STADT BERN / Bürgerliche und Rechte fordern die rot-grün regierte Stadt auf, in der Reitschule für Ordnung zu sorgen.
rg. Berns Reitschule, als alternatives Kulturzentrum landesweit bekannt, steht unter dem Druck von bürgerlichen und rechten Politikern wie nie mehr seit der rechtsbürgerlichen Initiative «Reitschule für alle». ImStadtparlament liegen vier Vorstösse von SVP/JSVP, CVP und SDvor; die Palette reicht von der Forderung nach einem Benutzungsreglement über den Ruf nach «offiziellem Rauswurf» von «linksextremen Chaoten» bis hin zu «vorübergehender Schliessung». In der Stadtregierung will sich Polizeidirektor Kurt Wasserfallen (fdp) dafür stark machen, dass der Reitschule mit «einer Art Leistungsvertrag» griffige Auflagen gemacht werden.
Bürgerlicher Sturm auf die autonome Bastion
STADT BERN / «Skandal», «Chaoten», «Terror», Schluss mit «Zuständen eines rechtsfreien Raumes»: Bürgerliche und Rechte nehmen die Reitschule ins Visier. ImParlament nimmt der Druck zu, in der Regierung verlangt Kurt Wasserfallen, die Reitschule an die Kandare zu nehmen. Regierungsstatthalter Alec vonGraffenried seinerseits fordert Bewegung in Sachen Gastgewerbebewilligung.
* RUDOLF GAFNER
Berns alternative Trutzburg hat in 15 Jahren schon vielen Stürmen standgehalten – zuletzt der rechtsbürgerlichen Initiative «Reitschule für alle», die im Herbst 2000 mit 67 Prozent abgelehnt wurde. Nun steht die Reitschule neuerlich unter dem Druck Bürgerlicher und Rechter, so sehr wie nie mehr seit der Volksabstimmung – und erst recht, seit Vermummte am 29. Januar einen gefangenen Papierlosen aus dem Regionalgefängnis befreit haben. Attackiert wird aber auch Berns Regierung; dem mehrheitlich rot-grünen Gemeinderat wird teils offen vorgehalten, Ruhe und Ordnung in Sachen Reitschule nicht genügend durchzusetzen.
SVP, SD und CVP stossen vor
Im Stadtrat sind vier Vorstösse zumThema Reitschule hängig:
– Die Fraktion SVP/Junge SVP hat genug von «linksextremen Chaoten» und «Zuständen eines rechtsfreienRaumes». Ob Besetzungen oder unbewilligte Demonstrationen, «Vorbereitung der Krawalle» gegen das Weltwirtschaftsforum oder die Amthaus-Gefangenenbefreiung, stets seien Kräfte aus dem Reitschul-Umfeld mit dabei, erklären die Interpellanten Thomas Weil und Thomas Fuchs. Die Stadt solle daher «die Anti-WTO-Koordination von offizieller Seite aus dem Gebäude werfen lassen» und dafür sorgen, dass Linksextremisten die Reitschul-Infrastrukturen nicht mehr nutzen könnten. – Nachdem Antifa-Autonome im November ein Treffen der Jungen Schweizer Demokraten (JSD) gestört hatten, forderten die SD, die Stadt solle sämtliche Zahlungen an die Reitschule stoppen, bis sich das alternative Zentrum vom «Antifa-Terror» distanziere. Als wenig später Vermummte ein Polizeiauto angriffen, doppelten die SD mit einer zweiten Interpellation nach, in der sie gar die «vorübergehende Schliessung» des Hauses fordern. – Mit einer Motion ruft auch die CVP nach einem Eingreifen gegen «linksextreme Aktivitäten» in der Reitschule. Die Stadt solle ein Benutzungsreglement ausarbeiten. Denn: «Bei vergleichbaren rechtsextremen Aktivitäten würde der Gemeinderat sicherlich einschreiten», findet Stadtrat Daniel Kast.
