srf.ch: Das Neonazi-Konzert mit 5000 Besuchern am Samstag in Unterwasser (SG) wirft Fragen auf. Ist die rechtsextreme Szene im Aufwind? Und haben die Behörden korrekt gehandelt? Der Szenekenner Hans Stutz liefert Antworten.
Heute, 13:51 Uhr, aktualisiert um 19:58 Uhr
Die beschauliche Gemeinde Unterwasser im Toggenburg hat am Samstag ein Neonazi-Konzert mir mehr als 5000 Besuchern aus ganz Europa erlebt. Einschlägig bekannte Bands aus Deutschland mit den Namen «Stahlgewitter» oder «Frontalkraft» sowie die Schweizer Gruppe «Amok» traten in der Tennis- und Eventhalle des Dorfes auf. Der Journalist und Szenekenner Hans Stutz ordnet die Geschehnisse ein.
Hans Stutz
Der Journalist beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Rechtsextremismus und Rassismus. Auf seiner Website publiziert er unter anderem Meldungen zu rechtsextremen und rassistischen Vorfällen in der Schweiz.
SRF News: Sind Sie von der Dimension des Konzertes überrascht?
Hans Stutz: Die grosse Zahl der Besucher überrascht mich. Ich habe keine Kenntnis von gleich grossen Konzerten, weder in der Schweiz noch in anderen westeuropäischen Ländern.
Deutet dieses Konzert auf eine gewisse Entwicklung in der Szene hin?
Das lässt sich noch nicht sagen. Gemäss meinen Beobachtungen hat die Skinheadszene in Westeuropa – vor allem auch in den deutschsprachigen Ländern – in den vergangenen Jahren an Attraktivität verloren. Es gibt nicht weniger Rechtsextreme, sie kommen jedoch aus anderen Subkulturen oder sind in politische Organisationen eingebunden. Nichtsdestotrotz: Dass nun 5000 Leute mobilisiert werden konnten, ist eine ganz, ganz grosse Überraschung.
Der Nachrichtendienst des Bundes gibt an, vom Konzert gewusst zu haben. Unklar ist, ob man auch Kenntisse über den Veranstaltungsort hatte. Gleiches gilt für die Polizei. Erstaunt es, dass die Behörden den Ort des Konzertes im Vorfeld nicht ausfindig machen konnten?
Das ist nicht überraschend. Auch die Besucher werden bei solchen Konzerten erst wenige Stunden vorher über den Veranstaltungsort informiert. Jedoch ist die Medienarbeit der Polizei in Frage zu stellen. Sie erweckt den Anschein, als hätte sie das Konzert kontrolliert. Die Polizei schreibt, man hätte keine Widerhandlung gegen die Antirassismus-Strafnorm festgestellt. Das ist insofern korrekt, aber sie ist auch gar nicht erst in die Halle gegangen. Die Polizei müsste folgerichtig schreiben, dass es sie nicht interessiert hat, ob es Widerhandlungen gegen die Rassismusstrafnorm gegeben hat. Und deklarieren: wir haben nichts dazu unternommen, dies festzustellen.
Die Band ‹Amok› hat den Holocaust geleugnet und zur Ermordung von Menschen mit schwarzer Hautfarbe aufgerufen.
Die Polizei hätte also in die Halle hineingehen müssen?
Man hätte allenfalls das Recht erwirken können, eine Aufnahme zu machen. Die Wahrscheinlichkeit, dass in diesem Fall Widerhandlungen gegen die Rassismusstrafnorm stattfinden, ist sehr gross. Das kann man an den Liedtexten der teilnehmenden Gruppen erkennen. Ich erinnere daran, dass die Schweizer Band «Amok» wegen Widerhandlung gegen die Rassismusstrafnorm verurteilt worden ist, weil sie den Holocaust leugnet und weil sie zur Ermordung von Menschen mit schwarzer Hautfarbe aufgerufen hat.
Polizei will Lehren ziehen
Der St. Galler Sicherheitsdirektor Fredy Fässler verteidigt das Verhalten seiner Kantonspolizei in Unterwasser. «Ein Eingreifen der Polizei hätte möglicherweise zu einer Eskalation der Situation beigetragen.» Fässler will aber Lehren aus dem Vorfall ziehen: «Die Kantonspolizei wird sicherlich analysieren, ob man in einer vergleichbaren Situation wieder gleich handeln würde.» |
Man hört von verschiedenen Seiten, dass solche Konzerte künftig vermehrt in der Schweiz stattfinden werden. Denken Sie auch, dass sich dieser Trend fortsetzen wird?
Am kommenden Samstag ist bereits ein weiteres Konzert geplant. Daraus lässt sich aber nicht schliessen, dass es in Zukunft vermehrt solche Konzerte geben wird.
Wie weit müssen Veranstalter Nachforschungen machen, um ein solches Konzert zu verhindern?
Für Veranstalter und Gemeindebehörden ist es in der Tat schwierig, solche Veranstaltungen zu verhindern. Es werden von den Organisatoren natürlich Leute vorgeschoben, die nicht zu den bekannten Exponenten gehören. Allfällige Nachforschungen und Nachfragen beim Nachrichtendienst würden erfolglos enden.
Das Interview führte Dominik Meier.
Nachspiel für Veranstalter?
Das Konzert könnte dennoch für die Veranstalter ein Nachspiel haben. Die Gemeinde Wildhaus-Alt St. Johann, zu welcher Unterwasser gehört, will mit der Staatsanwaltschaft prüfen, ob etwa durch rechtsextreme Liedtexte Strafnormen verletzt wurden. Dies sagte Gemeindepräsident Rolf Züllig der Nachrichtenagentur sda. Mit Konsequenzen müssen laut Züllig auch die Veranstalter des Grossanlasses rechnen, weil sie bei der Gemeinde mit falschen Angaben eine Bewilligung erschlichen hätten. Anzeigen wegen des Konzertes gab es bisher keine. |