Neue Zürcher Zeitung: Die Pegida Schweiz kann laut Extremismusexperten nur wenige Anhänger mobilisieren – ernst zu nehmen ist sie trotzdem
Die von der Pegida Schweiz angekündigte Demonstration wird voraussichtlich weniger internationale Ausstrahlungskraft haben als befürchtet. Keiner der umstrittenen Redner hat bisher zugesagt.
«An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern», schrieb der deutsche Schriftsteller Erich Kästner einst. So findet am 3. Februar hierzulande voraussichtlich nicht nur die erste Kundgebung der Pegida Schweiz statt, sondern – ganz in seinem Sinn – auch die von den Basler Juso und den Jungen Grünen Nordwestschweiz mitorganisierte Gegenveranstaltung.
Beide Demonstrationen sind bewilligt – auch nach dem medialen Wirbel um die unbestätigte Gästeliste der islamfeindlichen Organisation. Gemäss dieser Liste sollen auch Front-national-Gründer Jean-Marie Le Pen, der ehemalige NPD-Vize Karl Richter und Frauke Petry, Chefin der Partei «Alternative für Deutschland», Reden halten. Beide Demonstrationen finden auf dem Basler Marktplatz satt.
Laut Andreas Knuchel, Mediensprecher der Basler Kantonspolizei, steht ein Entzug der Bewilligungen derzeit nicht zur Diskussion. Sollte sich der jetzige Erkenntnisstand ändern, sei dies aber möglich. Mittlerweile kann davon ausgegangen werden, dass die Teilnehmerzahl der Gegendemonstration jene der Pegida-Veranstaltung deutlich übersteigen wird. Laut den Anmeldungen auf Facebook stünden derzeit 300 «patriotische Europäer» 1000 Personen gegenüber, die «dankbar sind für Vielfalt», wie auf ihrer Facebook-Site zu lesen ist.
Wie Hans Stutz, langjähriger Beobachter der rechtsextremen Szene, sagt, verfügt Pegida Schweiz über eine geringe Mobilisierungsfähigkeit. Die Bewegung sei in der Schweiz in erster Linie «ein aufgeblasenes Medienprodukt». Sie habe ihre Gründung bereits vor einem Jahr verkündet und bis anhin nichts Nennenswertes zustande gebracht. Der Auftritt der Pegida sei pöbelhaft, und ihr laste der Ruf zur Gewaltbereitschaft an.
Samuel Althof, Leiter der Fachstelle Extremismus- und Gewaltprävention Fexx in Basel, meint, die akute Gefahr gehe in erster Linie vom Aufeinandertreffen der beiden Seiten aus. Die Linke mobilisiere schweizweit.
Neben der geringen Mobilisierungsfähigkeit der Pegida Schweiz ist auch der Leistungsausweis ihrer Exponenten klein. Der rechtsextreme Basler Grossrat Eric Weber, der das Gesuch für die Kundgebung einholte, sei ein politischer Einzelkämpfer, der sich vor allem selbst inszeniere, meint Stutz. Die Vertreter der Pegida Schweiz organisieren sich über die Direktdemokratische Partei (DPS), deren Präsident Ignaz Bearth ist. Über ihn sagt Althof: «Er ist ein Politbrüller, aber keiner, der tragfähige politische Botschaften übermittelt.» Pegida-Chef Mike Spielmann und Tobias Steiger, der auf Druck verschiedener Parteimitglieder aus der SVP Dornach austrat und heute Mitglied der DPS ist, haben bisher erfolglos Gesuche für eine Demonstration eingereicht. Diese wurden jeweils mit der Begründung abgelehnt, die Sicherheit könne nicht gewährleistet werden. Nun habe man sich Weber angeschlossen. Als Redner bestätigt sind derzeit denn auch einzig diese drei. Die Einladung der internationalen Gäste sei im Alleingang von Weber erfolgt, so Steiger. Alle Antworten stünden noch aus.
Wie Extremismusexperte Althof sagt, muss man die Pegida ernst nehmen, auch wenn sie im Moment kein Gewicht entwickeln kann. Sie sei ein Randphänomen, das zwar beschäftige, nicht aber in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei. Von einer Bürgerbewegung möchte er nicht sprechen. Man müsse aufpassen, dass man das bisher deutsche Phänomen hierzulande nicht grossrede.
Die Schwäche der Pegida dürfte schliesslich auch mit der Stärke der SVP zusammenhängen. Teilt die SVP die Anliegen der «Pegisten»? Der Basler Nationalrat Sebastian Frehner sagt: «Es handelt sich um eine heterogene Bewegung. Für Rechtsextreme habe ich keine Sympathien, Bürger, die sich hingegen über mangelnde Integration gewisser Ausländer aufregen, kann ich verstehen.»
Die Anti-Pegida tagt in Bern
sig. · Während der Schweizer Ableger der Pegida anscheinend Mühe hat, für eine Veranstaltung in Basel nur schon eine Rednerliste zusammenzustellen, rechnen Gruppierungen am anderen Ende des politischen Spektrums mit Hunderten von Teilnehmern an einer Veranstaltung in Bern. An einer Tagung werden am Samstag Helfer, Aktivisten, Kirchenleute und Gewerkschafter über praktische Herausforderungen im Asylwesen, vor allem aber auch über radikale Thesen zur schweizerischen «Willkommenskultur» diskutieren.
Im Zentrum steht die von verschiedenen Theologen lancierte Migrationscharta, die innerhalb der Landeskirchen für Kontroversen sorgte. Das Manifest fordert nichts weniger als die «freie Niederlassung für alle». Postuliert wird nicht nur ein Recht auf Asyl, sondern eine Pflicht zur Migration im Fall von Unterdrückung. Co-Veranstalter ist der aus Protesten gegen das World Economic Forum entstandene Verein Tour de Lorraine.
Ist die «Refugees welcome»-Bewegung wegen des Sex-Mobs in Köln oder der asylpolitischen Debatten in Europa in der Defensive? Matthias Hui, Mitinitiant der Migrationscharta und einer der Organisatoren der Tagung, verneint. Dieser Eindruck entstehe möglicherweise durch die Medienberichterstattung. Das Engagement von Privatpersonen, Kirchen oder Organisationen habe aber nicht abgenommen. Die innerkirchliche Kritik an der Migrationscharta interpretiert er nicht als Rückschlag. Im Gegenteil hätten die intensiven Diskussionen mit den Kirchenleitungen etwas bewirkt. Die Kirchen engagierten sich heute stärker im Flüchtlingsbereich, und die Tonalität habe gerändert. Bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, dem Verband der grossen Flüchtlingshilfswerke, bekundet man grundsätzlich Sympathien für die Zielsetzung der Tagung am Samstag. «Wir sind ist aber nicht a priori überzeugt vom Realitätsbezug der Migrationscharta», sagt Mediensprecher Stefan Frey, auch wenn guter Wille hinter den Maximalforderungen stehe. Die Flüchtlingshilfe konzentriere sich auf das Umsetzbare und möchte nicht mit utopischen Forderungen ihre Glaubwürdigkeit riskieren. Jemanden ins Land zu lassen, sei im Übrigen der einfachere Teil der Flüchtlingshilfe, gibt Frey zu bedenken. Matchentscheidend sei aber die wirtschaftliche, politische und kulturelle Integration. Einen Rückgang der Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung nach den Übergriffen in Köln stellt man bei der Flüchtlingshilfe nicht fest.