdigkeit der Antifa und ihrer Inhalte. Und auch nicht nur, um intern den fragilen Zusammenhalt zu wahren («Wir haben monatelang mühsam diskutiert, um auf einen Nenner zu kommen, da wollen wir uns nicht jetzt die Sache kaputt machen lassen»). Sondern ebenso sehr, weil «wir nicht blind sind», auch die autonome Szene durchaus wisse, was «realpolitisch» drohe, würde es bös mit Gewalt «abgehen». Nämlich: Bei der Polizei würde Wasserfallens «Polarisierungskurs» gestärkt, Polizeikommandant Daniel Blumers «Linie der De-Eskalation» aber geschwächt. Und: Die Reitschule geriete noch stärker unter Druck.
«Genau dies könnte passieren, wenn wir jetzt nicht schlau reagieren», sagt die junge Frau. Ja, fügt einer der beiden Männer hinzu, man sei «wach und selbstkritisch» wie man im Übrigen «auch von aussen Kritik vertragen kann», komme sie gar von der «bürgerlichen Presse». Denn: «Gewisse Reflexion tut auch gut, sofern sie ehrlich gemeint ist.» Hör sich einer das an: Nach dumpfem Chaotentum und Hooliganismus klingt dies nicht, nach skrupellosen Terroristen auch nicht.
Andrerseits kann solcherart vernünftig klingende Argumentation des (beim «Bund»-Termin im Übrigen ausnehmend freundlich auftretenden) Trios nicht darüber hinwegtäuschen, was hier Sache ist. Ein Blick auf die martialische Maskerade allein reicht, um wieder voll gewahr zu werden, dass es sich da nicht um Jungsozialisten oder um Grünalternative handelt, sondern um politisch radikalisierte Hardliner, gewaltbereite anarcho-autonome Überzeugungstäter. Und je länger der Abend, je unverkrampfter ihre Stimmung, desto freimütiger bekennt das Trio grelle Farbe.
«Legitime Gewalt», auch offensiv
So auch zur «Gewaltfrage». Erst lassen sies zwar bei der sozusagen offiziellen Lesart bewenden: Linke Gewalt sei «nie Selbstzweck», dürfe nie Schwarzblock-«Fetischismus» sein und offensive Gewalt gegen Menschen sei, anders als für rechte Militante, tabu. «In Konfrontationen» mit Polizei oder Rechten aber seis «legitim, sich zu verteidigen». Sehr wohl «legitim» sei offensive Gewalt zudem «gegen Sachen» symbolische «Angriffe» auf «Staat und Kapital». So wie in der Nacht zum 22. Januar die «Anschläge» auf Siemens und Novartis in Bern: Scheiben klirrten, ein Container brannte, Parolen wurden gesprayt.
Später aber räumen sie ein, dass sie durchaus auch schon mal bereit sind, «die Gewaltfrage» flexibler zu handhaben: Ja, es stimme schon auch, dass in der Szene «diskutiert» werde, bisweilen bewusst offensiver Eskalation anzustreben. «In bestimmten Zusammenhängen», so konkret etwa gegen das WEF, «kann es auch eine gewisse Strategie sein, es abgehen zu lassen, und das kann funktionieren, wie Seattle und Genua bewiesen haben.» Und was für eine bessere Welt «legitim» sei, seis gegen Berner «Bullen» erst recht: Als Mitte August 2002 vier Polizisten bei einem Anarcho-Konzert im Gaskessel von einer drohenden, 30 Personen starken Gruppe eingekesselt wurden (und von der Polizei regelrecht evakuiert werden mussten), sei dies genauso berechtigt gewesen wie die überfallmässige Sturmattacke eines 20-köpfigen Autonomen-Kommandos aus der Reitschule heraus auf einen Polizei-Mannschaftswagen nach einer eskalierten «Nachdemo» im Juni 2000. Denn beide Male habe es gegolten, linke Gesinnungsgenossen vor der Festnahme zu bewahren
«Berner Kultur, wie bei der SVP»
Andrerseits legten sie als «ausserparlamentarische Linke» Wert auf Nüchternheit und Kalkül gar Verantwortung. So hätten Berner «Demoschutz»-Autonome am Antifa-Abendspaziergang 2001 McDonalds und «Tübeli-Bar» gegen das Einschlagen von Scheiben geschützt umderen Kundschaft vor Glassplittern zu schützen. Komme hinzu, dass, so heisst es, der Berner Schwarze Block weniger «Hardcore-mässig» drauf sei als die Zürcher. «Eine ,Berner und eine ,Zürcher Kultur gibt es offenbar nicht nur bei der SVP, sondern auch bei den Autonomen. Und die ,Berner Demo-Kultur soll es weiterhin geben.» Diese zu erhalten, liege aber auch am Verhalten der Polizei.
Wichtig sei ferner zu wissen, so erzählen die Drei weiter, dass in der Berner Autonomenszene, die einen Generationenwechsel durchlaufen habe, der junge Nachwuchs dabei sei, sich «stärker zu politisieren, selber Inhalte zu erarbeiten, nicht einfach das Alte zu übernehmen». Die Veteranen aus der 80er-Bewegung wüssten sie zu schätzen, sie gäben «Denkanstösse» und hälfen, «Fehler nicht zu wiederholen». Die Jungen wollten sich aber emanzipieren, eigene Wege gehen.
Warum nur dieser Extremismus?
Unverändert sei derWille, keineswegs nur Bern «aufzurütteln», sondern «die Welt zu verändern» ganz in der Tradition linksradikal-autonomer «Widerstandskultur», wie sie in Bern von 68er-Spontis inspiriert und von 80er-Unzufriedenen etabliert wurde. Und ähnlich wie einst klingen Antworten auf die Frage, wie es kommt, dass Jugendliche in der friedvollen Kapitale der wohl behüteten Schweiz sich derart radikalisieren. So berichtet einer der Drei, wie er 1997, erst 17-jährig, «einzig wegen meiner bunten Haare» von Polizeigrenadieren rabiat «eingepackt» worden sei; die Rede ist von der präventiven Festnahme von 171 Jugendlichen, mit denen seinerzeit die von Punks ausgerufenen «Berner Chaostage» im Ansatz verhindert wurden. «Ich weiss nicht, wo ich heute stünde ohne diese Erfahrung», sinniert er gibt aber wiederum zu, dass es «schon auch etwas habe» mit der These, wonach Exzesse der Eskalation an gesellschaftlichen Rändern, so wie das gefährliche Spiel mit Militanz, auch, ja gerade heute erst recht Ausdruck seien für eine Extremisierung, Brutalisierung in der breiten Gesellschaft, liege doch «Hardcore» allgemein im Trend.
22.15 Uhr, man lässts bei diesem Stand bewenden keine weiteren Fragen. Die Drei verabschieden die «bürgerliche Presse», bevor sie ihre Masken ablegen, in ihre bürgerlichen Existenzen zurückkehren. «Alles wird Wut!» lautete ein Slogan der 80er-Rebellen. Aber, so ruft die 99er-Antifa noch nach, bloss keine Panik: «Äs chunnt scho guet»…