Blick.
Ein Teil der Massnahmen-Gegner radikalisiert sich. In Online-Chats planen Splittergruppen Gewalt, Übergriffe häufen sich. Der Bund ist besorgt.
Fabian Eberhard
Ton und Taten mancher Corona-Skeptiker werden zunehmend aggressiv. Als am Samstag vor einer Woche Tausende gegen die bundesrätlichen Massnahmen auf die Strasse gingen, kam es zu gewalttätigen Übergriffen. In Liestal BL schlug ein Demonstrant einen Journalisten blutig, rechte Hooligans warfen Flaschen auf Fotografen und Linke. In Bern verletzte ein Demonstrant einen Polizisten mit einem Messer.
Noch kämpft die grosse Mehrheit der Aktivisten friedlich. Doch der harte Kern radikalisiert sich zusehends – und die Gewaltbereitschaft innerhalb der Szene steigt.
Die militanten Massnahmen-Kritiker organisieren sich in Gruppen beim Messenger-Dienst Telegram. Eine trägt den Namen «Der Sturm». 170 User tauschen dort Verschwörungstheorien aus und hetzten gegen Menschen, die vor dem Virus warnen: Virologinnen, Journalisten, Politiker. Und: gegen Juden, die angeblich die Weltherrschaft an sich reissen wollen.
Esoterikerinnen und QAnon-Fanatiker
«Der Sturm» versammelt Rechtsextreme, QAnon-Fanatiker, aber auch Esoterikerinnen und grüne Impfskeptiker. Gründer und Administrator des Chats ist ein Neonazi, der unter dem Pseudonym «Morpheus» agiert. Er schreibt: «Die Zeit der friedlichen Veranstaltungen ist vorbei! Wir müssen uns organisieren für wahren Widerstand. Sieg oder Tod.»
Morpheus weist die anderen Mitglieder an: «Bildet kleine Gruppen im Untergrund.» Eine Userin konkretisiert: «Kleingruppen nach dem Prinzip des führerlosen Widerstands.» Der Ausdruck bezeichnet eine Organisationsform des Rechtsterrorismus, bei welcher Einzeltäter oder konspirative Kleingruppen unabhängig voneinander Anschläge verüben.
Wie der Widerstand aussehen soll, macht Morpheus klar: «Die Medienhäuser müssen brennen, ebenso Pharmakonzerne und 5G-Masten. Zeit für Taten!» Unter Corona-Skeptikern kursiert eine Verschwörungstheorie, laut welcher 5G-Handystrahlen für das Virus verantwortlich seien.
Prompt folgen den Worten Taten: Seit Beginn der Pandemie verübten Unbekannte mehrere Anschläge auf 5G-Antennen in der Schweiz, teils mit Sachschäden in Höhe von Hunderttausenden Franken. An den Tatorten hinterliessen die Vandalen Anti-5G-Propaganda.
Im Fadenkreuz der Fanatiker sind auch politische Institutionen. In der Telegram-Gruppe «Der Sturm» rufen Massnahmen-Gegner dazu auf, das Bundeshaus zu stürmen. «Wenn wir eine grosse Gruppe sind, können wir stürmen», schreibt Userin Lia. Ein Mann, der als Profilbild den Pazifisten Mahatma Gandhi zeigt, doppelt nach: «Bundeshaus besetzen und die Bundesfutzis an einen Stuhl fixieren und kleine kurze Schmerztherapie, das Ganze auf Video und ausstrahlen in der Schweiz.»
Rechtsextreme Weltuntergangsszenarien
Aktiv in der Gruppe ist auch A. H.*, ein rechtsextremer Prepper aus dem Raum Zürich, der sich auf bürgerkriegsähnliche Zustände vorbereitet. Er hat in den letzten Monaten eine «Corona-Interventionsgruppe» aufgebaut. «Wir treffen uns jeden Samstag zur selben Uhrzeit, um uns vorzubereiten», schreibt er im Chat. «Wir trainieren Streetfight» – Strassenkampf.
Die Aufrufe zur Gewalt beschränken sich längst nicht mehr auf versteckte Telegram-Gruppen. Mittlerweile kommen sie auch ganz offen, abgesetzt von Personen mit Klarnamen, auf Facebook, Twitter oder anderen Websites. Am Dienstag musste die Hosting-Firma Hostpoint die Website eines Corona-Skeptikers sperren, weil darauf zur Tötung von Bundesräten und zur Vergewaltigung von Nationalrätinnen aufgerufen wurde. Neben einem Foto von SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga stand: «Landesverräterin! Sollte wie Berset vor Kriegstribunal und hingerichtet werden!!!»
