Zentralschweiz am Sonntag vom 31.07.2011
Einige SVP-Exponenten wie Oskar Freysinger suchen im Kampf gegen die «Islamisierung» die internationale Vernetzung. Das passt der SVP-Spitze überhaupt nicht.
Christoph Reichmuth
Das Attentat von Norwegen mit 77 Toten hat die internationale Anti-Islam-Bewegung in den Fokus der Medien gerückt. Kritische Fragen gefallen lassen müssen sich seither auch SVP-Exponenten. Darunter der Walliser Nationalrat Oskar Freysinger, aber auch dessen Nationalratskollege Walter Wobmann oder der Zürcher Ulrich Schlüer, der an vorderster Front für das Minarett-Verbot weibelte.
Umstrittene Konferenzen
Zumindest von Freysinger ist bekannt, dass er sich gerne auch an internationalen Konferenzen umstrittener Anti-Islam-Bewegungen blicken lässt. So wurde er Ende Dezember letzten Jahres am vom rechtsextremen «Bloc identitaire» organisierten Anlass «Kongress gegen die Islamisierung unserer Länder» in Paris für seinen Kampf gegen die Minarette gefeiert. Freysingers Vorredner lobten die Schweiz als Modell für den «Volkswiderstand gegen die Islamisierung Europas».
Damals mit von der Partie war auch der aus der CDU ausgeschlossene Politiker René Stadtkewitz, der davor warnt, die Europäer würden durch die «von Islamisten gesteuerten Islam-Organisationen aus dem Land gejagt». Stadtkewitz ist auch Vorsitzender der deutschen Bürgerrechtspartei «Die Freiheit». Am 3. September soll Freysinger für die Bewegung in Berlin Wahlkampf machen. Neben Freysinger gehören zu den Referenten auch der holländische Rechtspopulist Geert Wilders oder Robert Spencer, ein US-Islamkritiker, der vom Norweger Attentäter Anders Breivik in seinem 1500-seitigen Manifest oft zitiert wurde.
Blocher warnt Freysinger
Diese internationale Verflechtung Freysingers, aber auch anderer SVP-Mitglieder, wird in der Spitze der Partei nicht gerne gesehen. Alt Bundesrat und SVP-Vizepräsident Christoph Blocher hat, wie Freysinger bestätigt, den Walliser offen vor Kontakten zu zwielichtigen Gestalten im Ausland gewarnt. «Pass auf, dass du dich im Ausland nicht mit irgendwelchen Spinnern verbrüderst. Das könnte uns schaden», meinte der SVP-Übervater. Und diese Woche ging auch der SVP-Parteipräsident auf Distanz zu der von Freysinger offenbar angestrebten internationalen Allianz gegen die Islamisierung Europas. Das internationale Engagement einzelner Mitglieder seiner Partei sei «weder von der Partei gewünscht noch mit uns abgesprochen», meinte Brunner am Freitag gegenüber dem «Tages-Anzeiger».
«Ich hoffe, Freysinger lernt daraus»
Auch der Luzerner SVP-Nationalrat Felix Müri distanziert sich von den internationalen Verflechtungen des «SVP-Aussenministers» Freysinger (NZZ), der Geert Wilders im Juni eigentlich in die Schweiz eingeladen hatte, das Treffen aber wegen Widerständen im Wallis platzen lassen musste. Müri: «Wir brauchen diese Verbindungen nicht.» Die Parteileitung habe sich auch dagegen ausgesprochen, den österreichischen FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache in die Schweiz zu holen. «Wir machen unsere Politik, die Verflechtung mit den Franzosen, Österreichern oder Holländern ist nicht gerne gesehen», sagt Müri.
Die SVP lasse sich nicht mit diesen rechtspopulistischen Parteien vergleichen. Davon zeuge auch, dass die SVP im Europarat mit der liberalen Fraktion zusammenarbeite und nicht mit den Rechtsaussen-Parteien. Müri hofft, dass Freysinger aus den Diskussionen der letzten Tage lernen wird. «Ich hoffe, dass er merkt, dass diese internationale Allianz nichts Gutes ist. Je mehr man sich verbrüdert, umso mehr ist man auch miteinander verstrickt. Wir brauchen keinen Kontakt zu Rechtspopulisten, Freysinger soll das bitte einsehen.»