Wasserfallen fordert Auflagen
Kurt Wasserfallen, Direktor für Öffentliche Sicherheit, nickt: Die Reitschule sei eine «janusköpfige Erscheinung», da werde nicht nur «Kultur gemacht», da sei auch ein «militanter Kern» am Werke, den man in der Tat «herausholen sollte». Gerade die Anti-WEF-Umtriebe in der Reitschule würden Bern «einen Imageschaden» bringen, ja denkbar sei gar ein negativer Einfluss auf die Olympiakandidatur. Straftäter wie die Befreier des Sans-papiers zu ermitteln und zu verfolgen seiSache der Justiz, da mische er sich nicht hinein. Als Polizeidirektor habe er aber nach der Gefangenenbefreiung eine Untersuchung angeordnet; er wolle «genau wissen, was da ging» – auch in Bezug auf die Reitschule. Und: Als Gemeinderat will sich Wasserfallen, wie er dem «Bund» weiter erklärte, «dafür einsetzen, dass man der Reitschule Auflagen macht» – mit «einer Art Leistungsvertrag». Die Reitschule dürfe doch «kein freischwebender Körper» sein, so Wasserfallen, immerhin leiste die Stadt den Unterhalt des Hauses. Nicht nur die Klage über linksextreme Aktivitäten ertönt erneut und lauter als auch schon. Auch der Streit um die nach wie vor fehlenden gastgewerblichen Bewilligungen der Reitschule ist neu entbrannt. Rudolph Schweizer (svp) sprach Ende Januar imStadtrat von einem «Skandal». Heinz Rub (fdp), selber Wirt, enervierte sich: «Niemand will durchgreifen.» Wo bleibe die Linke, die sonst immer gegen Missstände imGastgewerbe protestiere? Ein «Dorn im Auge» ist die Sache auch Wasserfallen.Doch er will die Gewerbepolizei nicht losschicken, denn diesen Missstand hätten Politiker zu verantworten. «Es geht um die Frage, ob man etwas durchsetzen will oder nicht», sagt der rechtsfreisinnige Polizeidirektor -unter offenkundiger Anspielung auf die politischen Mehrheitsverhältnisse.
An linker Mehrheit abgeprallt
Die Lage scheint damit ähnlich wie im ungelösten Streit mit der Gassenküche. 1999 wollte Wasserfallen in einem Solokraftakt die Gassenküche ganz aus Berns öffentlichem Raum vertreiben, der Gemeinderat aber stoppte ihn und bot Ersatzorte an. Seit Juni 2000 indes wirtet die Gassenküche am Sonntagabend direkt beimBahnhof, unbewilligt und im Übrigen zentraler und provokativer denn je.Doch nichts passiert, nicht einmal Wasserfallen begehrt auf. Der oft als Law-and-Order-Hardliner titulierte Berner Sicherheitsdirektor winkt auch hier ab – mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse in der Stadt. «Man duldet es jetzt einfach», seufzte Wasserfallen letztes Jahr in einem «Bund»-Gespräch. Was die fehlenden gastgewerblichen Bewilligungen für die Reitschule anbelangt, so zeichnet sich jetzt aber Bewegung ab. Denn die Angelegenheit, von Bürgerlichen gern zur politischen Gretchenfrage erhoben, wird inzwischen auch unter Linken unverkrampfter angesprochen: Sicher seien der Jugend gewisse Freiräume zuzugestehen, doch würden solche für gewerbliche Zwecke ausgenutzt, sollten dieBehörden schon aktiv werden, erklärte etwa der grüne Stadtrat Peter Künzler (gfl) dazu.
