Wochenzeitung. Im Zürcher Volkshaus treten die Stars der Rechtsesoterik und der Verschwörungsszene auf und knöpfen Besucher:innen viel Geld ab. Doch die Leitung will nicht einschreiten.
Reicht dieser eine Satz, um das merkwürdige Treiben im Zürcher Volkshaus zu rechtfertigen? «Die Geschichte lehrt uns: Die Ersten, die darunter leiden, wenn man andere Meinungen ausgrenzt, sind die Linken», sagt Kaspar Bütikofer, Präsident des Stiftungsrats des Volkshauses, dieses Monuments der Zürcher Arbeiter:innenbewegung. Dort gehen seit einer Weile Scharlatane ein und aus, veranstalten geschäftstüchtige Gurus aus der Esoterikszene teure Events, trifft sich die Arbeitsgruppe Freie Energie zum monatlichen Höck. Dort treten die Stars der Coronaleugner:innen auf, die Komiker Marco Rima und Andreas Thiel. Und Ende Mai sogar der Overlord der deutschsprachigen Verschwörungsszene: Daniele Ganser.
Ganser ist gerade auf Deutschlandtournee, wo er vor Tausenden von Leuten Putin-freundliche Theorien zum Angriffskrieg gegen die Ukraine verbreitet. Im Volkshaus tritt er nicht zum ersten Mal auf. Aber nun habe die Betriebskommission abklären lassen, ob es noch opportun sei, ihm eine Bühne zu geben.
Volkshaus-Präsident Bütikofer sagt: «Die Betriebskommission hat beim israelitischen Gemeindebund nachgefragt, ob er Ganser und seine Theorien als antisemitisch erachtet. Er hat dem Volkshaus mitgeteilt, er habe bisher keine antisemitischen Vorfälle bei Ganser registriert.» Diese Einschätzung teilen nicht alle: In Hannover etwa warnte die Liberale Jüdische Gemeinde vor der Ganser-Veranstaltung, «denn krude Verschwörungserzählungen, die häufig in antisemitischen Sprachbildern enden, sind keine Grundlage für eine gesunde Debattenkultur, sondern schlichtweg nicht zu akzeptieren».
Kompost gegen Viren
Nun kommt Ganser nicht alleine ins Volkshaus, er reist mit über einem Dutzend weiterer Persönlichkeiten aus der Esoterikszene an. Angekündigt ist ein zweitägiger Kongress unter dem Titel «Vision des Guten und das Manifest der neuen Erde». Wer dabei sein will, zahlt im Minimum 189 Franken und für die erste Reihe beachtliche 777 Franken. Unter den Referent:innen finden sich eher harmlose Zeitgenossen wie der Kompostierer Franz Rösl, der zum Schutz vor Viren den Kontakt mit «gesunder Erde und gutem Kompost» empfiehlt. Es treten aber auch deutlich problematischere Leute auf. Die Sektenbeobachtungsstelle Relinfo, die den Kongress vor Ort verfolgen will, streicht zwei Personen heraus: zum einen das «Medium» Christina von Dreien aus dem Toggenburg, das einst als Kinderstar eine sektenartige Gefolgschaft um sich scharte und mittlerweile für horrende Honorare auftritt. Laut Julia Sulzmann von Relinfo verbreitet sie diverse Verschwörungserzählungen von der Hohlerde über Reptilienmenschen bis zur Behauptung, Corona sei inszeniert gewesen.
Der andere auffällige Kongressredner heisst Ricardo Leppe, ein gelernter Zauberkünstler und selbsternannter Bildungsexperte aus Österreich. Leppe unterstützt zweifelhafte Schulprojekte im ganzen deutschsprachigen Raum und steht laut Sulzmann in engem Kontakt zu den Schweizer Postcoronabewegungen Urig und Graswurzle, «die im Rahmen einer Parallelgesellschaft neue Schulen aufbauen möchten». Vor allem aber propagiert Leppe in seinen Youtube-Talks die antisemitische «Neue Germanische Medizin» oder wirbt für die völkische Buchreihe «Anastasia» – die gleichnamige Bewegung wird in Österreich und einigen deutschen Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtet.
Leppe, von Dreien und Ganser haben alle das sogenannte «Manifest der neuen Erde» unterzeichnet. Im Dokument finden sich viele Versatzstücke aus der Rechtsesoterik und selbst Bezüge zur Reichsbürgerideologie. Kern des Manifests ist die Forderung nach einer Ablösung der Demokratie und der Regierungen durch sogenannte Weisenräte – und als solche bezeichnen sich Ganser und Konsorten auf der Website tatsächlich.Einfach nur wirr? Oder rechtsoffen, antidemokratisch und sektenhaft?
Kaspar Bütikofer sagt: «Seitens Volkshaus schätzen wir die Inhalte als problematisch ein und lehnen Verschwörungstheorien ab.» Trotzdem gewichte das Volkshaus die Meinungsäusserungsfreiheit höher und übe keine Zensur. Veranstaltungen, die nicht gegen die im Leitbild festgelegten Grundprinzipien von Toleranz und Respekt verstiessen, dürften stattfinden. Aber es gebe durchaus rote Linien: Rassismus oder Sexismus, Aufrufe zur Gewalt würden nicht zugelassen. «Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst», versichert er. Und fügt an, der Vorstand überdenke die Vermietungspraxis fortlaufend.
Spenden für «Seelenzucker»
Vielleicht lässt sich also bei Gelegenheit auch undurchsichtiger Geschäftemacherei in den Räumen des Volkshauses ein Riegel schieben. So geht der Reinerlös des Events Ende Mai angeblich an die Stiftung Seelenzucker des Berner Handauflegers Patric Pedrazzoli. Dieser reagierte nicht auf eine Anfrage der WOZ. Die Stiftung gibt vor, eine Reihe von NGOs und Kinderhilfsprojekten zu unterstützen. Als die WOZ bei der aufgeführten NGO Wasser für Wasser (WfW) nachfragt, veranlasst diese die sofortige Löschung des Eintrags auf der Seite von Seelenzucker. Man sei entsetzt, dort als Partnerin aufgeführt worden zu sein, teilt WfW mit. Der vor ein paar Jahren gespendete Betrag über 2000 Franken werde der Fachstelle Infosekta überwiesen.