Dieser Schuss junger Neonazis ging nach hinten los: Guerilla-Aktion beim St.Galler Hauptbahnhof löst postwendend grossen Widerstand aus

St.Galler Tagblatt. Die rechtsextreme Organisation «Junge Tat» hat am Samstagnachmittag mit einer spektakulären Aktion versucht, auf sich und ihre ausländerfeindliche Gesinnung aufmerksam zu machen. Die Wirkung der Aktion: Eine spontane Gegenkundgebung von Links.

Rechtsextreme Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe «Junge Tat» haben am Samstagnachmittag beim Bahnhofplatz in St.Gallen ein grosses Banner über die binäre Uhr der neuen Bahnhofshalle gehängt. Die Botschaft: Fremdenfeindlich.

Die Meldung über die Guerilla-Aktion ging um 15.15 Uhr bei der St.Galler Stadtpolizei ein, wie ihr Sprecher Dionys Widmer auf Anfrage sagt. Die Polizei war eine gute halbe Stunde später vor Ort; die «Junge Tat»-Aktivisten, die Flyer verteilten, machten sich durch die Rathausunterführung aus dem Staub. Rund 90 Minuten später war das grosse Banner weg. Die Feuerwehr hatte es gemäss Widmer heruntergeholt. Personen wurden keine festgenommen. Bei einer ähnlichen Aktion beim Basler Hauptbahnhof im November der gleichen rechtsextremen Gruppe hatte die Polizei sechs vermummte Männer in Gewahrsam genommen, nachdem sie vom Dach gestiegen waren.

Ungewollte Steigbügelhalter der Neonazis

Das Banner wurde auch von Politikerinnen und Politikern gesehen. Der Freisinnige Thomas Percy liess auf Twitter empört verlauten: «Rechtsextreme Taugenichtse verschandeln unsere schöne Stadt.» Das war zwar gut gemeint von Percy, doch die Rechtsextremen verbreiteten seine Aufnahme danach auf ihren Kanälen. Genau das wollten sie: Aufmerksamkeit. Percy machte sich ungewollt zum Steigbügelhalter von jungen Neonazis.

Stadtparlamentarierin Alexandra Akeret (SP) liess ihrem Unmut auf Instagram freien Lauf: Sie setzte über das geschmacklose Banner einen Stinkefinger und setzte darunter den Satz «Klare Kante gegen Rechts!».

Das nahm sich auch die Jungsozialistische Partei zu Herzen. Sie organisierte eine spontane antifaschistische Gegenaktion, an der rund 30 Personen teilnahmen, wie es in einem Communiqué der Juso heisst. Bereits kurz nach Auftauchen des neonazistischen Transparentes war die Juso gemäss eigenen Angaben gemeinsam mit der SP und weiteren Aktivistinnen und Aktivisten um 17.30 Uhr am Bahnhof präsent. Mit eigenen Transparenten setzten sie den Slogan «Nazis raus!» und «Antifaschismus bleibt Pflicht!» anstelle der «Junge Tat»-Botschaft.

«Wir sind mehr!»: Die Juso mobilisieren gegen Rechts

Das offene antifaschistische Treffen rief gemäss Juso-Mitteilung später dann mit weiteren Akteurinnen und Akteuren zur gemeinsamen Kundgebung um 22 Uhr auf. Die rund 150 Personen stammen aus verschiedenen linken Bewegungen und Parteien, die sich Schulter an Schulter gegen den Faschismus stellten. Dies zeige, dass der antifaschistische Widerstand in St.Gallen stark und aktiv sei. «Den Nazis muss alles genommen werden, vor allem die Plattform!», schreiben die Juso. Trotz später Stunde kam die linke Szene St.Gallens zahlreich und leistete lautstark Widerstand. Nach einer halben Stunde Platzkundgebung zog die Menge Richtung Innenstadt und endete vor dem «Schwarzen Engel».

St.Gallen habe damit ein klares Zeichen gegen Faschismus gesetzt. Für die Juso waren die spontanen Kundgebungen am Samstag ein voller Erfolg, wie sie mitteilen. «Wenn Nazis ihr Gesicht zeigen, kommt der Widerstand schnell und zahlreich! Wir sind mehr!»

Auf die Kundgebungen reagierte auch die Grüne St.Galler Nationalrätin Franziska Ryser auf Instagram: Dutzende von Personen seien auf die Strasse gegangen und hätten friedlich gegen die rechtsradikalen Botschaften demonstriert. Fremdenfeindliche und faktenfremde Transparente dürften nicht unwidersprochen bleiben. St.Gallen sei ein Ort der Offenheit und der Toleranz, schreibt Ryser. Und: «Wir werden diese Werte verteidigen und wehren uns gegen Fremdenhass und rechte Hetze.»

Kriminalität habe nie mit einem Pass eines Menschen zu tun. Kausale Zusammenhänge zwischen Kriminalität und Migrationshintergrund eines Menschen zu machen, sei völlig falsch und zugleich polemisch, teilte Cem Kirmizitoprak namens der Beratungsstelle Inklusion am Montag mit.

Die Polizei ist am Ermitteln

Die St.Galler Stadtpolizei übte sich am Samstagabend und auch am Montag noch in Zurückhaltung. Bewusst. Sie will die Botschaft der Neonazis nicht transportieren und ihnen keine Plattform bieten. Am Montag wurden die Abklärungen zur Guerilla-Aktion der Rechtsextremen fortgesetzt, wie Polizeisprecher Dionys Widmer auf Anfrage sagt.

Die Polizei gehe verschiedenen Hinweisen nach. Wie die Neonazis auf das Glasdach der Bahnhofshalle kamen – dazu sagt Widmer aus ermittlungstaktischen Gründen nichts. Mögliche Tatbestände, welche die Neonazis begangen haben, sind Hausfriedensbruch, unerlaubtes Plakatieren oder das Durchführen einer Veranstaltung im öffentlichen Raum ohne Bewilligung.


Hipsterfrisuren statt Glatzen

Die rechtsextreme Gruppe «Junge Tat» drängt seit Monaten mit ihren äusserst professionell umgesetzten Aktionen und Videos aggressiv an die Öffentlichkeit. Statt mit Glatze und Springerstiefeln treten die Vertreter der neuen radikalen Rechten mit Hipsterfrisuren und Turnschuhen auf. Die rechtsextreme Gruppe drängt seit Monaten mit ihren äusserst professionell umgesetzten Aktionen und Videos aggressiv an die Öffentlichkeit. Eines ihrer Mitglieder ist ein 28-Jähriger, der bis bis 2019 Vizepräsident der Jungen SVP St.Gallen und Präsident der SVP Buchs war. (eka)