VonGraffenried macht Druck
Regierungsstatthalter Alec von Graffenried, auch er GFL-Grüner, will in der Frage der gastgewerblichen Bewilligungen nunTaten sehen, wie er dem «Bund» erklärte. «Wenn die Bürgerlichen fordern, dass die Reitschule in den gesetzlichen Rahmen gestellt wird, so verstehe ich dies», sagt von Graffenried. «Die 80-er Jahre sind vorbei, dieser Betrieb präsentiert sich wie andere auch – und es wäre ja untragbar, nur bei einem Betrieb die Augen zuzudrücken», erklärt er. «Wir haben alles uns mögliche getan», sagt Beat Grütter, Liegenschaftsverwalter in der Finanzdirektion, dazu. Der Gemeinderat hatte nämlich die Finanzdirektion damit betraut, insbesondere dafür zu sorgen, dass endlich jemand mit gastgewerblichem Fähigkeitsausweis für die Reitschule als verantwortliche Person hinsteht. Die Behörde habe, so Grütter, «mehrmals nachgestossen», sei aber abgeblitzt. Man habe zur Antwort erhalten, dass es nicht zur kollektivistischen Reitschul-Kultur passe, einzelne Personen zu delegieren. «Bei allem Verständnis» für die basisdemokratische Organisation der Reitschule findet vonGraffenried diese Weigerung «problematisch» – zumal nun, nach dem Umbau, «die Situation wirklich reif» sei, um die Bewilligungsfrage endlich zu lösen. Er sei daran, mit der Gewerbepolizei die Lage genauer anzuschauen, auch werde er formell das Gespräch suchen mit den Reitschul-Betreibern. «Der Statthalter weiss, dass er da einen Auftrag hat», erklärt vonGraffenried an die Adresse der Bürgerlichen. Kaufmann sieht Lösung nahen
Gehts nach Michael Kaufmann vomFörderverein Reitschule, ist ohnehin eine «Lösung absehbar». Es stehe ein Inhaber eines Fähigkeitsausweises bereit, um für das Reitschul-Restaurant die gastgewerblichen Bewilligungen zu nehmen, sagt SP-Grossrat Kaufmann. Jetzt müssen aber noch die Betreibenden der Reitschule damit einverstanden sein (siehe unten).
«Weichgeklopfte Geschichte»
REITSCHULE
/ Beim Förderverein hat man «gewisses Verständnis für die Bürgerlichen» in der Bewilligungsfrage. rg. Michael Kaufmann vom Förderverein Reitschule äussert inSachen Gastgewerbebewilligungen «gewissesVerständnis für die Bürgerlichen», denn Grundbewilligungen gälten ja für alle. Zwar finde er, dass es «für experimentelle Freiräume eine liberalere Praxis» brauche, doch lasse das Gesetz dies nicht zu. Der SP-Grossraterinnert daran, dass es FDP-Grossrat Kurt Wasserfallen war, der erreicht hatte, dass auch Zentren wie die Reitschule diese Bewilligungen heute brauchen. Im Übrigen sei «die Geschichte weichgeklopft»: Reitschulintern mache man «nicht mehr in dem Sinne eine Prestigesache» daraus, dass man «aus politisch-ideologischen Gründen» das Bewilligungnehmen ablehnen würde. Es sei eine «Lösung absehbar», habe sich doch im Sommer 2001 ein früherer Mitarbeiter des «Alpenrösli» Thun gemeldet, der bereit und fähig wäre, als Bewilligungsnehmer zu zeichnen. Der Förderverein habe die zuständige Gruppe darüber informiert. Zur Frage der Gewalt erklärte Kaufmann, diese werde innerhalb der Reitschule selber «vehement diskutiert», gehe es dabei ja doch auch um die Sicherheit der Reitschule. Er finde, dass bei Gewaltdelikten der polizeiliche Zugriff möglich sein müsse, ein von gewissen Autonomen propagiertes «Selbstjustiz- und Bürgerwehrsystem» lehne er ab. Die politisch motivierten Gewaltbereiten im Umfeld der Reitschule seien im Übrigen «nur ein paar wenige Leute» – «und man muss ja nicht etwa meinen, dass es diese dann nicht mehr geben würde, wenn man sie aus der Reitschule ,herausholen‘ würde». Eine Stellungnahme seitens der Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule (Ikur) war auch nach wiederholter «Bund»-Anfrage nicht zu erhalten.