«Die Szene hat sich verändert»

Der Landbote

«Die Szene hat sich verändert»

Der Krawall nach dem Meisterschaftsfinale im Basler St.Jakob hat eine neue Dimension der Gewalt in die Schweizer Stadien gebracht. Für den Hooligan-Experten Thomas Busset sind die Randalierer eindeutig jünger und unberechenbarer geworden.

Herr Busset, sind Hooligans überhaupt noch Fussballfans oder geht es da nur noch um die Randale?

Busset: Obwohl es Verbands- und Clubverantwortliche nicht gerne hören: Ja, auch Hooligans sind Fussballfans, denn der Sieg ihrer Mannschaft steht eindeutig im Vordergrund. Bei entscheidenden Spielen gibt es aber auch Mitläufer, die nur wegen der Randale ins Stadion gehen.

Warum drehen Fans durch?

Wenn die Mannschaft eine Niederlage erleidet, wird die Macht halt eben mit Gewalt demonstriert. Der eigentliche Sinn der Randale ist es, die Hierarchie unter den Fangruppen wieder herzustellen.

Wer wird Hooligan?

Gewalttätige Fussballfans sind eigentlich keiner sozialen Schicht zuzuordnen. Gemäss unseren Beobachtungen sind es aber hauptsächlich junge Männer, die sowohl beruflich als auch sozial integriert und unauffällig sind.

Sind Drogen im Stadion ein Thema? Für diese Gewaltbereitschaft braucht es doch sicher mehr als Bier.

In welchem Ausmass Drogen, etwa Kokain oder Speed, mit im Spiel sind, ist schwierig zu sagen. Sicher ist nur: Es wird konsumiert, aber das Problem wird bis heute unterschätzt. Wenn über Drogen in den Stadien diskutiert wird, geht es meist nur um den Alkohol.

Hat sich die Hooligan-Szene in den letzten Jahren verändert?

Ja, die Akteure werden immer jünger und die Gruppierungen immer zahlreicher und unberechenbarer. Problematisch ist auch, dass sich gewaltbereite Fans häufig den «Ultras» anschliessen. Also jener neuen Fan-Generation, die sich am italienischen Modell orientiert und mit Fan-Gesängen und Choreografien Stimmung macht. Für Hooligans ist dies ein gutes Umfeld, nicht zuletzt, weil es auch bei den «Ultras» Leute gibt, die wegen Schlägereien schon mit der Polizei in Konflikt geraten sind. Randalierende «Ultras» bezeichnen sich dafür auch schon mal als «Hooltras».

Machen Hooligans auch bei anderen Randale-Gruppen mit, beispielsweise beim Schwarzen Block oder bei den Rechtsextremen?

Bis vor einigen Jahren waren Hooligans oft auch in der rechtsextremen Szene dabei. Diese Verbindungen gibt es mittlerweile aber fast gar nicht mehr. Die Schweizer Fanszene ist sehr apolitisch geworden. Jeder darf zwar eine Meinung haben, aber das Stadion ist nicht der Ort, um sie zu äussern. Ob die Hooligans am 1. Mai auch Randale machen, ist mir nicht bekannt.

Welche Clubs haben am meisten gewaltbereite Fans?

Man sagt gerne, Gewalt sei nicht vom Club abhängig, aber es gibt tatsächlich regionale Unterschiede. In Bern beispielsweise müssen sich die Young Boys und der SC Bern die Liebe der Berner Sportfans teilen. In Basel hingegen regiert der FCB. Das bietet ihm einen viel grösseren Anteil bedingungsloser Fans. Die Grösse der Fangemeinde bietet zudem genügend Anonymität. Nebst den Baslern bieten aber auch die Zürcher Fans viel Konfliktstoff.

Was bedeuten die Ereignisse vom Wochenende für die Euro 08?

Jetzt ist endgültig klar, dass auch die Clubs und Verbände dieses Problem nicht länger bagatellisieren dürfen. Allerdings darf man die Probleme der Schweizer Meisterschaft nicht mit jenen eines Grossturniers vergleichen. Gewalt im Stadion ist bei uns meist nur auf Clubebene ein Thema. Die Schweizer Nationalmannschaft hat meines Wissens keine Probleme mit ihren Fans. MONIKA FREUND

ZUR PERSON

Thomas Busset ist Sporthistoriker am Centre international d’étude du sport (CIES) der Universität Neuenburg. Gegenwärtig leitet er ein Forschungsprojekt zum Thema «Hooliganismus und Rechtsextremismus». Weil er die Fan-Kurven auch weiterhin unbehelligt beobachten möchte, erscheint dieses Interview ohne Bild des Befragten. (mfr)

CHRONOLOGIE DER GEWALT

15. September 2005: Uefa-Cup-Spiel des FC Zürich gegen Bröndby, Dänemark. Schon vor dem Spiel greifen FCZ-Fans die dänische Polizei an. 116 Fans werden festgenommen, zwei Zürcher werden zu je 70 Tagen Knast verurteilt.

16. Mai 2005: Cup-Final im Basler St.-Jakob-Park. Fans des FCZ stürmen nach dem Match auf das Spielfeld, bedrängen die Spieler und verunmöglichen die Pokalübergabe.

22. Mai 2005: Das Hardturm-Stadion brennt. Beim Spiel GC gegen Basel stecken Basler Fans eine Tribüne in Brand und gefährden damit Hunderte von Besuchern. In den Wochen danach werden Massnahmen wie Hooligan-Datenbanken und Rayon-Verbote diskutiert. Umgesetzt wurde bis heute nichts.

31. Oktober 2004: FCZ gegen Basel. Vor und nach dem Match liefern sich die Fangruppen ausgiebige Strassenschlachten. Die Polizei muss Tränengas und Gummischrot einsetzen.

10.November 2002: Schaffhausen spielt gegen den FCZ. Nach dem 2:1-Sieg der Schaffhauser randalieren die Zürcher Fans. Autos werden beschädigt, Polizisten mit Steinen beworfen.