Die Wochenzeitung.
Das militante neonazistische Netz Combat 18 baut europaweit Strukturen auf. Die Mitglieder bewaffnen sich und halten Schiesstrainings ab. Auch in der Schweiz. Und was tun die Sicherheitsbehörden?
Von Martin Germann und Jan Jirát
Wenn sich Neonazis treffen, geben sie sich gerne einen seriösen Anstrich. So auch am «Eichsfeldtag» im Mai 2017 im westlichen Thüringen. Gastgeber Thorsten Heise, seit dreissig Jahren in der militanten Neonaziszene aktiv und aktuell im Bundesvorstand der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), versuchte, dem Rechtsrockevent mit Hüpfburgen und Kinderschminken einen familiären Touch zu verleihen. Doch während der nationale Nachwuchs in den Hüpfburgen tollte, standen auf der Bühne Bands, die ihren Fremdenhass und ihre Glorifizierung der Nazivergangenheit ins Publikum brüllten. So wie Amok aus dem Zürcher Oberland um den mehrfach vorbestraften Sänger Kevin Gutmann. Ihr Auftritt bei Heise war kein Zufall.
Das zeigt eine aktuelle und umfangreiche Recherche der unabhängigen antifaschistischen Rechercheplattform Exif, die unter anderem auf geleakten internen Mails, Dokumenten und Kontoauszügen beruht. Sie legt das Beziehungsgeflecht und die klandestinen Aktivitäten des international organisierten neonazistischen Netzes Combat 18 (C18) offen, was für «Kampftruppe Adolf Hitler» steht. Heise und Gutmann sind Teil dieses Netzes. Der NPD-Funktionär ist eine ganz zentrale Figur, nicht zuletzt, weil er einen rechtsextremen Versandhandel sowie ein Rechtsrocklabel betreibt. Gutmann bekennt sich als Sänger von Amok offen zu C18 und verherrlicht die Organisation in seinen Liedern. Neben der Dortmunder Band Oidoxie sei Amok die wohl einflussreichste C18-Band in Europa, schreibt Exif.
Kevin Gutmann, der im März 2018 vom Bezirksgericht Zürich zu zwei Jahren Haft wegen Rassendiskriminierung und Tätlichkeiten verurteilt wurde, ist nicht das einzige C18-Mitglied aus der Schweiz. Die antifaschistische Recherche dokumentiert mehr als eine Handvoll weiterer Schweizer C18-AkteurInnen (Namen sind der Redaktion bekannt). Eine 34-jährige Frau aus der Zürcher Agglomeration bezeichnet sich als «BandMutti» von Oidoxie und unterhält Kontakte zu weiteren C18-Bands, die sie «gern zu sich nach Hause einlädt, wenn diese in der Schweiz auftreten». Ein C18-Akteur aus Kloten gilt als «wichtigste Schweizer Ansprechperson» vor allem bezüglich Konzertorganisation.
Genau in diesem Bereich spielt die Schweiz eine wichtige Rolle, nicht zuletzt, weil die Behörden hierzulande oft weniger genau hinschauen als in Deutschland. So auch im Oktober 2016, als eines der bisher grössten Konzerte aus dem C18-Umfeld stattfand: Rund 5000 Neonazis aus ganz Europa besuchten damals die «Rocktobernacht» in Unterwasser, um unter anderem Amok auf der Bühne zu sehen. Das Konzert im Toggenburg dürfte den OrganisatorInnen, die vor allem aus Thüringer C18-Kreisen stammten, mindestens 200 000 Euro eingebracht haben, die danach zumindest teilweise in neonazistische Strukturen flossen (siehe WOZ Nr. 42/16).
Schliesslich offenbart die Exif-Recherche, dass die Schweizer C18-Sektion eine wichtige Rolle bei der Neustrukturierung der Neonaziorganisation im Herbst 2012 spielte. In einem Mail an Personen aus dem internationalen C18-Umfeld schreibt die Schweizer Sektion: «Wir sind interessiert an einem Treffen mit C18-Repräsentanten aus ganz Europa und den USA, um ein stärkeres Netzwerk zu bilden und uns für härtere Zeiten vorzubereiten.»
Extrem hohe Gewaltbereitschaft
Combat 18 wurde Anfang der neunziger Jahre als Sicherheitstruppe der britischen Neonazipartei British National Party gegründet und etablierte sich als bewaffneter Arm des neonazistischen Netzes Blood & Honour. Bereits in seinen Anfängen fiel C18 durch seine extrem hohe Gewaltbereitschaft auf: C18-Mitglieder verübten Brandbombenanschläge, verschickten Paketbomben und griffen GegnerInnen körperlich an. William Browning, ein Mitgründer und eine bis heute äusserst wichtige Figur, verfasste zahlreiche Schriften, die zum terroristischen Kampf aufforderten und Baupläne für Bomben enthielten. Einen Anschlag mit rechtsextremem Hintergrund gab es auch in der Schweiz: Im Sommer 2007 war eine Brandbombe an einem Antifa-Konzert in der Berner Reithalle kurz vor der Detonation entdeckt und vor die Tür gebracht worden. Nur durch Glück gab es kein Blutbad. Der Täter, der gerne in Combat-18-Kleidung aufgetreten war, wurde schliesslich zu vier Jahren Haft verurteilt (siehe WOZ Nr. 16/14).
