Neue Luzerner Zeitung vom 28.05.2011
Kari Kälin
Der Zentralvorstand hält eine Art Rütlirapport ab – inklusive Bundesrat Ueli Maurer. Um die nötige Bewilligung foutiert sich die Partei. Ganz im Gegensatz zur CVP, die mit ihrem Gesuch abblitzte und nicht mit Doris Leuthard auf der mythischen Wiese feiern darf.
Die meteorologischen Umstände sind garstig. Dennoch strahlt gestern SVP-Parteipräsident Toni Brunner übers ganze Gesicht, als um 15 Uhr rund 70 Mitglieder des SVP-Zentralvorstandes mit dem Schiff das Rütli ansteuern. Mit an Bord befinden sich neben anderen Parteigrössen auch alt Bundesrat Christoph Blocher und Verteidigungsminister Ueli Maurer. «Wir sind ein freies Land. Es gibt keinen Grund, nicht aufs Rütli zu gehen», sagt Brunner.
Es braucht ein Gesuch
In der Benutzerordnung des Rütlis steht freilich das Gegenteil. Begibt sich eine Gruppe von mehr als 50 Personen für einen Besuch aufs Rütli, muss sie mindestens zwei Monate davor ein Gesuch einreichen. Entsprechend verärgert reagierte gestern Annemarie Huber-Hotz auf den Ausflug der wählerstärksten Partei (siehe Interview). Huber-Hotz ist Präsidentin der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG), welche die Rütliwiese seit 1860 verwaltet und sie ein Jahr später dem Bund als «unveräusserliches Nationaleigentum» schenkte. Für politische Manifestationen gebe die SGG das Rütli nicht her. Davon lässt sich Toni Brunner nicht beirren: «Das Rütli ist ein Ort mit hoher Symbolkraft, an dem schon viele Treffen stattgefunden haben. Ich bin überzeugt, dass jeweils vorher nicht gefragt wurde.»
Maurer würdigt Guisan
Vorher nichts gewusst vom Gang an die Geburtsstätte der Schweiz hat angeblich Bundesrat Ueli Maurer. Erst am Nachmittag habe er vom spontanen Ausflug erfahren. Auch seine Bundesratskollegen seien nicht im Bild gewesen. Um eine politische Manifestation handle es sich nicht, sondern um ein Bekenntnis zur Schweiz, sagt Maurer. Angekommen auf der historischen Wiese, auf der die drei Eidgenossen den Rütlischwur leisteten, entpuppt sich der Magistrat als gut vorbereiteter Redner, der Weltkrieg-General Henri Guisan würdigt. Bereits ein Jahr zuvor hatte er an einer Auns-Versammlung über den populären General referiert. Maurer kann aus dem Vollen schöpfen.
Das SVP-Treffen atmete den Geist des Rütlirapports, mit dem Guisan am 25. Juli 1940 dem Schweizer Volk wieder Mut einhauchte. Guisan versammelte alle höheren Offiziere auf der Rütliwiese und beschwor den Widerstandwillen des Schweizer Volkes. Einen Monat zuvor hatte Bundesrat Marcel Pilet-Golaz in einer Radioansprache, in der er von Anpassung an das Neue Europa sprach, für Verunsicherung gesorgt. Die Rede, gehalten kurz nach der Kapitulation Frankreichs vor Nazideutschland, wurde als defätistisch wahrgenommen. Maurer erkennt im Rütli eine «mythische Kraft». Wenn die SVP diese in den Wahlkampf mitnehme, dann habe sich dieser Besuch gelohnt.
Dann folgt der Auftritt der IG Waldstätte, der Zentralschweizer SVP-Kantonalparteien. In der «Rütlierklärung 2011» fordern sie nichts weniger als die Abspaltung der Urkantone von der Schweiz, sollte diese dereinst der EU beitreten: «So wie sich die Urkantone aus dem habsburgischen Grossreich gelöst haben, verpflichten sich die Waldstätter SVP-Kantonalparteien im Falle eines EU-Beitritts zur Bildung einer neuen Eidgenossenschaft. Die SVP Schweiz klärt die dafür nötigen Mittel und Wege.»
Auch die CVP wollte aufs Rütli
Erstaunt über die Versammlung der wählerstärksten Partei reagierte gestern die CVP. Denn auch die sechs christdemokratischen Zentralschweizer Kantonalparteien wollten am 23. Juni mit dem Schiff aufs Rütli dampfen, wo Bundesrätin Doris Leuthard eine Rede gehalten hätte. Hätte. Im Gegensatz zur SVP stellte die CVP bei der SGG ein Gesuch – und blitzte ab. Anstatt auf der «Wiese mit Kuhdreck», wie sie Ueli Maurer einst nannte, ein Familienfest zu veranstalten, können die Christdemokraten dem Rütli bloss vom Schiffssteg aus zuwinken.
Patrizia Danioth, Präsidentin der CVP Uri und OK-Präsidentin des Anlasses, stellt das «absolute Versammlungsverbot» für Parteien in Frage. Dass die SVP frecher war und sich über die Bestimmungen der SGG hinweggesetzt hat, beunruhigt sie nicht. «Wir halten uns an die Regeln. Der Himmel hat ja seinen Unmut bekundet.»
«Das ist eine Frechheit»
CVP-Vizepräsidentin Ida Glanzmann qualifiziert das Verhalten der SVP als «unfair». Aufs Rütli zu gehen, ohne den Hausherrn um Erlaubnis zu bitten, sei nicht stilvoll. «Es geht nicht, dass man einfach in den Garten fremder Häuser tritt», sagt die Luzerner Nationalrätin. Bestraft würden jene, die sich korrekt verhielten. Insofern sei sie ein bisschen «hässig» auf die SVP. Dass sich Parteien grundsätzlich nicht auf dem Rütli versammeln dürfen, kann sie indes nicht verstehen. Ebenso wenig Gusti Mettler, Sekretär der CVP Schwyz. Dramatisieren will er den symbolträchtigen Akt der SVP zwar nicht, dennoch sagt er: «Das ist eine Frechheit.»
Brunner weist Kritik zurück
Toni Brunner freilich hätte nichts dagegen, wenn die CVP mit Doris Leuthard das Rütli in Beschlag nähme. «Ich glaube, jede Partei darf aufs Rütli, wir sind ein freies Land und das Rütli ein öffentlicher Ort. Ich mag das auch der CVP gönnen.»