Wut und Hass schwappen aus der virtuellen Welt in die Realität, Maskengegner rasten zunehmend aus. Die Bundesanwaltschaft verurteilte in den letzten Monaten zahlreiche Personen. Leute wie S. T.* (34), der am Bahnhof Luzern austickte. Als zwei SBB-Transportpolizisten ihn aufforderten, eine Schutzmaske anzuziehen, griff er einen der Beamten an und biss ihm in den Finger. Dabei schrie er: «Von Faschisten lasse ich mir nichts sagen. Satan wird euch bestrafen!» Die Bundesanwaltschaft verurteilte T. wegen Widerhandlung gegen das Epidemiengesetz und Gewalt und Drohung gegen Beamte.
Militante Extremisten, mittendrin statt nur dabei
Noch sind militante Massnahmen-Gegner in der Schweiz eine kleine Minderheit. Die Skeptiker-Bewegung versäumt es allerdings, sich von Extremisten zu distanzieren. Mehr noch: Prominente Köpfe der Szene spannen aktiv mit ihnen zusammen. So zum Beispiel am Donnerstag, als der Thurgauer Youtuber und Corona-Skeptiker Daniel Stricker in einem Livestream beim Rechtsextremisten Ignaz Bearth zu Gast war.
Stricker ist nur einer von vielen Massnahmen-Gegnern, die sich in den vergangenen Monaten radikalisiert haben. Zu Beginn der Krise pflegte er noch einen einigermassen gemässigten Stil, in letzter Zeit wirft er immer häufiger mit offensichtlichen Falschinformationen und Beschimpfungen um sich. Ins Zentrum rücken Parolen wie «Lügenpresse», «Hygienefaschismus» oder «Fuck the System».
Anfang Woche stellte er auf Facebook fest: «Eigentlich ein Wunder, dass der Widerstand bisher so friedlich war.» Nach den Krawallen junger Partygänger vom Freitagabend in St. Gallen liess er seine 10’000 Telegram-Abonnenten wissen: «Ich bin zum ersten Mal so richtig stolz auf unsere Jugend.» Gegenüber SonntagsBlick wollte Stricker nicht Stellung nehmen.
Die Polizei ist besorgt
Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Ein Sprecher warnte bereits im letzten November: «Die steigende Gewaltbereitschaft der Corona-Leugner-Szene beschäftigt uns stark.» Die Entwicklung sei «besorgniserregend». Ungewöhnlich deutliche Worte für die nationale Sicherheitsbehörde. Aufgrund von Drohungen musste der Bund den Schutz von Bundesräten und Einrichtungen verstärken.
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) will sich nicht konkret zur steigenden Gewaltbereitschaft äussern. Die Szene der Verschwörungsideologen und Corona-Skeptiker fällt grundsätzlich nicht in die Zuständigkeit des NDB. Sprecherin Lea Rappo sagt nur: «Allgemein lässt sich festhalten, dass gewalttätige rechts- und linksextreme Gruppierungen in der Vergangenheit wiederholt versuchten und teilweise damit vorübergehend Erfolg hatten, friedliche Protestbewegungen zu unterwandern, zu radikalisieren und als Plattformen für Gewaltanwendung zu missbrauchen.» Diesbezüglich stehe der NDB in Kontakt mit den Sicherheitsbehörden von Bund und Kantonen.
Im Blick haben dürfte der Nachrichtendienst auch die Entwicklung in Ländern wie Deutschland, wo Demonstrationen – angeheizt von Rechtsextremen – wiederholt in Gewalt umschlugen und es bereits zu mehreren Anschlägen von Corona-Skeptikern kam. Zuletzt warf ein 30-Jähriger mehrere Molotowcocktails durch ein Fenster ins Rathaus von Delmenhorst. Als Motiv gab er «Unzufriedenheit über die Corona-Regelungen» an. Nur durch Zufall wurde niemand verletzt.
Der Kanton Uri hat nun durchgegriffen und eine für den 10. April geplante Grosskundgebung in Altdorf verboten. Polizeikommandant Reto Pfister: «Wir werden am 10. April keinerlei Kundgebungen dulden. Rechtsverletzungen bringen wir konsequent zur Anzeige.»
Viele Corona-Skeptiker kündigten jedoch bereits an, trotzdem aufmarschieren zu wollen. Auf Facebook schreibt einer von ihnen: «Es wird nicht mehr lange dauern, bis der erste Schuss fällt.»