Die Struktur des C18-Netzes baut bis heute auf das Konzept der «leaderless resistance», den «führerlosen Widerstand», sowie auf möglichst autonome Zellen. Das Konzept geht zurück auf den tief rassistischen und antisemitischen Roman «The Turner Diaries», nach dem sich etwa die US-Terrorgruppe The Order richtete, die in den achtziger Jahren eine Reihe von Anschlägen und einen Mord an einem jüdischen Radiomoderator zu verantworten hatte. Auch die neonazistische Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), die in Deutschland neun Migranten und eine Polizistin ermordete, orientierte sich am «führerlosen Widerstand».
Die jüngste Combat-18-Gewaltwelle erfasste Griechenland, wo Anfang März sieben Mitglieder des Netzes festgenommen wurden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen über dreissig gewalttätige Anschläge in der Zeit von 2014 bis 2017 vor. Offenbar plante die Gruppe bereits weitere Anschläge. Die Polizei fand bei Hausdurchsuchungen über fünfzig Kilogramm Sprengstoff, mehrere Jagdgewehre und Brandbomben. Die Exif-Recherche enthüllte zudem, dass verschiedene C18-Sektionen in zahlreichen Ländern Schiessübungen abhielten – auch in der Schweiz (nährere Angaben dazu kann Exif aus Gründen des Quellenschutzes nicht machen). Ebenso dokumentiert ist das Horten von Waffen und Munition einzelner C18-Mitglieder in teils grossem Umfang.
Und die öffentliche Sicherheit?
In der Schweiz ist der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) für «gewalttätigen Extremismus» zuständig. Die WOZ hat ihn mit den Rechercheergebnissen über das C18-Netz – insbesondere über die Schweizer Sektion – konfrontiert. Der NDB kommentiere keine Medien- oder andere Berichte, lautete die Antwort. «Er äussert sich auch nicht zu einzelnen Personen, Organisationen oder Gruppierungen.» Stattdessen verweist er auf seinen Lagebericht «Sicherheit Schweiz 2018». Der Begriff C18 taucht dort an keiner Stelle auf; immerhin wird erwähnt, dass hierzulande seit langem eine Unterorganisation von Blood & Honour bestehe. Dass die rechtsextreme Szene Waffen hortet, ist dem NDB eigentlich bekannt. Auch die Schiessübungen finden in seinem Bericht Erwähnung. Ähnlich klingt es in Deutschland. Dort spricht der Verfassungsschutz in seinem aktuellen Bericht im Zusammenhang mit Combat 18 von «verbalradikaler Militanz» und dem «Eindruck, Gefährlichkeit zu vermitteln».
Übertreibt die antifaschistische Rechercheplattform mit ihrer Darstellung? Ist alles halb so wild?
«Antifaschistische Recherche ist immer wieder deutlich erkenntnisreicher und sorgfältiger als zum Beispiel Verfassungsschutzberichte. Das liegt auch an der Motivation», sagt Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei aus Thüringen. Renner ist eine der profundesten KennerInnen der neonazistischen Strukturen in Deutschland, sie sass in mehreren Untersuchungsausschüssen zum NSU. Die verharmlosende Haltung der Sicherheitsbehörden überrascht sie nicht: «Rechtsterrorismus wurde und wird in Deutschland politisch verharmlost und juristisch mangelhaft verfolgt. Das ist nicht nur eine Schande für die Demokratie, das ist in erster Linie eine Gefahr für das Leben von vielen Menschen, die zu den Opfergruppen von Neonazis zählen.»
Für Renner liegt es auf der Hand, dass die Schweiz im C18-Netz eine wichtige Rolle spielt, «weil das Agieren über Grenzen hinweg für Behörden, aber auch für viele zivilgesellschaftliche Einrichtungen schwerer nachvollziehbar ist. Auch das relativ liberale Waffenrecht der Schweiz ist für die Neonaziszene sicherlich relevant.»
Auch Julian Feldmann, Reporter des ARD-Nachrichtenmagazins «Panorama», hält die Recherche für glaubwürdig. Feldmann drehte im Juli einen Beitrag («Maulhelden oder rechte Terroristen?») über Protagonisten des C18-Netzes in Deutschland. «Die Exif-Unterlagen waren die Grundlage dafür. Wir haben viele Informationen eingehend geprüft, die waren wasserdicht.»
Letztlich stösst die Exif-Recherche mit ihren begrenzten Mitteln an ihre Grenzen. Viele relevante Fragen zum Combat-18-Netz bleiben offen: Wohin fliesst das Geld, und wofür wird es genutzt? Was genau plant dieses Netz gerade? Und welche Taten wurden vielleicht schon ausgeführt?