Diskussion im Rat beantragt

Der Bund

ANTIFA / Die Sachbeschädigungen im Rahmen des Antifaschistischen Abendspazierganges und der Einsatz der Polizei geben weiter zu reden. Morgen wohl auch im Stadtrat.

uho. Nach den Scharmützeln während des Antifaschistischen Abendspaziergangs vom letzten Samstag haben sich die Gemüter noch nicht beruhigt. Verschiedene Parteien liessen bereits am Montag verlauten, dass sie in diesem Zusammenhang Vorstösse im Stadtrat planen. Gestern nun hat FDP-Fraktionschef Adrian Haas bei Ratspräsidentin Annemarie Sancar (gb) einen «Antrag zur Diskussion aus aktuellem Ereignis» gestellt. Morgen werden die Mitglieder des Stadtrates also über diesen Antrag abstimmen und – falls er von der Mehrheit angenommen wird – höchstens eine Stunde lang über das Vorgefallene diskutieren.

Zu den Vorfällen hat sich gestern auch «Bern Shopping», die Vereinigung Berner Spezialgeschäfte, geäussert. Sie zeigt sich «bestürzt und empört über den barbarischen Umgang mit dem Welterbe Berner Altstadt durch randalierende Jugendliche» und fordert, die Präsenz der Polizei müsse erhöht werden.

Trotz Empörung über die Randale gilt es, Augenmass zu bewahren

? STEFAN BÜHLER

Nun ist genau das geschehen, was nicht hätte passieren dürfen: Der 3. Antifaschistische Abendspaziergang von letztem Samstag hat nicht den zunehmenden Rechtsextremismus ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Von Interesse und Gegenstand allgemeiner Empörung sind stattdessen die massiven Sachbeschädigungen, die von Teilnehmern des Abendspaziergangs in der Innenstadt verübt wurden.

Feindbild Polizei

Den Grund hierfür müssen die Organisatoren des Abendspaziergangs jedoch vorab bei sich selbst suchen. Zwar war es bloss ein kleiner Teil der Demonstranten, der Schaden angerichtet hat. Möglich waren die Vandalenakte aber nur, weil die Randalierer aus der Masse der friedlichen Demonstranten heraus wüten konnten und von den Organisatoren des Abendspaziergangs nicht an ihrem unsinnigen Tun gehindert wurden. Eine «selbstdisziplinierte» Kundgebung solle es werden, liess das organisierende Bündnis «Alle gegen Rechts» im Vorfeld verlauten – und es verzichtete darauf, bei der Polizei um eine Bewilligung für die Demonstration zu ersuchen. In einem Brief an den Chef des Nachrichtendienstes der Stadtpolizei wurde bloss die vorgesehene Marschroute bekannt gegeben – ansonsten wurde die Zusammenarbeit mit der Polizei verweigert. Dieses pubertär anmutende Feindbild Polizei war eine der Voraussetzungen für die gewalttätigen Konfrontationen vom Samstagabend.

Dabei gilt es anzumerken, dass sich die Stadtpolizei bemühte, eine Eskalation zu vermeiden. Der Einsatz der Polizei war lange Zeit zurückhaltend – abgesehen von der letzten Aktion am Bollwerk kurz nach Mitternacht. Dort allerdings fragt sich, ob die Einkesselung der übrigbleibenden rund 100 Demonstranten verhältnismässig war: Die strafrechtliche Verfolgung der 19 Personen, die hier verhaftet wurden, dürfte höchstens symbolische Bedeutung haben. Die Vermutung liegt nahe, dass es in dieser Aktion der Polizei – oder ihrer übergeordneten Behörde – nur noch darum ging, das Gesicht zu wahren, zu zeigen, dass Ausschreitungen dieser Art in Bern nicht geduldet werden.

Übertriebene Aufregung

Damit ist das Thema der politischen Folgen der Ereignisse von letztem Samstag gegeben: Dass nun die bürgerlichen Parteien die juristische Verfolgung der Randalierer fordern, ist angesichts der hohen Sachschäden richtig. Die Aufregung und Empörung gegenüber der antifaschistischen Bewegung ist indes übertrieben, wenn man sie der lauen Bekämpfung des Rechtsextremismus gegenüberstellt: Dass am gleichen Samstag in Klingnau AG zwei Türken von Skinheads mit einem Baseballschläger zusammengeschlagen und verletzt wurden (einer davon lebensgefährlich), sorgte in der öffentlichen Wahrnehmung, in vielen Medien, für wesentlich geringeres Aufsehen als die Schmierereien an Berner Hauswänden. Das gilt auch für die Berichterstattung des «Bund».

Parteien sind gefordert

Kurz: Ob der Aufregung über die Ausschreitungen am 3. Antifaschistischen Abendspaziergang droht das Augenmass verloren zu gehen. Und wenn zum Beispiel Polizeidirektor Wasserfallen von der «Brut in der Reithalle» spricht, tut er wenig für Ruhe und Ordnung in der Stadt – vielmehr heizt er damit den Konflikt an, was weitere Konfrontationen geradezu provoziert.

Angebracht wäre nicht erst seit letztem Samstag, dass auch die bürgerlichen Parteien entschiedener gegen den Rechtsextremismus antreten. Die linken Parteien, die zwar wortreich rechtsextreme Tendenzen kritisieren, wären ihrerseits gut beraten, grundsätzlich begrüssenswerte Aktionen wie zum Beispiel den Antifaschistischen Abendspaziergang nicht allein der Organisation durch jugendliche Heisssporne zu überlassen.

Engagement für Menschenwürde

Schliesslich kommt die antifaschistische Bewegung nicht darum herum, sich von randalierenden Anarchisten zu distanzieren: Antifaschismus ist nicht der Kampf gegen «die Reichen» oder die Staatsgewalt, nicht der Kampf für die Anarchie, sondern ein Engagement gegen rassistische Gewalt, gegen die Ausgrenzung von Menschen fremder Herkunft, für den Rechtsstaat und letztlich für die Menschenwürde.