Limmattaler Zeitung. Tobias Steiger phantasiert in Chats offen von der Vernichtung aller Juden. Nur wenige Tage, nachdem er noch nicht rechtskräftig verurteilt wurde.
Der bekannte Rechtsextreme Tobias Steiger ist ein Wiederholungstäter. Seit er die Strafe für seine Brandrede an einer Demo im November 2018 kennt, ist er keinen Millimeter von seiner Position abgewichen. Seine antisemitische Ansprache hinter dem Basler Messeplatz gab Anlass zu einer Gegendemo, welche die kantonale Justiz als sogenannte «Nazifrei-Prozesse» in ungekanntem Mass beschäftigt. Seither hat sich Steiger weiter radikalisiert. Der «Schweiz am Wochenende» liegen Chatprotokolle, Bilder, Videos und Audio-Aufnahmen vor, in denen Steiger von der Vernichtung sämtlicher Juden phantasiert, den Holocaust feiert und krude Verschwörungstheorien teilt.
Statt auf Facebook konzentriert er sich inzwischen auf verschlüsselte Nachrichtendienste wie Telegram. Auf Nachfrage bestätigt Steiger, Urheber des Materials zu sein, und verweist gleichzeitig auf seine Website mit ähnlichen Ausführungen. Entgegen seiner ursprünglichen Ankündigung im «Tages-Anzeiger» hat er das Urteil weitergezogen. Damit ist nicht rechtskräftig, dass Steiger eine Busse von 2’200 Franken und Verfahrenskosten von mehr als 6’000 Franken zahlen muss. Vor allem aber geht es um die Strafe: 160 Tagessätze à 80 Franken, total 12’800 Franken bedingt, steht im Strafbefehl.
«Die Angst, nicht die Wahrheit sagen zu können, ist grösser, als jene vor einer Strafe»,
so begründet Steiger seinen Entscheid.
Schuld ist der Föderalismus
Markus Mohler war Basler Polizeikommandant und dozierte Sicherheits- und Polizeirecht. In einem Fall wie Steiger stellt er sich die Frage, ob jener, wenn er seit dem Urteil neue Delikte begangen hat, nicht sogar gegebenenfalls in Untersuchungshaft zu nehmen sei. Das Problem: Meistens kriegen die Strafverfolgungsbehörden nicht mit, wie mögliche Täter sich weiter vernetzen und radikale Ansichten austauschen – im Fall von Steiger bis zur möglichen Anstiftung von Gewalttaten.
Mohlers Urteil über die behördliche Ressourcen ist nicht gut:
«In der Schweiz gibt es – neben dem Nachrichtendienst des Bundes – gerade einmal drei, vielleicht vier Kantone, die solche Straftäter überwachen können.»
Er nennt nur jene mit den grössten Polizeidiensten: Zürich, Genf, Bern etwa. «Das derzeit gestaltete föderalistische Polizeisystem wird dieser Probleme nicht Herr.» Mit den technischen Möglichkeiten seien die Aufgaben für kleinere Polizeikorps nicht mehr zu bewältigen, meint Mohler.
Der Bundesrat sieht eine Lageverschärfung – und reagiert
Auch der Bundesrat beschäftigt sich derzeit mit dem Thema Extremismus. In einem im Januar verabschiedeten Bericht stellt er eine «gewisse Lageverschärfung im Bereich des gewalttätigen Linksextremismus und durch die mittelfristig erhöhte Wahrscheinlichkeit eines Anschlags eines rechtsextremistisch inspirierten Einzeltäters» fest. Aus diesem Grund revidiert das Verteidigungsdepartement derzeit das Nachrichtendienstgesetz des Bundes. Ein Entwurf wird für Ende 2021 erwartet.
Einen Punkt nimmt der Bundesrat schon vorweg: Die Grenzen zwischen gewalttätigem Extremismus und Terrorismus weichen sich auf. Konkret wird geprüft, ob künftig auch politische Extremisten vom Nachrichtendienst mit bewilligungspflichtigen Instrumenten überwacht werden können. Das würde es dem Nachrichtendienst erlauben, Ortungsgeräte einzusetzen, Abhöranlagen zu Hause zu installieren und Computer zu hacken.