Der Luzerner geht auch davon aus, dass Freysinger nun seinen Auftritt am 3. September in Berlin fallen lässt: «Wenn er vernünftig ist, lässt er das bleiben. Auch ein Grossteil unserer Wähler findet solche Engagements nicht gut.» Je weiter man sich aus dem Fenster lehne, schliesst Müri, «desto eher fängt man auch mal eine Ohrfeige ein». Indes macht Freysinger keine Anstalten, den Besuch bei «Die Freiheit» platzen zu lassen: «Natürlich werde ich diese Veranstaltung besuchen», sagt er im Interview (siehe Box).
Schlüer: «Kompletter Unsinn»
Kritisiert werden auch andere Exponenten der Partei, die vor der Islamisierung warnen. Der Berner Islamwissenschaftler Reinhard Schulze erklärte der «Tagesschau», Parolen wie «Stopp Minarette» oder «Stopp Islamisierung» seien gefährliche Befehle. Sie könnten als Aufruf zur Gewalt verstanden werden. «Politische Parteien, die eine solche Rhetorik praktizieren, nehmen in Kauf, dass Menschen das tatsächlich für bare Münze nehmen und entsprechend auch eine Tat durchführen.»
Der Zürcher SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer, eine der treibenden Kräfte hinter dem Minarett-Verbot, weist Schulzes Vorwurf als «Unsinn» zurück. «Wir sorgen dafür, dass sich die Leute zu brennenden Fragen frei äussern können. Damit stellen wir sicher, dass die Debatte offen geführt wird. Unterdrückt man die Diskussion, dann kann sich Frust aufbauen – das kann unberechenbar werden.» Schlüer betont, er habe in seinem Kampf gegen die Islamisierung nie die internationale Vernetzung gesucht. Was Freysinger tue, sei dessen Problem. «Mein Standpunkt ist: Wir müssen nicht im Ausland irgendwelche Botschaften vermitteln. Ich bin in der Schweiz gewählt, und ich politisiere in der Schweiz.» Schlüer räumt ein, schon vor internationalem Publikum referiert zu haben. «Aber dort habe ich bloss die Mechanismen der direkten Demokratie erklärt.»
Sorgenvoll beobachtet die aktuelle Debatte der Luzerner CVP-Nationalrat Pius Segmüller. «Wir tendieren auf eine extreme Personalisierung und Populisierung der Politik zu», sagt er. Sachpolitik und Kompromissbereitschaft würden darunter leiden. Seinen Ratskollegen Freysinger oder Wobmann gibt er einen Tipp: «Man muss aufpassen, mit wem man verkehrt. Es gibt in der Politik immer mehr Paradiesvögel, die sich zu einem Star machen wollen. Nicht nur Freysinger. Darunter leidet unsere Sachpolitik.»
Freysinger: «Ich bekämpfe bloss das islamische Dogma»
Oskar Freysinger, nach den Ereignissen in Norwegen gerät die Bewegung der Islam-Gegner, zu der auch Sie gehören, in die Kritik. Wer lange genug hetze, der finde Leute, die dann auch zur Tat schreiten würden, meint ein österreichischer Politwissenschaftler.
Oskar Freysinger*: Die Leute wollen es einfach nicht verstehen: Ich habe überhaupt nichts gegen Muslime, der religiöse Aspekt ist mir völlig egal, ich stehe hinter dem Recht auf Religionsfreiheit. Ich bekämpfe bloss das islamische Dogma. Der Islam lässt sich in unserem Rechtsstaat nicht eins zu eins umsetzen, die Scharia ist mit unserem Rechtsstaat nicht kompatibel, was auch der europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt. Das ist es, worauf ich aufmerksam machen will. Seit dem 11. September 2001 sind weltweit 17 000 Attentate verübt worden, drei Viertel der Attentate verübten radikale Islamisten und die meisten Opfer waren Moslems. Wenn wir diese Probleme in unser Land importieren, dann werden auch die Moslems, die sich bei uns integrieren, zu Opfern.
Sie wirken unüblich aufgeregt.
Freysinger: Ja, denn das ist ein heikles Thema. Sage ich ein falsches Wort oder werde ich falsch zitiert, dann tobt ein Orkan.
Der norwegische Attentäter Anders Breivik bezog sich in einem Manifest unter anderem auf den Holländer Geert Wilders. Dieser hat in den letzten Jahren immer wieder öffentlich gegen den Islam als «faschistische Ideologie» gewettert und dessen Propheten als «Mörder und Pädophile» bezeichnet. Wilders ist auch ein Freund von Ihnen, Sie teilen seine Ansichten.
