Tagblatt. Die rechtsextreme Gruppe Junge Tat drängt mit ihren Aktionen an die Öffentlichkeit. Eines ihrer Mitglieder ist der 28-jährige Samuel B. aus Buchs, der bis 2019 als Mitglied der SVP sehr aktiv in der kantonalen Politik war. Die ehemaligen Weggefährten Mike Egger und Sascha Schmid distanzieren sich.
Vor einer Schweizer Flagge spielt ein sportlicher junger Mann Luftgitarre auf seinem Bett, mit Sonnenbrille, Armee-Feldmütze und Zigarette im Mund. Über dem Bett hängt ein gut 40 Zentimeter grosses Kreuz mit Jesus darauf, neben der Flagge ein altes Schwert und ein in die Jahre gekommenes Porträt von General Henri Guisan.
Dies mag heutzutage keine typische Einrichtung für das Zimmer eines jungen Mannes sein, bedenklich ist sie jedoch nicht. Bis man den Namen liest, unter dem der junge Mann das Bild auf Instagram veröffentlichte. Er nannte sich Raoul Salan, einstiger Oberbefehlshaber der französischen Truppen in Algerien und Indochina sowie Mitgründer der rechtsextremen Terrortruppe OAS, die in Algerien und in Frankreich über 2200 Menschen ermordete.
Hinter dem Pseudonym, das mittlerweile geändert wurde, verbirgt sich der 28-jährige Samuel B.* aus Buchs, bis 2019 Vizepräsident der Jungen SVP (JSVP) St.Gallen und Präsident der SVP Buchs. Heute ist er eines von mindestens zwei St.Galler Mitgliedern der Neonazi-Gruppe Junge Tat.
Ein frischer Anstrich
Die rechtsextreme Gruppe drängt seit Monaten mit ihren äusserst professionell umgesetzten Aktionen und Videos aggressiv an die Öffentlichkeit. Statt mit Glatze und Springerstiefeln treten die Vertreter der neuen radikalen Rechten mit stylishen Hipsterfrisuren und Turnschuhen auf – wie ganz normale Jungs eben. Entsprechend taufte sie die «Wochenzeitung» (WOZ) «die Schwiegersohn-Neonazis».
Wenn sie sich für ihre Aktionen nicht gerade als Araber verkleiden, die Schweizern die Kehle durchschneiden, organisieren sie Boxtrainings und Wanderungen – noch im Oktober eine im Kanton St.Gallen – oder auch mal eine Müllaufräumaktion in Rapperswil. Danach posten sie Bilder und Videos davon auf Social Media, auf denen die Gesichter der Teilnehmer unkenntlich gemacht sind. Nie fehlt der Aufruf, sich zu melden, um beim nächsten Mal auch dabei zu sein.
Alte SVP-Weggefährten distanzieren sich
Samuel B. trat 2019 als Präsident der SVP Buchs zurück. Bis dahin war er in der Kantonspolitik einige Jahre sehr aktiv gewesen. Gemeinsam mit dem heutigen SVP-Nationalrat Mike Egger und dem heutigen SVP-Kantonsrat Sascha Schmid gründete B. 2015 das Komitee Sichere Grenzen im Rheintal (SGiR). Egger und Schmid waren Co-Präsidenten, B. der Vizepräsident. Auch waren alle drei in der kantonalen Jungen SVP (JSVP), bis Egger 2016 als deren Präsident zurücktrat, Sascha Schmid seine Nachfolge antrat und B. sein Vize wurde.
Samuel B. blieb bis 2019 Vizepräsident der JSVP, trat dann jedoch unvermittelt von seinen Ämtern zurück und verliess die Partei. Sascha Schmid, der mehrere Jahre gemeinsam mit B. Politik machte, bekam dessen Radikalisierung nur am Rande mit: «Man hat gemerkt, dass sich bei ihm etwas verändert, der Kontakt wurde immer sporadischer.» Dennoch sei er sehr überrascht gewesen, als er von B.s Gesinnung erfuhr.
«Wir haben einen anonymen Tipp bekommen, dass er in rechtsradikalen Kreisen verkehre.» Man habe diesen verfolgt und der Verdacht habe sich erhärtet, woraufhin Schmid und seine Parteikollegen B. vor die Wahl stellten, selbst zurückzutreten oder aus der Partei ausgeschlossen zu werden. B. entschied sich für Ersteres. Schmid sagt: «Solches Gedankengut hat bei uns nichts verloren.»
Nationalrat Mike Egger entgegnet auf B. angesprochen, die Jungpartei habe mit B.s Ausschluss alles richtig gemacht und somit ein klares Zeichen gegen die Radikalisierung gesetzt.
