«Diese versteckte Form von Rassismus nervt mich fast mehr»

Berner Zeitung.

Charles Nguela lebte als Kind in Südafrika. Hierzulande sei die Diskriminierung subtiler, sagt der Komiker.

Meinung.

Dreissig Minuten vor dem Auftritt geht es los: Seine Knie zittern, Bauchschmerzen setzen ein, die Hände schwitzen. Er tigert auf und ab, auf und ab, immer wieder.

Dann rennt Charles Nguela auf die Bühne und scheint fast zu platzen vor Energie. Von Panik keine Spur. Worte sprudeln aus ihm heraus, er zieht Grimassen, reisst Witze. Und freut sich über jeden Lacher, den er dem Publikum entlockt. Dass er unter starkem Lampenfieber leidet, will so gar nicht zu diesem lebhaften jungen Mann passen.

Und doch: «Es ist wirklich sehr, sehr schlimm», sagt Komiker Charles Nguela, 29, während er im aargauischen Lenzburg durch den Schlosspark spaziert. Vor einigen Auftritten habe er sich gar überlegt, einfach wieder nach Hause zu gehen. «Wenn mich das Lampenfieber packt, vergesse ich alle Konsequenzen, die eine Kurzschlussreaktion nach sich ziehen würde», gesteht er. «Und doch weiss ich, abhauen geht nicht, es kommt nicht in Frage.»

Seit 2011 überwindet Charles Nguela sein Lampenfieber denn auch regelmässig. Voller Elan stürmt er die Schweizer Comedy-Bühnen und klettert auf der Karriereleiter stetig nach oben: 2014 gewann er den Swiss Comedy Award und war mit seinem Programm «Schwarz-Schweiz» auf Tour. Aktuell steht er mit «Helvetia’s Secret» auf der Bühne, bietet mit seinem «Charly’s Comedy Club» auch anderen Künstlern eine Plattform und wird am 25. Mai dabei sein bei der «Sternenwoche Award Ceremony», der grossen Kindergala von Unicef Schweiz und Liechtenstein sowie der «Schweizer Familie».

Wie die Namen seiner beiden Soloprogramme vermuten lassen, nimmt der gebürtige Kongolese Charles Nguela, der in Dietikon ZH wohnt, die Eigenheiten der Schweizer auf die Schippe und thematisiert sein Leben als Dunkelhäutiger respektive als «Optimal-Pigmentierter», wie er sich selber bezeichnet. Seinen Humor und seine Witze beschreiben Kritiker gern als tabulos. So stellt sich Charles Nguela auf der Bühne etwa die Frage, wie es sich hierzulande als Optimal-Pigmentierter lebe. Und antwortet: «Wenn ich mit dunkler Kleidung ins Kino gehe, muss ich froh sein, wenn niemand auf mich drauf sitzt.» Bevor das Publikum überlegen kann, ob dieser Witz politisch korrekt war, krümmt sich der Comedian schon selber vor Lachen.

«Charles hat einfach Spass am Leben», sagt sein Komikerkollege Rob Spence. Er sei verspielt wie ein grosses Kind. Das mache auch ihre Freundschaft aus: «Wir sind beide Lausbuben geblieben.» Der private Charles unterscheide sich überhaupt nicht von der Bühnenfigur, verrät Spence. Er sei immer präsent, laut und voller Energie. «Man kann bei ihm einfach keinen Stecker ziehen.»

Am 25. Mai werden Spence und Nguela beide an der «Sternenwoche Award Ceremony» im Zürcher Schauspielhaus als Laudatoren amten und Kinder auszeichnen, die während der «Sternenwoche» im November 2018 Geld gesammelt haben. Mit den Spenden werden in Bolivien an Schulen und Kindergärten sanitäre Anlagen gebaut, damit die Kinder sich dort nicht mit Krankheiten anstecken. Für Charles Nguela war sofort klar, dass er an der «Sternenwoche Award Ceremony» ehrenamtlich auftreten und Kinder in Not unterstützen möchte. Denn auch er musste in jungen Jahren viel Leid ertragen.

Seine frühe Kindheit verbrachte er im Kongo in Zentralafrika. Als Stammeskriege ausbrachen und die Regierung gestürzt werden sollte, wurde Charles‘ Familie zum Ziel von Rebellen, weil der Vater als Ingenieur für den Staat arbeitete. Als Charles fünf war, wurde sein Vater ermordet. Noch am selben Tag flüchtete die Familie nach Südafrika. Sicherer war es dort allerdings nicht. Die Weissen bekämpften die Schwarzen und die schwarzen Einheimischen die schwarzen Einwanderer. Gewalt war alltäglich, Gefahr lauerte überall. Charles‘ Mutter Philomena bläute ihm ein, er müsse stets alles Nötige tun, um heil nach Hause zu kommen. Lieber solle die Mutter seines Gegners weinen als sie – eine klare Aufforderung, mit allen Mitteln um sein Leben zu kämpfen.

