Die Schande vom Rütli

Blick

Rechtsradikale in Deutschland

Es werden immer mehr!

VON MURIEL SPITZER

RÜTLI UR – Über 100 Skinheads und Neonazis grölen und fallen demFestredner, Bundesrat Kaspar Villiger, immer wieder mit primitivenSprechchören oder Buh-Rufen ins Wort.

Die Zuschauer versuchen, die Pöbler zu ignorieren. Und Kaspar Villiger bittet höflich, manmöge ihn doch ausreden lassen.
Dass eine Konfrontation mit Rechtsradikalen einen so glimpflichen Ausgang nimmt, ist inDeutschland kaum vorstellbar: Dort werden die Rechtsextremen immer öftergewalttätig. Jetzt will die Bundesregierung Massnahmen gegen die braunen Agitatorenergreifen. 1998 begingen Rechtsextreme in Deutschland rund 11 000 Straftaten. Tendenz: steigend.
Heute gibt es laut Verfassungsschutzbehörden 114 rechtsextremistische Organisationen undPersonenzusammenschlüsse mit rund 53 000 Mitgliedern. Tendenz: steigend. Über 8000 davon sind gewaltbereite Rechtsextremisten, etwa 2500 sind Neonazis. Die übrigen 42 500 sind zwar nicht gewalttätig, aber dennoch gefährlich: Sie sind gutorganisiert und schaffen den Nährboden für militante Aktionen. Ihre Propaganda verbreiten die Rechten zunehmend übers Internet: DeutscheVerfassungsschützer sprechen von einer Verzehnfachung der Angebote in denvergangenen Jahren. Die Palette reicht von Musik mit propagandistischen Texten überverbotene Literatur bis hin zu Hinweisen auf andere rechtsextreme Organisationen.
«Wirgehen von fast 400 braunen Homepages aus», sagte Hans-Jürgen Doll vomVerfassungsschutz Baden-Württemberg dem ZDF.Jetzt fordern Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) und der niedersächsischeMinisterpräsident Sigmar Gabriel (SPD): «Die rechtsextreme «Nationaldemokratische Partei»ú(NPD) muss verboten werden.»
Aber: Über ein Verbot einer Partei kann nur das Bundesverfassungsgericht befinden. Deshalbversucht die Bundesregierung, die Bevölkerung gegen die Rechtsextremisten zu aktivieren.«Die gesamte Gesellschaft muss gegen sie mobil machen und Zivilcouragebeweisen», verlangt die SPD-Politikerin Cornelie Sonntag-Wolgast.Die Bundesregierung ruft die Bürger auf, Übergriffe und Aufmärsche von Rechtsextremen derPolizei zu melden – und rechtsextreme Seiten im Internet anzuzeigen. Das Ziel formuliert HertaDäubler-Gmelin, die Bundes-Justizministerin: «Wir müssen den rechtsextremenOrganisationen ihren braunen Sumpf trockenlegen.»