Von Rassenkrieg und Attentätern
Radikal ist die Junge Tat allemal. Nach einer ihrer jüngsten Aktionen in Zürich zeigten sich Manuel Corchia und Tobias Lingg, die beiden Anführer der Gruppe, in einem Video erstmals ganz offiziell mit Namen und Gesicht. Dort erklären die nach der Jahrtausendwende geborenen jungen Männer, dass sich ihr Protest «im rechtsstaatlichen» Rahmen bewege und sie sich «klar von Nationalsozialismus und anderen Ideologien» distanzierten. Doch ein Blick in ihre Vorgeschichte lässt erhebliche Zweifel an der Aufrichtigkeit der Aussagen aufkommen.
Gemäss Recherchen des «Tages-Anzeigers» gründete Corchia die Eisenjugend Schweiz im Alter von 19 Jahren von seinem Kinderzimmer in Winterthur aus. Auf dem Telegram-Kanal der Gruppe las jemand stundenlang Nazipropaganda vor. Auch wurde dort das Manifest des Attentäters von Christchurch geteilt, der 2019 in Neuseeland 51 Menschen in zwei Moscheen erschoss. Das Manifest behandle «hochaktuelle Themen», hiess es dazu.
Im Januar 2021 wurden sechs Mitglieder der Eisenjugend von der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich aufgrund einer ihrer Aktionen wegen Rassendiskriminierung verurteilt. Bei Corchia kam der unerlaubte Besitz einer Kalaschnikow hinzu. Bei einem weiteren Mitglied fand man ein ganzes Waffenarsenal mitsamt einem Sturmgewehr, einer Schrotflinte sowie haufenweise Munition, wie die WOZ schreibt.
Im Juli 2021 lief Corchia an einem Aufmarsch von rund 70 Neonazis beim Winkelried-Denkmal in Sempach mit. Obwohl hauptsächlich deutlich ältere Mitglieder prominenter rechtsradikaler Organisationen wie Hammerskins und Blood and Honour anwesend waren, hielt Corchia die Hauptrede. Lingg war auch dabei. Im selben Sommer gründeten die beiden die Junge Tat.
Aktivisten statt Neonazis
Seither docken sie mit ihren Aktionen an aktuelle gesellschaftliche Themen an und polieren laufend ihr Image auf. Sie nennen sich nicht Neonazis, sondern «Aktivisten», aus dem «Rassenkrieg» wurde die Forderung nach «dem Erhalt der ethnisch- und kulturellen Bevölkerung sowie ihrer Regionen». Auch die Sturmmasken mit der Rune Tyr, einem Nazisymbol, wurden mittlerweile durch Baseball-Caps und Schals ersetzt.
Dennoch geht der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) gemäss der «Sonntags-Zeitung» davon aus, dass das Gewaltpotenzial der Szene seit 2020 insgesamt gestiegen ist. Der NDB beobachtet die Gruppe seit längerer Zeit.
Ihr bisher wohl grösster Coup gelang ihnen, als sie Mitte Oktober einen Event im Tanzhaus Zürich stürmten, an dem Dragqueens Kindergeschichten vorlasen. Die Aktion ging durch die Schweizer Medien und sämtliche Stadtzürcher Parteien verurteilten den Angriff umgehend aufs Schärfste – abgesehen von der SVP.
Sie reichte stattdessen zehn Tage nach der Aktion ein Postulat ein, worin sie den Stadtrat aufforderte, zu prüfen, wie die «‹Drag Story Time› […] sofort abgesetzt werden kann». Ein führendes Mitglied der Jungen Tat verkündete kurz darauf auf Twitter:
«Wir begrüssen dies. Aktivismus wirkt!»
Und so trugen Vertreter der wählerstärksten Partei des Landes die Anliegen einer Neonazi-Gruppe in den Zürcher Gemeinderat.
Ob der frühere SVP-Funktionär Samuel B. bei der Aktion in Zürich dabei war, ist unklar. Auf Versuche, mit ihm Kontakt aufzunehmen, reagierte er nicht.
Gewiss ist, dass er sich Ende Januar 2022 bei einer Demonstration gegen die Coronamassnahmen in Bern mit der Jungen Tat an die Spitze des Umzugs stellte, zusammen mit 30 bis 40 weiteren bekannten Neonazis. Lingg und ein weiteres Mitglied gingen mit einem Megafon in der Hand voran und stimmten Chöre an, Corchia filmte. Samuel B. lief in der ersten Reihe und trug ein Banner mit der Aufschrift «Jetzt ist Schluss!».
* Name der Redaktion bekannt