Newsnet: Claudio Gantert verbreitet Heil-Hitler-Parolen und wird von der SVP Neuhausen als Kantonsratskandidat nominiert. Wie gross ist das Problem der SVP mit Rechtsextremismus?
Claudio Ganterts politische Karriere dürfte zu Ende sein, bevor sie begonnen hat. 2015 trat der heute 44-Jährige der SVPNeuhausen bei, im Mai wurde er für die bevorstehenden Schaffhauser Kantonsratswahlen nominiert. Gestern wurde er aus der Partei geworfen.
Die «Schaffhauser AZ» machte publik, dass Gantert auf den sozialen Medien Heil-Hitler-Parolen verbreitete, Facebook-Seiten wie «Adolf Hitler» und «Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei» mit einem «Gefällt mir» markierte. Dort bot er auch «Original NS-Material (Wehrmacht)» zum Verkauf an und teilt Songs der deutschen Rechtsrockband Stahlgewitter, welche die Wiederauferstehung des Dritten Reichs propagiert. Der Sozialhilfebezüger Gantert sei zudem regelmässig mit dem Gesetz in Konflikt geraten, etwa wegen Alkohol am Steuer, Drogen und Waffenbesitz, so der Bericht. Gantert war für den TA nicht erreichbar, gegenüber der «Schaffhauser AZ» sagte er, mit «Rechtsextremität habe ich nichts am Hut». Das sei alles «kalter Kaffee».
Keine systematischen Hearings
Wie ist es möglich, dass eine ernsthafte Partei einen solchen Kandidaten nominiert? Pentti Aellig, Präsident der SVP Schaffhausen, sagt, die Ortssektionen seien für Nominationen verantwortlich. Die Kantonalpartei habe zwar ein Vetorecht, führe aber keine systematischen Hearings durch. Insbesondere Neumitglieder seien für die Ortssektionen schwieriger einzuschätzen. Nach den Wahlen werde man aber Richtlinien für eine gründlichere Prüfung der Kandidaten erarbeiten. Sara Jucker, Präsidentin der Ortspartei, sagt, sie habe nichts von Ganterts Vergangenheit gewusst. An der Nominationsversammlung habe er ordentlich vorgesprochen.
Gantert ist nicht der erste SVPler, der durch justiziable Äusserungen auffiel: Ein als Kristallnacht-Twitterer bekannt gewordener Ex-SVP-Mann wurde für seinen Tweet wegen Rassendiskriminierung verurteilt. Ex-SVPler Beat Mosimann erhielt einen Strafbefehl für einen Facebook-Kommentar («Wann wird das gottverdammte Pack endlich ausgeschafft oder standrechtlich erschossen?»). Mitglieder der Ortspartei Widen wurden wegen rassistischer Sprüche auf der Website der Partei verurteilt. Marcel Toeltl, Präsident einer Ostschweizer Sektion, bezeichnete Flüchtlinge aus Eritrea und Syrien als Menschen mit einem «nachweislich sehr tiefen Länder-IQ», wurde aber von einem Gericht freigesprochen. Der Walliser Staatsrat und Al-Nationalrat Oskar Freysinger provozierte mit einer Reichskriegsflagge. Aktuell muss sich auch der Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor wegen Rassendiskriminierung vor Gericht verantworten.
«Keine rechtsextreme Partei»
Hat die SVP ein Problem am rechten Rand? Schaffhauser SVP-Präsident Aellig sagt, Gantert sei ein seltener Einzelfall. «Wir haben kein Problem mit Rechtsextremen in der Partei.» Damir Skenderovic ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Fribourg und verfasste «The Radical Right in Switzerland», das Standardwerk über Rechtsextremismusund Rechtspopulismus in der Schweiz. «Die SVP ist keine rechtsextreme Partei», sagt Skenderovic. «Wenn ein Kandidat auffliegt, dann hat sich die Partei schon immer umgehend distanziert.» Während sich Rechtsextremismus unter anderem durch historische Bezüge zum Faschismus auszeichne, gehe der Rechtspopulismus der SVP auf die Überfremdungsbewegung von James Schwarzenbach zurück.
Allerdings übe die Partei seit über 20 Jahren eine Anziehungskraft auf Rechtsextreme aus, sagt Skenderovic. «Die SVP macht eine Politik der Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit, eine Politik, mit der sich Rechtsextreme identifizieren. Diese Parallelität der Einstellungen und Haltungen macht die SVP attraktiv für Rechtsextreme.» Skenderovic beobachtet zudem eine Normalisierung des Rechtspopulismus: «Vor 30 Jahren wäre es unvorstellbar gewesen, in der breiten Öffentlichkeit so über Migration zu diskutieren, wie das heute geschieht. Islamophobe Tendenzen reichen heute bis weit in die politische Mitte.»
SVP-Kantonsrat kann Claudio Gantert nicht mehr werden – parteiloser Kantonsrat hingegen schon. Die Listen sind bereits gedruckt und verschickt. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)
(Erstellt: 09.09.2016, 18:16 Uhr)