Das Bundesgericht verschärft seine Praxis. Rassistische Äusserungen sollen neu ungeachtet der Zahl der Adressaten immer dann strafbar sein, wenn sie ausserhalb des Familien- oder Freundeskreises erfolgen.
Strafbar im Sinne der Antirassismus-Norm (Artikel 261 bis des Strafgesetzbuches) sind grundsätzlich nur rassistische Äusserungen und Verhaltensweisen, die «öffentlich» erfolgen. Laut dem aktuellen Grundsatzentscheid aus Lausanne gelten neu alle solchen Aktivitäten als öffentlich, die nicht im engeren privaten Rahmen erfolgen.
Grösserer Personenkreis
Als privat seien Äusserungen anzusehen, «die im Familien- oder Freundeskreis oder sonst in einem durch persönliche Beziehungen oder besonderes Vertrauen geprägten Umfeld erfolgen». Gemäss bisheriger Praxis war massgebliches Kriterium für die «Öffentlichkeit», ob ein grösserer Personenkreis erreicht wurde.
Einen Grenzwert für die Zahl der Adressaten legte das Bundesgericht aber nicht fest. Als «nicht öffentlich» klassierte es etwa den Versand eines revisionistischen Buches an sieben Empfänger. Diese rein quantitative Betrachtung vermag nach Ansicht des bundesgerichtlichen Kassationshofes nicht länger zu überzeugen. Auch unter wenigen Personen ausgetauschte rassistische Äusserungen könnten den privaten Rahmen sprengen, den der Gesetzgeber von der Strafbarkeit habe ausnehmen wollen. Ohnehin sei die Zahl der Personen, welche eine Äusserung wahrnehmen würden, oft zufällig.Ganz ohne Bedeutung sei die Zahl der anwesenden Personen aber auch in Zukunft nicht: Je enger diese etwa miteinander verbunden seien, desto grösser könne der Kreis sein, ohne den privaten Charakter zu verlieren. Umgekehrt sei auch ein Gespräch unter vier Augen zwischen nicht näher Bekannten als privat zu betrachten.
Berner Fall
Im konkreten Fall ging es um einen Vortrag zur «Entstehung der SS und der Waffen-SS», der im September 1999 in einer Waldhütte vor etwa 40 bis 50 Personen aus der Skinhead-Szene gehalten wurde. Zur Veranstaltung wurde nur eingelassen, wer eine schriftliche Einladung vorweisen konnte.
Das Berner Obergericht sprach den Referenten und den Organisator vom Vorwurf der Rassendiskriminierung frei. Es war zum Schluss gekommen, dass die persönlich eingeladenen Teilnehmer einen geschlossenen Kreis und damit keine Öffentlichkeit gebildet hätten.
Gemeinsame Gesinnung
Das Bundesgericht hat die Beschwerde des Generalprokurators nun gutgeheissen und die Sache zur Neubeurteilung an die Berner Justiz zurückgewiesen. Laut den Lausanner Richtern spricht gegen den öffentlichen Charakter der Veranstaltung im Übrigen auch nicht der Umstand, dass die Teilnehmer eine gemeinsame Gesinnung hatten. Die Antirassismus-Norm wolle gerade auch verhindern, dass sich rassistisches Gedankengut in Zirkeln, die ihm bereits zugeneigt seien, weiter verfestigen oder ausweiten könne.sda
Die Praxisänderung des Bundesgerichts bei der Rassendiskriminierung hat laut Strafrechtsprofessor Marcel Alexander Niggli im Alltagsbereich keine Verschärfung zur Folge. Insbesondere ändere sich nichts beim rassistischen Stammtischwitz, der unter gewissen Umständen schon nach der bisherigen Rechtsprechung strafbar gewesen sei. Gemäss dem Spezialisten für die Antirassismus-Norm erleichtert die neue Rechtsprechung des Bundesgericht vor allem die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden. Die Neudefinition des Kriteriums «Öffentlichkeit» sei einfacher zu handhaben. Eine Verschärfung bedeute die Praxisänderung einzig für die Skinhead- und Neonazi-Szene: Ihr werde es verunmöglicht, durch persönliche Einladung zu einer «geschlossenen» rassistischen Veranstaltung einer Bestrafung zu entgehen. Doris Angst, Leiterin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, sieht durch die Praxisänderung eine Lücke geschlossen. Es sei sicher nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen, Veranstaltungen wie im konkreten Fall von der Strafbarkeit auszunehmen. Die bisher geltenden Kriterien zur «Öffentlichkeit» seien in der Praxis wenig tauglich gewesen.sdaWeitere Abklärungen durch die Polizei erfolgten im Verlauf des Sonntags. Anzeigen von betroffenen und geschädigten Personen werden bei der Polizei Kanton Solothurn in Olten sowie bei der Stadtpolizei Olten entgegengenommen. (pd)