Freysinger: Es ist absolut unwürdig, nach einem so schrecklichen Drama nach politischen Verantwortlichen zu suchen. Nur, weil ich islamkritische Positionen vertrete, soll ich dieses Drama in irgendeiner Weise mitverantworten. Breivik war ein fleissiger Leser der «New York Times». Nach dieser Theorie müsste man ja die Schlagzeile umformulieren in: «‹New York Times›-Leser tötet 76 Menschen». Das ist absurd. Breivik bezieht sich auch auf Churchill und auf viele Philosophen. Oder die Freimaurer. Ja, sind die nun auch mitverantwortlich für das Geschehene?
Anders Breivik begründet seine Tat mit dem Schutz der europäischen Kultur vor der Islamisierung. Davor warnen auch Sie.
Freysinger: Dieser Breivik ist ein Irrer. Er ist total widersprüchlich, er beruft sich in seiner Schrift auf den Unabomber Ted Kaczynski, will aber Christ sein. Er vertritt Nazi-Theorien und lobt zugleich den norwegischen Widerstand gegen die Nazis. Zudem stand Breivik bei seiner Tat unter schwerem Drogeneinfluss. Muss ich daraus schliessen, dass jene, die die Drogen legalisieren wollen, diese Tat mitverantworten? Das tue ich nicht. So einen Irren kann man nicht verstehen und nur schwer stoppen.
Ihr Parteikollege und alt Bundesrat Christoph Blocher beobachtet Ihre internationale Vernetzung mit Argwohn: Er warnte Sie davor, sich im Ausland nicht mit irgendwelchen Spinnern zu verbrüdern, weil das der SVP schaden könnte. Auch SVP-Präsident Toni Brunner ist über Ihr Auslandengagement nicht sonderlich glücklich. Nehmen Sie sich nun zurück?
Freysinger: Soll ich nun meine Meinung wegen des Drucks der Medien ändern? Das tue ich bestimmt nicht. Ich habe im Ausland lediglich mit der Bürgerrechtsbewegung «Die Freiheit» – sie liess sich bei ihrem Programm zu 80 Prozent von der SVP inspirieren –, mit Geert Wilders Partei für die Freiheit (PVV) und mit riposte laïque in Frankreich zu tun. Mehr Kontakte habe ich nicht. Was nicht koscher ist, dem gehe ich aus dem Weg. Mit Rechtsradikalen und Revisionisten habe ich nichts am Hut.
Auf der Internetseite der Bürgerrechtsbewegung «Die Freiheit» bloggt ein Unbekannter, die «Verzweiflungstat» von Anders Breivik sei als «Aufschrei gegen die Meinungsdiktatur der derzeitigen Demokratie» zu werten. Diese Bewegung bringt Verständnis für den Attentäter auf.
Freysinger: Es handelt sich um einen anonymen Kommentar, wie es Milliarden davon gibt. Da lassen auch quere Typen die Sau raus. Ich habe selber einen Blog und kann nicht jeden Blödsinn kontrollieren, den einer dort schreibt. Ich kann den Kommentar nur so schnell wie möglich löschen. Den Stuss, den ein anderer schreibt, muss er aber selber verantworten. Jeder Journalist muss das ja auch.
Ihr Fraktionskollege, der Luzerner Nationalrat Felix Müri, hofft, dass Sie Anfang September nun nicht nach Berlin zur Wahlveranstaltung der Bewegung «Die Freiheit» reisen werden, wo auch Geert Wilders auftreten wird.
Freysinger: Natürlich werde ich diese Veranstaltung besuchen. Ich rede an solchen internationalen Anlässen ja wenig über Religion oder den Islam, ich propagiere vor allem das Modell der direkten Demokratie. Unser Modell ist exportfähig. Und je mehr direktdemokratische Modelle in der EU entstehen, desto weniger Druck kann diese auf unser souveränes Land ausüben. Deshalb gehe ich an diese Anlässe.
Sie schlagen also die Empfehlungen Ihrer Parteioberen in den Wind?
Freysinger: Die SVP ist sehr demokratisch, mein Kollege Ulrich Schlüer ist ja auch oft im Ausland unterwegs. Wir geniessen grosse Freiheiten in dieser Partei. Blocher hat Recht, wenn er sagt, man solle aufpassen, mit wem man sich trifft. Das tue ich auch.
Christoph Reichmuth
* Der Walliser Oskar Freysinger (51) ist seit 2003 SVP-Nationalrat. Er machte sich unter anderem als Verfechter des Minarett-Verbots einen Namen.