Charles Nguelas Familie wurde auch in Südafrika von den Mördern seines Vaters bedroht. Als er elf war, musste seine Mutter untertauchen. Bis heute kann sie nicht darüber reden, was in dieser Zeit passiert ist. «Aber mir war immer klar: Sie würde mich nie freiwillig alleine lassen», sagt Charles Nguela. Fortan lebte er bei seinem Onkel und dessen Frau, die ihn schikanierte, ihm etwa kaum Essen gab. Doch er habe sich stets gesagt: «Ich muss das aushalten, um irgendwann wieder bei meiner Mutter zu sein.» Er habe eine riesige Wut in sich getragen. Eine Wut auf all die Menschen, die dafür verantwortlich waren, dass seine Mutter nicht bei ihm sein konnte. Rückblickend sagt er: «Diese Wut trieb mich an und half mir, stark zu bleiben.» Auch habe er nie daran gezweifelt, seine Mutter einst wieder zu sehen.https://www.youtube.com/embed/K9wm84vdRn4Thematisiert humorvoll sein Leben als Dunkelhäutiger respektive als «Optimal-Pigmentierter»: Charles Nguela. Video: Youtube

Zwei Jahre später, am 1. Januar 2003, war es endlich so weit. Sein Onkel hatte erfahren, dass die Mutter Philomena in der Schweiz weilte. Also flog der damals 13-jährige Charles gemeinsam mit dem Onkel nach Paris und reiste von dort mit dem Auto in die Schweiz. Das Wiedersehen mit seiner Mutter bezeichnet er als schönsten Moment in seinem Leben. «Instinktiv wusste ich aber: Jetzt beginnt ein neuer Kampf.» Charles war wieder in einem fremden Land mit fremden Menschen, die eine Sprache sprachen, die er nicht verstand.

Mit seiner Mutter und der älteren Schwester Murielle wohnte Charles Nguela in Lenzburg. Er integrierte sich schnell, lernte in bloss einem Jahr Schweizerdeutsch. Es fiel ihm leicht, Freunde zu finden, «denn die Kinder hatten keine Berührungsängste und kamen sofort auf mich zu», erinnert er sich.

Aber auch in der Schweiz erfuhr Charles Nguela Ablehnung. «Rassismus wird hier nicht so offen gelebt wie in Südafrika, wo dir die Menschen ins Gesicht sagen, dass sie keine Schwarzen mögen», sagt er und ergänzt: «Diese versteckte Form von Rassismus nervt mich fast mehr.» So mussten er und seine anderen ausländischen Schulkollegen trotz guter Noten zwischen neunzig und hundertfünfzig Bewerbungen schreiben, bis sie eine Lehrstelle erhielten. Bei den Schweizern klappte es in der Regel nach dreien. «Als mir ständig gesagt wurde, jemand anderes passe besser ins Team, dachte ich: Nenn doch einfach meine Hautfarbe als Grund für die Absage.»

Trotz aller Schwierigkeiten bezeichnet Charles Nguela seine Kindheit als schön. Selbst die Zeit in Afrika. «Uns ging es gut, in Südafrika hatten wir einen Pool und ein Trampolin», sagt er und hält dann inne. Ihm sei bewusst, dass seine Geschichte – der ermordete Vater, die verschollene Mutter, die herzlose Frau seines Onkels – schockierend ist für Menschen, die behütet und sicher aufgewachsen sind. Und er weiss auch, dass er eine viel höhere Schmerzgrenze als andere hat. Was für ihn Normalität ist, weckt bei den meisten Leuten Mitleid – das mag er nicht. «In meiner Jugend habe ich deshalb eine Weile lang überhaupt nicht mehr über meine Kindheit gesprochen.»

Durch die Comedy lernte Charles aber als junger Erwachsener, das Vergangene zu thematisieren. «Auf der Bühne erzähle ich vieles, was mir tatsächlich passiert ist – einfach in Witze verpackt.» Das brachte ihm nicht nur Erfolg ein, sondern auch eine neue Nähe zu seiner Mutter, mit der er zuvor kaum über die Vergangenheit gesprochen hatte. «Über die Auftritte bekam meine Mutter Zugang zu meinem Kopf», sagt Charles Nguela. Erst durch seine Bühnenprogramme habe sie erfahren, wie er denkt und was er von ihr gelernt habe. Zum Beispiel nicht aufzugeben. Dank seiner Mutter spüre er eine Kraft in sich – eine Kraft, durch die er es auch immer wieder schafft, sein Lampenfieber zu überwinden.