BIEL / Mit einem Manifest und einer Demonstration geben die Parlamentarier ihrer Empörung über Polizeidirektor Scherrers Äusserungen zum Holocaust Ausdruck.
bel. Sämtliche Bieler Parteien ausser EDU und Freiheitspartei haben sich gestern an einer Me- dienorientierung nochmals von den Äusserungen des Polizeidirektors und FPS-Präsidenten Jürg Scherrer distanziert. In einem «Manifest für ein weltoffenes und tolerantes Biel» wird Scherrers Haltung als «zweideutig, verletzend und beschämend» bezeichnet und dargelegt, für welche Haltung die Bieler Politikerinnen und Politiker einstehen. Zu den Unterzeichnern des Manifestes gehört auch Stadtpräsident Hans Stöckli als Privatperson, wie betont wurde. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier forderten gestern auch den Rücktritt Scherrers. Während die Linke dies explizit auf sein Gemeinderatsmandat bezieht, wollen die Parteien des bürgerlichen Forums nur seine Doppelrolle als Parteipräsident der Freiheitspartei und Gemeinderat nicht mehr länger tolerieren, «weil wir rechtlich keine Möglichkeit haben, Scherrer zum Rücktritt zu zwingen», sagte FDP-Präsident Peter Moser. Kritisiert wurde gestern teils die «legalistische Haltung des Gesamtgemeinderates» in dieser Sache. Mit ihrem gemeinsamen Vorgehen wollen die Parteien nun Druck ausüben, damit der Gemeinderat alle Möglichkeiten ausschöpft, um Scherrer in die Schranken zu weisen.
Gemeinsam für Toleranz und gegen Jürg Scherrer
BIEL / Die politischen Parteien, ausgenommen die Freiheitspartei und die EDU, sowie die Gewerkschaften haben sich zu einem Komitee «Für ein weltoffenes und tolerantes Biel» zusammengeschlossen und die Äusserungen von Polizeidirektor Scherrer zu den Gaskammern verurteilt. Sie fordern Scherrers Rücktritt – einige aus dem Gemeinderat, andere vom Parteippräsidium. Ensetzt über das Bild, das Scherrer von Biel vermittelt, wollen sie mit einem Manifest und einer Demonstration Druck machen und korrigierend eingreifen.
bel. Die Telefone der Bieler Politikerinnen und Politiker liefen über das vergangene Wochenende heiss, und eine Krisensitzung jagte die andere. Angesichts der Äusserungen zu den Gaskammern im Zweiten Weltkrieg von Jürg Scherrer, Bieler Sicherheits-, Energie- und Verkehrsdirektor und Präsident der Freiheitspartei Schweiz, haben sie sich nun zusammengerauft. In einer Stellungnahme, dem «Manifest für ein weltoffenes und tolerantes Biel» (siehe unten) wollen Parteien und Gewerkschaften demonstrieren, wie isoliert Scherrer mit seinen Ansichten dastehe.
Sie wollen Scherrers Rücktritt
Sieben Stadträtinnen und Stadträte aus allen Parteien ausser der Freiheitspartei und der Eidgenössisch Demokratischen Union haben gestern vor den Medien ihre Strategie erläutert. Zum einen geht es darum, politischen Druck zu erzeugen, um Scherrer zum Rücktritt von einem seiner Ämter zu zwingen, und dann soll auch der Imageschaden, den Scherrer Biel zugefügt habe, korrigiert werden. Ob Scherrers Äusserungen «wird mir übel», sagte Roland Gurtner als Vertreter des Parti socialiste romand (PSR) und verlangte explizit den Rücktritt Scherrers aus dem Bieler Gemeinderat. Eine Forderung, die auch das Grüne Bündnis und die Gewerkschaften stellen. Weniger weit gingen die Vertreter der bürgerlichen Parteien. «Es geht uns hier um eine moralische und politische Beurteilung des Vorgefallenen», erklärte Peter Moser, Stadt- und Grossrat der FDP. «Es ist uns klar, dass wir Scherrer nicht zum Rücktritt zwingen können, doch er soll endlich verstehen, dass wir seine Doppelrolle als Parteipräsident und Gemeinderat nicht mehr tolerieren.» Zudem sei die gemeinsame Aktion ein Hinweis für den Bieler Gesamtgemeinderat, dass er alles daran setzen müsse, Scherrer an die Kandare zu nehmen, «und dass er ihm möglicherweise Kompetenzen entziehen muss». Andreas Sutter (svp) erklärte, Scherrers Verhalten sei ganz klar bereits Teil seiner Wahlkampagne für den Nationalrat. «Er hat nichts unterlassen, um auch noch politisches Kapital aus dem Wirbel um seine Person zu schlagen.» Andreas Bösch von der Grünen Freien Liste wies darauf hin, dass Scherrer in Biel, wo Menschen aus 120 Nationen zusammenlebten, «mit seinen diskriminierenden und intoleranten Äusserungen» die Integrationsbemühungen torpediere.
Kein Boykott, aber eine Demo
Die Gewerkschaften, die in einer ersten Reaktion zum Boykott der nächsten Stadtratssitzung aufgerufen hatten, waren gestern über das gemeinsame Vorgehen erfreut. «Für einmal waren die Flügelkämpfe weder zwischen noch innerhalb der Parteien ein Thema», sagt Corrado Pardini vom Gewerkschaftsbund Biel-Seeland. Mit einer Demonstration am 23.Mai soll die Haltung der Politiker auch auf der Strasse sichtbar gemacht werden (siehe unten).
Ein Manifest und eine Demonstration
bie. Das Manifest im Wortlaut: «Der Holocaust ist der schrecklichste Völkermord der Geschichte und nicht ,ein Detail der Geschichte. Wer das verkennt, gehört nicht in die Stadtregierung. Jürg Scherrers Erklärungen waren einmal mehr äusserst zweideutig, verletzend und beschämend. Unabhängig vom Ergebnis der eingeleiteten gerichtlichen Ermittlungen ist das Verhalten Scherrers unakzeptabel. Anstatt das Ansehen der Stadt zu fördern, hat er bis heute vor allem negatives Aufsehen erregt und sich als Behördenvertreter ins Zwielicht gerückt. SeineDoppelrolle als Gemeinderat der Stadt sowie als Präsident der Freiheitspartei ist nicht akzeptierbar. Die unterzeichnenden Parteien, Organisationen und Personen verachten alle, die den Holocaust leugnen oder verharmlosen.
– Sie stehen ein für eine Stadt Biel, die Toleranz, gegenseitigen Respekt sowie das friedliche Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft unterstützt und fördert. – Sie stehen ein für eine Stadt Biel, die beispielhafte Formen des Umgangs mit anderen Kulturen und Minderheiten sucht und pflegt. nSie stehen ein für eine Stadt Biel, die eine breit abgestützte Integrationspolitik definiert und umsetzt.»
Am 23. Mai anlässlich der nächsten Sitzung des Bieler Stadtrates findet eine Demonstration zum «Manifest für ein weltoffenes und tolerantes Biel» statt. Ab 19 Uhr reden auf dem Zentralplatz Corrado Pardini, Gewerkschaftsbund Biel, Jürg Steiner, Schriftsteller, Sigi Feigel, Jüdische Gemeinden, Martin Wiederkehr, Stadtratspräsident, Marc Suter, Nationalrat (fdp) und Vertreter der Stadtratsfraktionen.